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Musik für die Massen. Dominique Casimir arbeitete unter anderem mit der Band Seeed oder Lenny Kravitz zusammen.

© Dimatti

Auf ihre eigene Tour: Wie eine Berliner Musikmanagerin es an die Spitze schaffte

Dominique Casimir gehört zu den wenigen Top-Managerinnen in der Musikbranche. Auf ihrem Weg dorthin musste sie lernen zu improvisieren.

Wie gut, dass es manchmal nicht reicht im Leben. Sonst hätte Dominique Casimir Medizin studiert, wäre wahrscheinlich Ärztin geworden. Das ordentliche Zweier-Abitur damals sprach aber dagegen: Der Numerus Clausus war hoch, neun Jahre hätte sie mit ihrem Abi-Schnitt auf einen Studienplatz warten müssen.

Wer macht das schon? Und so ist die heute 40-Jährige ganz woanders gelandet: Sie ist eine der wenigen Top-Managerinnen in der Musikbranche.

Dominique Casimir verantwortet bei dem internationalen Musikkonzern BMG, der in Berlin sitzt, das weltweite Verlags- und Labelgeschäft außerhalb der USA und Großbritanniens.

Vielleicht wäre sie als Ärztin auch glücklich geworden, aber sie hätte weder Sting noch all die anderen berühmten Menschen getroffen – wie Lenny Kravitz, Aloe Blacc oder die Band Seeed. Viel wichtiger: nie ihren Mann Fred kennengelernt, der ebenfalls BMG-Musikmanager ist und die beiden hätten nie ihre Zwillinge bekommen. Hätte, wäre, wenn!

Sie ist ein echtes Nordlicht, aufgewachsen in einem 200-Seelen-Dorf nahe Eutin in Schleswig-Holstein. Die Eltern, in der Baubranche tätig, hätten gern gehabt, dass ihre Tochter einen Gang runter schaltet.

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„Sei doch mal gemütlich“, haben die öfter gesagt, doch Dominique Casimir hatte immer zu tun: Schon als junges Mädchen machte sie vier Mal die Woche Ballett-Training, weil die ZDF-Serie „Anna“ Ende der Achtziger sie mitgerissen hatte, Blockflöte spielte sie, wollte aber lieber Klavier lernen.

Serie: Frauen in der Berliner Wirtschaft.
Serie: Frauen in der Berliner Wirtschaft.

© Illustration: Pedro Santos/TheNounProject; Tsp

Wie gut, dass der Flötenlehrer eines hatte, und wenn der mal auf die Toilette verschwand, setzte sie sich schnell an das Piano. Später machte sie einen Deal mit dem Pastor im Ort, der einen weißen Flügel besaß: Blumengießen gegen Klavierspielen auf dem Flügel. 4000 D-Mark hat selbst ein gebrauchtes Instrument damals gekostet.

Das Geld jobbte sie sich als Jugendliche mit Kuchenverkaufen im Café zusammen. Nach dem Abitur zog es sie weg aus dem Dorf, sie schrieb sich an der TU Berlin zum Studieren ein. So etwas wie ein zweites Zuhause fand sie in Kreuzberg, wo sie im Lokal „Zur kleinen Markthalle“ kellnerte. „Dort habe ich echte Berliner kennengelernt, das war ein Familienbetrieb, und die haben auf mich junges Mädchen vom Dorf aufgepasst und mir das Leben in der Großstadt erklärt“, sagt sie.

Die Band Rednex ("Cotton Eye Joe") kutschierte sie durch den Schneesturm

Der ganze Weg änderte sich, als sie ihr erstes Praktikum bei einer Booking-Agentur anfing. Diese buchte Touren und Auftritte für Künstler:innen. Dominique Casimirs Job war es nun, die Großraumdiskos und sonstige Hallen abzutelefonieren, um dort Bands eines schwedischen Musikagenten auftreten zu lassen. Darunter „Rednex“, eine Retortencombo, die Mitte der 90er Jahre mit „Cotton Eye Joe“ einen für viele Ohren nervigen, aber dennoch internationalen Nummer-1-Hit landete.

Als die Musiker:innen nach Berlin kamen, war Dominique Casimir plötzlich für alles mögliche zuständig: Ihr Chef schickte sie, die gerade frisch ihren Führerschein hatte, mit einem Van zum Flughafen, um die Band abzuholen. Es war kurz vor Weihnachten und Casimir musste die Musiker:innen nun auch noch zu den Auftrittsorten quer durch Deutschland kutschieren.

Bisher sind unter anderem auch diese Folgen der Serie "Frauen in der Wirtschaft" erschienen:

Nahe dem Elbsandsteingebirge gerieten sie in ein Schneegestöber. „Ich hatte nur ein Pre-Paid-Handy und kaum Empfang“, erinnert sie sich. Die Band sauer, die Stimmung down. Irgendwie habe sie, die junge Praktikantin, es aber in ein Billig-Hotel geschafft, das sie gerade noch so mit ihrer eigenen EC-Karte zahlen konnte. Am nächsten Tag ging die Odyssee weiter, „zugefrorene Scheiben haben wir mit Redbull enteist“.

Zwar gelang es ihr, die Band dahin zu bringen, wo sie auftreten sollten. Sie nahm am Ende den Zug nach Hamburg. Am Bahnhof sammelten die Eltern ihre erschöpfte Tochter ein, den Job in der Agentur kündigte sie. Doch sie hatte mit ihrer Art, die unmöglichsten Situationen zu meistern, Eindruck hinterlassen – und zwar bei dem schwedischen Agenten der Band. „Wenn Du Dich selbstständig machst, bekommst Du die Bands zwei Jahre exklusiv“, habe er gesagt.

Sie machte sich selbstständig und managte erstmal die deutsche Band "Kain"

Dominique Casimir sagte zu. Sie meldete sich beim Finanzamt an, gründete eine Firma und war fortan Musikmanagerin. Während ihre Freunde studierten und in den Semesterferien Zeit hatten zu verreisen, arbeitete sie. Vor allem mit der Berliner Band „Kain“, deren Frontmann ihre erste große Liebe wurde, tourte sie und managte deren Auftritte, etwa in der „Weißen Rose“ in Schöneberg oder im damaligen Magnet Club in Prenzlauer Berg.

Auf dem Gelände des ehemaligen Funkhauses Nalepastraße in Rummelsburg hatte sie sich in eine Bürogemeinschaft eingemietet. Eines Tages hörte sie schon auf dem Flur eine bekannte Stimme, die sofort Gänsehaut machte: Sting! Sting, der – wie Casimir sich erinnert – drei verschiedene Sorten grünen Tee trank, den sie ihm brachte. Er nahm zu der Zeit gerade in dem Studio einen Song auf, zusammen mit den Black Eyed Peas.

I need a dollar. Mit diesem Hit ist Soulstar Aloe Blacc (l.) bekannt geworden. BMG-CEO Hartwig Masuch und Dominique Casimir haben ihn bei ihrem Musiklabel unter Vertrag.
I need a dollar. Mit diesem Hit ist Soulstar Aloe Blacc (l.) bekannt geworden. BMG-CEO Hartwig Masuch und Dominique Casimir haben ihn bei ihrem Musiklabel unter Vertrag.

© BMG

Nach Jahren in der Selbstständigkeit, mit meist männlichen Musikern auf Tour und einer dann beendeten großen Liebe, zog es Casimir weiter. Sie nahm ein Angebot bei der Ufa in Babelsberg an, im Musikverlag, wo sie auch Musikberatung machte: Für Serien wie „GZSZ“ oder „Alles was zählt“. Doch sie vermisste nach einigen Jahren die Arbeit mit Künstler:innen. Dann war Zeit für Neues. Ihr damaliger Kollege und späterer Mann Fred war zum Musikkonzern BMG gewechselt. Über den Kontakt zu ihm kam auch sie zu der Bertelsmann-Tochter: Hier gehörte Musikberatung wieder dazu, etwa für bekannte TV-Produktionen wie „Deutschland 83“, „Ku’damm“ oder „Der Junge muss an die frische Luft“.

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Ihre Karriere rauschte so schnell voran wie das Musikunternehmen wuchs: 2016 Geschäftsführerin Deutschland, Österreich, Schweiz. Drei Jahre später Kontinentaleuropa, vergangenes Jahr übernahm sie noch die Märkte in Australien, Lateinamerika, China und Hongkong. Und dazwischen kamen die Zwillinge, die heute sechs Jahre sind.

Klar sei sie manchmal völlig übermüdet gewesen, als sie den Zwillingswagen durch Kreuzberg schob. Aber es habe sie schon wenige Wochen nach der Geburt wieder in den Job gezogen. Auf ihrem bisherigen Weg hatte sie gelernt zu improvisieren, anstrengende Situationen zu meistern. Als die Kinder krabbeln konnten, nahm sie die beiden einfach mit ins Büro. Das ging auch.

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