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Auf Deutsch gesagt: Die Zeit des Genitivs

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Mit der Grammatik verhält es sich ja so, dass wenig nach den Regeln gefragt wird. Dafür ist die Fantasie offenbar grenzenlos. Oft staunt man, wie seltsam Verben, Substantive, Pronomen und Adjektive gebeugt werden.

Zu den Unsitten, die sich dabei eingebürgert haben, gehört es, dass wir ständig hören, was sich Anfang diesen Monats oder Mitte diesen Jahres zugetragen hat. „Mit der Berufung des Klimaschutzrats im Sommer diesen Jahres...“, bemerkte die Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) vor dem Abgeordnetenhaus. Und gleich darauf: „Wir haben nach Mitteilung vom Sommer diesen Jahres...“ Nun ja, fast alle reden so. „Ist dem Senat bekannt, dass seit April diesen Jahres die Grunewald-Grundschule deutlich unterausgestattet ist mit Lehrerstunden...?“, wollte der Abgeordnete Andreas Statzkowski (CDU) in der Fragestunde des Parlaments wissen.

Nur gab es weder den April noch den Sommer diesen Jahres, sondern 30 Tage dieses Monats und den Sommer dieses Jahres. Warum das so ist, kann man sich kinderleicht klarmachen, indem man das Demonstrativpronomen dieser/diese/dieses dekliniert. Der Genitiv Singular lautet beim Maskulinum und Neutrum immer: dieses. Diesen Monats/diesen Jahres spricht sich sicher leichter; falsch bleibt es trotzdem. Merkwürdigerweise taucht hier der falsche Genitiv fast nur bei Zeitangaben auf. Niemand käme auf die Idee, von der Bedeutung diesen Politikers, der Maschine diesen Fabrikats oder der Mutter diesen Kindes zu sprechen.

Nur keine Irritation: Am 10. letzten Monats, im Frühjahr letzten Jahres ist natürlich korrekt, und das hat mit der Deklination der Adjektive zu tun. Denken wir uns beim Genitiv der männlichen und sächlichen Form den gebeugten Artikel hinzu: im Oktober (des) letzten Jahres, am 10. (des) letzten Monats.

Klar, unsere armen Kinder reden, wie sie es von den Erwachsenen hören. In einem Antrag der Grünen zum Thema Bekämpfung der Kinderarmut las ich: „Von 1000 Kindern unter drei Jahren bezogen 269 Sozialhilfe... Die Spanne reicht von 115 Kindern je 1000 Kindern unter drei Jahren in Steglitz-Zehlendorf bis zu 407 je 1000 Kindern unter drei Jahren in Neukölln...“

Das ist sehr traurig, bedauerlich ist es aber auch, dass das Wörtchen je hier mit dem Dativ Plural steht, obwohl der Akkusativ richtig wäre. Die Spanne reicht also von 115 Kindern je 1000 Kinder bis zu 407 Kindern je 1000 Kinder, weil je als Präposition im Sinne von pro oder für mit dem Akkusativ gebracht wird: je Kind, je Abgeordnete, je Abgeordneten.

Ach, Fantasie ist wunderbar, doch für die Grammatik taugt sie nicht. Und je sorgfältiger wir mit der Sprache umgehen, desto besser für die Kinder.

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