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Berlin: Auf und davon

Morgen ist der dritte Advent. Heute ist langer Einkaufssonnabend.

Morgen ist der dritte Advent. Heute ist langer Einkaufssonnabend. Von Besinnlichkeit dieser vorfestlichen Jahreszeit wird da wenig die Rede sein, wenn man sich tütenbeladen durchs Gewühl saunawarmer Einkaufstempel schiebt. Dabei brauchte es nur fünf Minuten Zeit, um bei der alljährlichen vorweihnachtlichen Jagd nach Geschenken trotzdem etwas besinnlich zu werden und den Stress um sich herum zu vergessen. Fünf Minuten, in denen man am Kurfürstendamm und am Wittenbergplatz in die dort ausgestellte Pracht in den Schaufenstern eintaucht.

Bei Wertheim kann man mit einem schneeweißen Wundervogel durch eine märchenhafte Welt fliegen, in der es bunte Fische gibt, geheimnisvolle Schlösser, schöne Prinzessinnen und verzauberte Bäume. Vierzig Meter lang ist die bunte Kulisse, in der die Geschichte von der kleinen Lisa erzählt wird, die in einem ihrer Träume dem Wunschvogel begegnet. "Da möchte ich jetzt auch liegen", seufzte gestern eine vor dem Schaufenster bei Wertheim und blickte darin sehnsüchtig auf das gemütliche Himmelbett im dargestellten Märchen vom "Wunschvogel".

In den Schaufenstern des KaDeWe dagegen kann man sich in die scheinbar "gute alte Zeit" versenken. Eiserne Herde gibt es dazu zu bestaunen, die einst die ganze Küche bestimmten. In den schweren Töpfen könnte man den Festschmaus für eine ganze Kompanie kochen, und genug Teller hätte man auch - aus Meissner Zwiebelmuster schmücken sie die Wandregale. In einem plüschigen Salon halten großbehütete Damen Kaffeekränzchen, und in der Apotheke werden Pillen noch in Mörsern zerstoßen. Von dem "Tante Emma-Laden", in dem Porzellanschilder verraten, wo Zucker oder Mehl aufbewahrt sind, kann man in der vorweihnachtlichen Supermarkt-Kassenschlange nur träumen.

Gesammelt hat die historische Puppenstubenwelt aus der Zeit von 1840 bis 1950 die Stuttgarterin Gerda Ott. Als sie 1973 das Haus ihrer Eltern ausräumte, fand sie dabei die alte Puppenstube ihrer Schwester - der Beginn einer heißen Leidenschaft. Wo bei anderen Ehepaaren Fitnessgeräte und Autos stehen, blickt man heute bei Gerda und Werner Otto auf Puppenstuben, Kaufläden, Puppenküchen und Salons.

160 Exemplare sind es inzwischen, die sie auf Flohmärkten und sonstwo aufstöberte. Nicht nur für sich allein. Ihre Leidenschaft teilt die Stuttgarterin gern anderen mit - bis 2003 sind ihre kleinen Kunstwerke für Ausstellungen ausgebucht.

In vierzig davon kann man zur diesjährigen Weihnachtszeit in den Schaufenstern am Wittenbergplatz einen amüsanten Streifzug durch 100 Jahre Spielzeuggeschichte unternehmen. Einen lehrreichen auch. Drückt die ausgestellte Miniaturwelt doch aus, wie damals erzogen wurde - Mädchen walteten als künftige Hausfrauen in Küche und Salon. Jungen bekamen Kaufläden - nicht, weil sie alle Kaufleute werden sollten, sondern, um sich auf die Welt der Arbeit vorzubereiten. Spielzeug als Lehrmittel fürs Leben.

Heidemarie Mazuhn

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