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Berlin: Auf der Suche nach der Vergangenheit

Der Junge ohne Gedächtnis ist aus dem Ruhrgebiet, sagt die Polizei. „Andreas“ ist unsicher

Ein junger Mann ohne Erinnerung? Über sein Schicksal ist gestern viel spekuliert worden. Deshalb haben wir „Andreas“ im Krisenzentrum „Jona“ besucht. Am Nachmittag meldete die Polizei, dass sich seine Mutter gemeldet habe. Sie soll seit mehreren Monaten zu ihrem Sohn keinen Kontakt mehr gehabt haben.

Den Kino-Film „Die Bourne Identität“, der zur Zeit läuft, musste er einfach sehen: In dem Thriller verliert ein Agent sein Gedächtnis und ist auf der Suche nach seiner Identität. Wahrscheinlich ist Andreas der Einzige im Kinosaal gewesen, der wirklich weiß, wie sich sowas anfühlt. Er macht dasselbe durch, nur ohne Drehbuch. Das Letzte, woran er sich erinnert, ist der Moment, als er im Waldkrankenhaus Spandau auf der Intensivstation aufwachte. Das war am 22. September, der Tag der Bundestagswahl. Passanten sollen ihn bewusstlos am Spandauer Bahnhof gefunden haben. Als ihn Ärzte und Polizisten befragten, wie er heißt und woher er kommt, konnte er ihnen keine Antwort geben. „Ich weiß es einfach nicht“, sagt er.

„Andreas“, den Namen hat er sich selbst gegeben. Einen eigenen Namen zu haben, helfe schon sehr, sagt er gestern. Dennoch bleibe alles, was mit seiner Person, mit seinem Leben zu tun habe, ausgelöscht, sagt er. In einer Nervenklinik haben ihn die Ärzte gründlich untersucht. Doch sie konnten außer einer kleinen Beule an der Stirn nichts finden: Keine Verletzungen, keine Drogen im Blut – medizinisch scheint alles in Ordnung. Mittlerweile ist Andreas im Krisendienst „Jona“ in Spandau untergekommen. Eine Psychologin hat sich mit ihm getroffen und mit ihm gesprochen, doch geholfen hat es bislang nicht viel.

Aus welcher Stadt komme ich? Bin ich, wie die Polizei vermutet, wegen des Eishockeyspiels Berlin Capitals gegen die Kölner Haie hergekommen? Fragen, die Andreas sich stellt, auf die er aber keine Antworten weiß. Je mehr er grübelt, desto stärker werden die Kopfschmerzen. Also versucht er, sich abzulenken. Er schaut viel Viva und MTV. Leider konnte ihn auch die Musik bislang nicht auf eine Spur in sein früheres Leben führen. Neulich war Andreas im Internet-Café, um auf andere Gedanken zu kommen. Er habe ein wenig rumprobiert mit der Maus, dann war er in einem Netzwerkspiel. Der Umgang mit dem PC ist kein Problem für ihn. Chinesisch kochen kann er auch, jedenfalls hat er das neulich für alle „Jona“-Bewohner gemacht und die hätten es lecker gefunden. Dann rutscht er nervös auf seinem Stuhl hin und her. Die Kopfschmerzen werden wieder schlimmer. Der ganze Stress, die Fragen von Zeitungen und Fernsehen. Andreas wird das zu viel. Als die Nachricht aus dem Ruhrgebiet eintrifft, reagiert Andreas zurückhaltend. Ob das wirklich seine Mutter ist, „muss ich abwarten“. Sein Problem bleibt, denn sein Gedächtnis kann ihm niemand zurückgeben.

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