zum Hauptinhalt

Berlin: Aufnahmebereit

Ob Kent Nagano oder die Pet Shop Boys – viele Musiker produzieren ihre CDs in Lichterfelde

„Ruhe Aufnahme“ gebietet die Leuchtschrift über der Eisentür des hell verputzten Ziegelbaus. Die Mahnung ist eigentlich unnötig. Denn nur Eingeweihte wissen, dass auf dem Gelände hinter der Finckensteinallee 36 in Lichterfelde das größte unabhängige Tonstudio Deutschlands für Klassik, Pop und Filmmusik liegt. Künstler wie Dirigent Kent Nagano schätzen das ruhige Gründerzeitviertel.

Das sporthallengroße „teldex“-Studio führt eine über fünfzigjährige Tradition in der Finckensteinallee fort. Die begann 1950 mit der „Telefunken“, die als Untermieterin in die Gebäude einzog, die 1890 als „Lichterfelder Festsäle“ gebaut worden waren. Festspiel- und Aufnahmebetrieb liefen bis 1954 parallel. Zu dieser Zeit produzierte Telefunken bereits gemeinsam mit der Firma Decca unter dem Label „Teldec“ Musik im Lichterfelder Idyll. In den ersten Jahrzehnten entstand meist Populäres: Hildegard Knef trat hier ans Mikrofon, Caterina Valente, Vico Torriani oder Manuela. In den 70er und 80er Jahren kamen dann Udo Lindenberg und Peter Maffay. Reinhard Mey, der immer noch kommt, nahm bei Teldec seine erste Platte auf. Als das Studio im Jahr 1989 vom Warner-Konzern übernommen wurde, verschoben sich die Inhalte erneut. Nun entstanden hier viele Klassikaufnahmen. Als Warner dem Trend folgte und den eigenen Studiobetrieb einstellte, drohte der Audioproduktion Ende 2001 das Aus.

Dass aus Teldec noch teldex wurde, ist der Erfolg der Tonmeister Martin Sauer, Tobias Lehmann und Friedemann Engelbrecht. Die drei übernahmen Anfang 2002 alle Räume, die komplette Technik und sicherten auch einem Teil der Mitarbeiter die Existenz. Da die bewegte Vergangenheit allein keinen Betrieb erhält, investierten die Musikmacher mehr als eine Million Euro in den Um- und Ausbau der Aufnahme- und Regieräume. Das zahlte sich aus. Daniel Barenboim kam mehrfach, um Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ einzuspielen. Der Steinway-Flügel und die einzigartige Akustik des Aufnahmesaals schaffen ideale Voraussetzungen für hohe musikalische Qualität. Die zwölf Cellisten der Berliner Philharmoniker proben experimentell „Music from the Movies“. Wenn sie „Das Lied vom Tod“ ganz unklassisch mit schrägen und überdehnten Tönen spielen, bekommen auch die verwöhnten Tontechniker hinter der Scheibe zum Kontrollraum noch eine Gänsehaut.

„Wir trennen nicht mehr zwischen Pop und Klassik. Wir wollen unsere Räume mit Leben und Musik füllen“, sagt Geschäftsführer Friedemann Engelbrecht. Beides gelang im Sommer mit dem Besuch von Britney Spears, die in Lichterfelde Teile ihrer neuen CD einspielte. Sonst arrangieren Popmusiker von Rosenstolz, über die Pet Shop Boys bis Sarah Connor hier ihre Songs. Der 46-jährige Engelbrecht pegelt den Sound ein und versteht sich als Mittler zwischen Kunst und Technik: „Wir Tonmeister sind mehr als reine Techniker, als Künstler sehen wir uns aber nicht.“

Eine glatte Untertreibung. Wenn Engelbrecht und seine Kollegen im Regie-Raum mischen, was sie nebenan oder auch in den Konzertsälen der Welt zwischen Amsterdam, Wien, London und New York mitschneiden, dann ist das Kunst. Sie sitzen zwischen unzähligen Reglern, Anzeigen und Computern und verflogen mit höchster Konzentration die Musik. Dann das Urteil: „Die Geige im zweiten Satz ist ein bisschen fett, und die Bratsche in den ersten Takten zu lahm.“ Solche Patzer werden durch perfekte Einsätze ersetzt – aus anderen Einspielungen. Für solche Tonkunst wurde das Team mittlerweile mit sechs Grammy Awards der US-Musikindustrie ausgezeichnet. Außerdem sind Dirigenten von Simon Rattle bis Nikolaus Harnoncourt des Lobes voll. Die Wiener Philharmoniker vertrauen den Ton-Meistern seit Jahren ihre Neujahrskonzerte an, dem Hit auf dem Klassikmarkt. Andere Musiker schätzen zudem die Ausrüstung des Studios. Jazztrompeter Till Brönner kommt beispielsweise wegen eines Mikrofons. Friedemann Engelbrecht deutet auf einen rund 30 Zentimeter hohe Metallzylinder: „Das sind unsere ,Neumann U47 Röhrenmikrofone‘.“ Sie sind 50 Jahre alt und stammen aus der Telefunken-Zeit. Das Alte hatte eben auch sein Gutes.

Thomas N. Riens

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false