zum Hauptinhalt

Berlin: Auf der Rennbahn: Glücksritter ohne Rassepferde

Hüte tragen hier nur verknitterte alte Männer - Zocker, Glücksritter, viele davon längst Hoffnungslose. Von denen gibt es auf den Fotografien, die Nelly Rau-Häring auf Berliner und Wiener Rennbahnen machte, jede Menge zu sehen.

Hüte tragen hier nur verknitterte alte Männer - Zocker, Glücksritter, viele davon längst Hoffnungslose. Von denen gibt es auf den Fotografien, die Nelly Rau-Häring auf Berliner und Wiener Rennbahnen machte, jede Menge zu sehen. Nicht nur mit Hut, auch mit Zigarre, mit leerem Blick, mit Brille, mit Wettschein, auch mit Molle und Korn und - in Wien - sogar mit schneidigem Menjou-Bärtchen.

Dafür nicht eine einzige verwegene Hutkreation über einem aus Gesellschaftsspalten bekannten, blau- oder geldadligen Gesicht. Auch die berühmte Frage: "Ja, wo laufen sie denn" wird auf keinem Bild beantwortet, nicht ein rassiges Vollblut ist zu entdecken. Dafür um so liebe- und humorvollere Schnappschüsse von denen, die allgemein gern als "einfache Menschen" bezeichnet werden.

"Unter ferner liefen..." hat Nelly Rau-Häring ihre Bilder treffend getitelt, die sie bis zum 13. April im Heimatmuseum Tempelhof ausstellt. Der Titel ihrer jüngsten Ausstellung ist überhaupt das Motto der seit 1965 in Berlin lebenden Schweizerin. Nicht den von Medien gefragten Glamour hält sie fotografisch am liebsten fest, sondern die meist glanzlose Wirklichkeit derjenigen, die zu allen Zeiten "unter ferner liefen".

Wer die Fotografin aus früheren Ausstellungen kennt - im vergangenem Jahr erst beteiligte sie sich an der fotografischen Sicht auf "Die Berlinerin" - weiß dann auch schon, was sie bei ihren Besuchen zwischen 1984 und 1991 auf den Rennbahnen in Mariendorf, Karlshorst oder Hoppegarten vor allem künstlerisch gereizt haben muss: "Es war ein schöner Tag, und die Pferde haben auch nicht besonders gestört", stand auf ihrer Einladung zur Ausstellungseröffnung. Dieser konnte man leider nicht folgen, und beinahe wäre es auch am jüngsten Freitag mit dem Ausstellungsbesuch schief gegangen.

"Freitag nach Eins macht jeder seins", spottet der Volksmund über Behörden und Einrichtungen. An besagtem Tag hätte der Volksmund schon um 12 Uhr recht gehabt, denn die Tür zum Heimatmuseum Tempelhof in Alt-Mariendorf 43 war fest verschlossen - laut Anschlag aber montags bis freitags von 9 bis 14 Uhr geöffnet. Geöffnet wurde dann doch - von einer Mitarbeiterin des Frauencafés Tempelhof. Das befindet sich im Heimatmuseum und ist kein Café, sondern ein soziales Projekt in dem mit Schöneberg vereinten Bezirk. Und eigentlich dürfe man nicht öffnen, habe man doch nichts mit dem Heimatmuseum zu tun. Sogar aus London stand schon mal einer vor dem verschlossenen Heimatmuseum, erzählte die hilfsbereite Türöffnerin und wies dann den Weg zu Nelly Rau-Härings Fotografien.

Dass diese im Heimatmuseum dann in einem Café hingen, in dem am letzten Freitag der Fußboden sehr schmutzig und die Küche kalt war, verwirrte zunächst. Wieder half die Frauencafé-Mitarbeiterin und klärte die Ausstellungsbesucherin auf, dass man sich trotzdem im Heimatmuseum Tempelhof befände. Nur Dienstag- und Donnerstagnachmittag nicht, dann diene das Café dem Frauencafé als Veranstaltungsort. Alles klar?

"Schade um die Fotos", sagte die junge Frau, die am Freitag die Gunst der Stunde genutzt hatte und flugs durch die kurz geöffnete Tür mit in die Ausstellung geschlüpft war. Deren Ambiente könnte zwar nicht ungemütlicher sein, aber die Bilder derer, die ihr Glück im übertragenen Sinn auf den Rücken der Pferde suchen, entschädigten die zwei einsamen Besucherinnen.

Und auf einem der Fotos gab es dann sogar einen Vierbeiner zu entdecken. Im Bildhintergrund sah man ihn seine Bahn traben, im Vordergrund verkündete ein Schild mitten in einem kahlem Beet, wie man zum Materiallager der GPG "Flora" in Schöneiche kommt. Wer nicht weiss, was GPG heisst: Das war zu DDR-Zeiten eine Gärtnerische Produktionsgenossenschaft.

Die gibt es sicher längst nicht mehr. Die Pferde aber gibt es noch und auch die Frauen und Männer, die bei ihnen immer wieder ihr Glück suchen. Ein bissel habe sie auch immer gewettet, wenn sie Mariendorf, Karlshorst oder Hoppegarten besuchte, sagte gestern Nelly Rau-Häring. Rennbahnen blieben für sie aber vor allem Fundstätten für die "Hauptdarsteller" ihrer Bilder - Menschen, die "unter ferner liefen...".

Wer diese heute sehen will, hat vielleicht Glück. Sonntags hat das Heimatmuseum Tempelhof von 11 bis 15 Uhr geöffnet - so steht es an der Tür.

Boulevard Berlin: Was die Stadt bewegt...

Heidemarie Mazuhn

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false