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Berlin: Auf die eigene Fahne geschrieben

„Mister Gorbashev, tear down this wall!“ – Der Ausruf von US-Präsident Reagan ging in die Geschichte ein Bis heute gibt es Streit darum, wer ihn erfand. Die Spuren führen in ein Lichterfelder Wohnzimmer

Vier eng bedruckte Seiten ist das Manuskript der Rede lang, die Ronald Reagan am 12. Juni 1987 direkt an der Mauer vor dem Brandenburger Tor hielt. Doch nur ein Satz des US-Präsidenten hat im kollektiven Gedächtnis überlebt: „Mister Gorbashev, tear down this wall!“ Denn zweieinhalb Jahre später fiel die Mauer tatsächlich, auch wenn es nicht KPdSU-Chef Michael Gorbatschow war, der sie einriss.

Darüber allerdings, wer sich den legendären Satz ausgedacht hat, gibt es bis heute Streit. War es der vor drei Jahren verstorbene Reagan selbst? War es sein ehrgeiziger Redenschreiber Peter Robinson? Oder war es die Idee des damaligen stellvertretenden Berliner Stadtkommandanten John Kornblum? Ein Mann, der es wissen müsste, ist George P. Shultz. Er war von 1982 bis 1989 Reagans Außenminister. Doch er will zunächst das Grundsätzliche klären: „Die Rede zeigt, dass Reagan verstand: Ein Wandel steht bevor.“

Shultz ist nach Berlin gekommen, um in der American Academy zu sprechen. Am Morgen nach dem Vortrag ist der 86-Jährige erschöpft, möchte nicht so früh schon ein Interview geben, sondern ausschlafen. Man könne sich ja am Flughafen treffen, schlägt Shultz vor, um 12 Uhr gehe seine Maschine nach Mailand, wo er mit seiner Frau Urlaub machen wolle. In Tegel setzt sich Shultz zwischen russische und türkische Reisende, bleibt unerkannt. Er trägt einen kleinen glitzernden Zylinder mit US-Flagge am Revers seines karierten Sakkos. Auf seiner Krawatte steht „U.S. Marines“, ein Geschenk der Elitetruppe. „Ich war damals nicht in Berlin, sondern auf einem Außenministertreffen in Reykjavík“, bekennt er. „Dort haben wir die Rede nicht richtig wahrgenommen. Sie wurde erst später zur Ikone.“

Shultz, der seit 1969 in Diensten der US-Regierung steht, wählt jedes seiner Worte mit Bedacht. Denn schon vor Reagans Besuch hatte es heftige Kontroversen um den Redetext gegeben. Das Außenministerium fand die Forderung Reagans, die Mauer niederzureißen, zu aggressiv. Reagan verhandelte damals mit Gorbatschow über atomare Abrüstung. „Es gab Zweifel, ob es in dieser Situation hilfreich sei, Gorbatschow mit erhobenem Zeigefinger vor der Nase herumzufuchteln“, berichtet Shultz. Auch er gehörte wohl zu den Gegnern. In seinen Memoiren erwähnt Shultz die Rede mit keinem Wort.

Umstritten sei damals übrigens auch der Ort gewesen, an dem Reagan sprechen sollte. Der Berliner Senat und die Bundesregierung sperrten sich gegen den Platz vor dem Brandenburger Tor. Man könne dort nicht für die Sicherheit des Präsidenten garantieren, so die Begründung. Außerdem würde sich die DDR provoziert fühlen. Doch Reagans Team bestand auf dem symbolischen Ort. „Der Präsident war sehr glücklich, dass er an der Frontlinie sprechen konnte“, erinnert sich Shultz.

Und, klar, Kennedys Rede sei eine Bürde gewesen. 24 Jahre vor Reagan hatte der junge US-Präsident John F. Kennedy Berlin als Bühne für eine Botschaft an die Sowjetunion genutzt und war damit in die Geschichtsbücher eingegangen. „Ich bin ein Berliner“, hatte er gerufen, um seine Solidarität mit der Stadt zu bekunden. Dass Reagans Rede der Versuch war, Kennedy zu übertreffen, möchte Shultz nicht gelten lassen. „Sie hatten eben den gleichen Instinkt.“

Herr Shultz, wer hat sich den entscheidenden Satz denn nun ausgedacht? „Eigentlich war der junge Redenschreiber Pete Robinson verantwortlich“, sagt Shultz und setzt dann schnell hinzu: „Aber Reagan schrieb auch selbst viel.“ John Kornblum, damals stellvertretender Stadtkommandant und später US-Botschafter, widerspricht. Er, Kornblum, habe den Besuch vorbereitet. Den Satz, dass die Mauer weg müsse, „haben wir vorgeschlagen“.

Peter Robinson findet das lächerlich. Tatsächlich habe sich Kornblum dagegen gewehrt, dass die Mauer überhaupt erwähnt werde, sagt er auf Nachfrage. Robinson berichtet, wie er, damals 30 Jahre alt, auf Sondierungsbesuch in Berlin war. Sein Freund, der Weltbanker Dieter Elz, habe ihn zum Abendessen in sein Haus nach Lichterfelde-West eingeladen. Dort habe Robinson in die Runde gefragt: „Habt ihr euch an die Mauer gewöhnt?“ Elz’ Frau Ingeborg habe daraufhin eine Faust gemacht: „Wenn dieser Gorbatschow es ernst meint mit Glasnost und Perestroika, dann soll er es beweisen. Er kann diese Mauer loswerden.“ Familie Elz bestätigt die Version am Telefon.

Für George Shultz ist der relevante Punkt ein anderer. „Reagan hatte Redenschreiber, die so formulierten, wie er dachte. Er wollte vor allem eins: verstanden werden.“

In Tegel steht der Abflug bevor, Shultz’ zweite Frau Charlotte drängt zum Aufbruch. Langsam läuft Shultz zum Gate. Vor kurzem ist er noch einmal durch das Brandenburger Tor gegangen, sagt er. Es sei für ihn ein emotionaler Moment gewesen. „Denn ich habe Reagan geholfen, den Kalten Krieges zu beenden.“

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