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Berlin: Auf Klau-Tour mit Haushaltsbuch

Richter schickte 56-jährigen notorischen Dieb zum Gutachter

Im Haushaltsbuch führte Wolfgang S. alles ganz genau auf. Den Joghurt mit Sahne und den ohne, die drei Bananen, den Tee oder das belegte Baguette für 3,90 Euro. Er notierte auch, in welchem Geschäft die Dinge des täglichen Lebens seinen Appetit geweckt und an welchem Tag er das Geld für einen Fahrschein „gespart“ hatte. „Schwarzfahrt U 8“ stand dann in seinem Haushaltsbuch. Seine Akribie erleichterte später den Ermittlern die Arbeit. Als dreister Dieb, der auch noch Buch führte, saß der 56-Jährige gestern vor dem Amtsgericht Tiergarten.

Wolfgang S. machte im letzten Jahr laut Anklage 28 Mal lange Finger. Er nahm einen Europastecker, Brötchen, Multivitaminsaft, Schinken oder Schmirgelpapier. Der Reinickendorfer nickte leicht. Nicht an alles kann er sich erinnern. Er ist schon so oft geschnappt worden. 27 Vorstrafen innerhalb der letzten zehn Jahre hat er sich eingehandelt. Meistens wegen Diebstahls. „Ich hatte nicht das Geld, um zu bezahlen“, sagte er nun. Warum er Buch führte, wollte der Richter wissen. „Um den Überblick zu behalten, um zu sehen, wo das Geld im Monat so bleibt“, meinte der Angeklagte.

Den Überblick verliert er seit 1993 immer wieder. Seitdem ist der gelernte Werkzeugmacher und spätere Taxifahrer arbeitslos, seitdem beschäftigt er die Justiz. „Manchmal habe ich Sachen auch zurückgelegt, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte“, sagte der hilflos wirkende S. In den ersten fünf Jahren seiner Diebeskarriere kam er noch mit Geldstrafen davon. Dann gab es Bewährungsstrafen, schließlich musste er mehrmals für einige Monate ins Gefängnis.

Zum 28. Urteil kam es am Mittwoch noch nicht. Der Richter schickte S. zu einem Gutachter. Der soll nun die Schuldfähigkeit des Angeklagten überprüfen. Vielleicht sei ein Betreuer zu bestellen, der sich um die finanziellen Angelegenheiten von S. kümmert, überlegte der Richter. Wolfgang S. nickte. Er wirkte erleichtert.

Kerstin Gehrke

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