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Berlin: Augen im Fadenkreuz

Fehlsichtigkeiten durch den Einsatz eines Lasers operativ zu korrigieren, wird immer beliebter. Wenn alles gut geht, haben die Patienten danach wieder 100 Prozent Sehkraft – dennoch bleiben Risiken

Augen zu lasern ist Mikrometerarbeit. In klitzekleinen Schritten richtet Joachim Köhler das Fadenkreuz auf das geöffnete Auge seiner Patientin aus. Immer wieder schaut der Arzt durch sein Okular, korrigiert, gibt über eine Computertastatur neue Steuerbefehle ein. Dann drückt Köhler den Auslöser. Laut knatternd jagen im Millisekundenabstand mehr als 3000 Laserblitze auf das Auge. Es sind unsichtbare Entladungen, denn der Laser arbeitet mit für Menschen nicht wahrnehmbarem ultraviolettem Licht; auf der Pupille sieht man nur den roten Zielpunkt.

Bei jedem Schuss entsteht eine mikroskopisch kleine Blase auf der Hornhaut, ein Stück Gewebe verdampft. „Der Laser ist so fein, dass man damit Worte in ein menschliches Haar gravieren könnte“, sagt Köhler. Bläschen für Bläschen „meißelt“ er eine Linse in die natürliche Hornhaut – eine eigene Brille also, direkt im Auge. Nach wenigen Sekunden ist die starke Sehhilfe, die die Patientin vorher tragen musste, überflüssig.

Diese „Lasik“ genannte Methode erlebt seit den 90er Jahren einen wahren Boom. Immer mehr Augenärzte stellen sich computergesteuerte Laser-Geräte in ihre Praxen, die leicht eine halbe Million Euro kosten können; allein in Berlin werben mittlerweile rund 20 Lasik-Center und -Kliniken um Kunden. Sie wissen, dass die Investition sich lohnen wird. Denn mittlerweile lassen sich in Deutschland jährlich rund 90 000 Menschen ihr Augenlicht per Laser korrigieren, schätzt der Berufsverband der Augenärzte. Dabei ist dieser Eingriff nicht billig. Um die 2000 Euro berechnen die Ärzte – pro Auge. Das ist ein Mehrfaches dessen, was selbst hochwertige Brillengläser kosten. Und die gesetzlichen Krankenkassen dürfen nichts davon übernehmen.

Silke Gerner hat sich davon nicht abschrecken lassen. Wir haben die 40-jährige Spandauerin noch mit Brille kennen gelernt, vor der Operation. Silke Gerner hasst ihre Brille. „Mein Sichtfeld ist eingeschränkt. Und dann diese hässlichen Abdrücke auf dem Nasenrücken.“ Aber ohne die Gläser kann sie ihre Umwelt nur schemenhaft wahrnehmen. Silke Gerner ist extrem kurzsichtig: Auf dem linken Auge hat sie minus 8 Dioptrien, auf dem rechten Auge sind es sogar minus 10,5. Kontaktlinsen? Hat sie jahrelang getragen, aber seit einiger Zeit verträgt sie sie nicht mehr. Eine Bindehautentzündung habe die Augen empfindlich gemacht.

Nun wartet sie in der Berliner Euroeyes-Klinik im Sony-Center, wo Joachim Köhler arbeitet. Die Praxis ist auf die ambulante Laserbehandlung von Sehschwächen spezialisiert und gehört zu einer Gruppe, die mit jährlich 6500 Eingriffen in sechs Filialen einer der größten Anbieter ist. Silke Gerner liegt in einem Sessel im Vorraum zum OP. Eine Schwester tröpfelt ihr Betäubungsmittel in die Augen und desinfiziert mit einem Wattebausch die Lider. Gerner muss für eine Viertelstunde die Augen schließen. So lange dauert es, bis die Betäubung wirkt. Über der OP-Tür leuchtet eine rote Lampe auf: „Laser“. Man hört das Knattern des Lasers. Komplikationen sind bei der Lasik-Methode selten – aber wie bei jeder Operation auch nicht ausgeschlossen.

Bei weniger als fünf Prozent der Eingriffe muss nachgearbeitet werden, sagt Christian Hartmann, Chef der Augenklinik der Charité am Virchow-Klinikum, wo schon vor fast 20 Jahren die ersten Laserbehandlungen gemacht wurden. „Und bei unter einem Prozent der Patienten kommt es zu schwereren Schäden an der Hornhaut.“

Zum Beispiel kann es zu Infektionen des Auges nach der Operation kommen. „Wenn sich der Patient die Augen reibt, solange die Hornhaut nicht wieder verheilt ist, könnten Krankheitserreger eindringen“, sagt Georg Eckert, Sprecher des Augenärzteverbandes. Die Folge: Unter Umständen vernarbt das Gewebe und trübt das Augenlicht. Bei manchen Patienten treten Sehbeschwerden auf: Doppelbilder und Lichthöfe, vor allem in der Dämmerung. Viel häufiger aber ärgern sie sich, weil die Sehkraft nach dem Eingriff nicht die gewünschten 100 Prozent erreiche, sagt Eckert. Natürlich erwarten die Kunden, dass der teure Laser sie von der Brille befreit – und sie nicht einfach nur eine schwächere tragen müssen.

Die Garantie, für immer ohne auszukommen, können die Ärzte aber nicht geben. „Wenn alles optimal läuft, dann hat man nach der Operation 100 Prozent Sehkraft“, sagt Augenarztsprecher Eckert. Künftige Verschlechterungen der Sehkraft – Brillenträger kennen das, weil sie oft alle paar Jahre eine neue, stärkere Brille benötigen – kann der Laser jedoch nicht verhindern. Ebensowenig wie die Alterssichtigkeit, also die nachlassende Fähigkeit des Auges, sich schnell auf Fern- und Nahsicht umzustellen . Und er ist auch nicht für alle geeignet. Laut Augenärzteverband ist die Lasik eine wissenschaftlich abgesicherte Korrekturmethode bei Menschen mit einer Kurzsichtigkeit bis minus 10 und einer Hornhautverkrümmung bis drei Dioptrien.

Aber nicht nur deshalb sollte die Operation – und nichts anderes ist auch die Laserkorrektur des Augenlichts – genau überlegt sein. „Holen Sie sich auf jeden Fall eine zweite Meinung ein“, rät Augenklinik-Chef Hartmann. Schließlich trage man Teile der Hornhaut ab, sie wird also dauerhaft geschwächt. „Das macht sie anfälliger für Beschädigungen.“

Silke Gerner liegt jetzt unter dem Lasergerät. Der Arzt deckt ein Tuch über ihr Gesicht, mit einem Loch für das rechte Auge und bittet sie, auf ein rotes Licht über ihr zu schauen. Mit einer Stahlklemme spreizt er die Lider. Dann setzt er das Messer an. Zunächst drückt er einen Metallring fest auf den Augapfel – „Wenn es wehtut, melden Sie sich, Frau Gerner“, sagt Köhler beruhigend –, dann führt er die Klinge. Wie bei einem Eierschneider trennt Köhler die Hornhaut des Auges fast ab. Mit einem Metallspatel nimmt er sie vorsichtig auf und klappt sie um. Die eben noch klare Haut über der Pupille ist plötzlich milchig. Der Hornhautlappen wird nach der Laserbehandlung wieder zurück geklappt, wo er die Wunde wie ein körpereigenes Pflaster dauerhaft verschließt.

Der Erfolg ist sofort und im wahrsten Sinne sichtbar: „Wie spät ist es“, fragt die Patientin, als sie aufsteht. „Schau’n Sie doch selbst“, sagt Köhler und zeigt auf eine Uhr an der Wand. Silke Gerner erkennt sie sofort. Zuvor hätte sie ohne Brille nicht einmal gesehen, dass da überhaupt eine Uhr hängt.

Silke Gerner hat den Eingriff nicht bereut. Postoperative Schmerzen im Auge, die manche Patienten quälen, blieben bei ihr aus. Trotzdem muss sie zum Nachlasern: Auf einem Auge habe sie noch immer nur 80 Prozent Sehkraft, sagt sie.

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