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Berlin: Auf halbmast

In Berlin gedachten viele Menschen der Opfer der Terroranschläge in Madrid. Heute zieht ein Trauermarsch zur Botschaft

Von Katja Füchsel und Lars von Törne

Sie verbrachten den Tag zwischen Telefon und Fernseher. Voller Angst verfolgten die in Berlin lebenden Spanier jede neue Information aus Madrid. Auch im Amtszimmer von Botschafter José Rodriguez-Spiteri lief den ganzen Tag über der spanische Sender TVE. Er hatte die Nachricht von seiner ältesten Tochter erfahren, die in Madrid lebt, sagt der Botschafter. „Unglaublich, furchtbar“, waren seine ersten Gedanken. Am Nachmittag versammelte Rodriguez-Spiteri seine Mitarbeiter vor dem Botschaftsgebäude am Tiergarten zu einer Schweigeminute. Die spanische und die europäische Flagge waren auf Halbmast gesetzt. „Wir sind sehr bewegt“, sagte Botschaftsrat Diego Iniguez hinterher. „Viele von uns kommen aus Madrid, fast jeder hat dort Verwandte oder Freunde.“

„Wir sind einiges an Terrorismus gewohnt – aber so etwas Schreckliches haben wir noch nie erlebt“, sagte José Ignacio Olmos Serrano, Direktor des spanischen Kulturinstitutes Cervantes, der aus Madrid stammt. Ihm fiel es gestern ähnlich schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, wie den Journalisten der spanischen Nachrichtenagentur Efe. „Ich habe sofort zwei Freunde angerufen, die in Madrid leben, um sicher zu sein, dass es ihnen gut geht“, erzählte Redakteur Guillermo Sans. Normalerweise berichten er und seine fünf Kollegen für das spanische Publikum über Bundestagsdebatten oder Berliner Kulturthemen – gestern waren die Journalisten selbst Gegenstand der Berichterstattung und mussten immer wieder deutschen Kollegen von ihren Gefühlen erzählen.

Cristina Lobo aus Madrid ist Verkäuferin im spanischen Spezialitätengeschäft „Aqui Espana“ und dachte den ganzen Tag über immer nur an eines: Um 16 Uhr ist Feierabend. „Dann werde ich erst einmal alle anrufen, die Familie, die Freunde.“ Schließlich könne man noch immer nicht ausschließen, dass einer ihrer Nächsten zu den Opfern zähle. „In Madrid herrscht das totale Chaos.“

Rund 4000 Spanier leben in Berlin. Ihre Sorgen, Nöte und Spekulationen tauschten die meisten von ihnen gestern im kleinen, privaten Kreis aus. „Ein bestimmtes Café oder Restaurant als Treffpunkt gibt es nicht“, sagte Marievi Lucha, Dozentin für Spanisch an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft. Die Künstlerin Cristina Romero schaltete die Nachrichten gleich morgens nach dem Anruf einer spanischen Freundin ein, danach spekulierte sie in der Küche mit ihrem Mann über die Ursachen der Anschläge: „Die Eta hat die jungen Separatisten nicht mehr unter Kontrolle“, mutmaßen sie. Cornelia Lindemann vom deutsch-baskischen Kulturverein Gernika betonte hingegen, dass die Urheber des Attentats noch ungeklärt seien und kritsierte die „reflexartige Schuldzuweisung“ der spanischen Regierung gegen die baskische Terrorgruppe.

Die Spanierin Sonia Mackay saß beinahe schon auf gepackten Koffern, als sie vormittags von den Anschlägen erfuhr: Für den heutigen Freitag hat die Spanierin einen Flug nach Madrid gebucht, will dort ihre Freundin besuchen. Nachdem sie am Nachmittag nach langem Warten eine SMS aus Madrid erreicht hatte („alles in Ordnung“), dachte Sonia Mackay auch nicht mehr daran, ihre Pläne zu ändern. Sie vertraue fest auf das Gesetz der Wahrscheinlichkeit: „Zwei Mal hintereinander passiert nichts am selben Ort.“

Auch viele Deutsche zeigten ihre Betroffenheit. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) drückte sein Entsetzen über die Terroranschläge in Berlins Partnerstadt in einem Brief an seinen Madrider Amtskollegen Alberto Ruiz-Gallardón aus. Berlins Polizei verstärkte ihre Sicherheitsmaßnahmen vor der spanischen Botschaft. Einen Schweigemarsch veranstaltet die Bürgerinitiative „Mahnwache Brandenburger Tor“ am heutigen Freitag um 19 Uhr. Unter dem Motto „Für ein Europa ohne Gewalt“ wollen die Teilnehmer mit Kerzen vom Brandenburger Tor zur Spanischen Botschaft ziehen. Dort soll ein Kranz niedergelegt werden, sagt Organisator Friedhelm-Leonhard Lennartz. Weitere Informationen unter der Rufnummer 782 11 83.

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