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Berlin: Auktion: Schnäppchen oder ein Haufen dreckige Socken

Zack! Wieder einmal klopft der Hammer auf den Tisch und besiegelt das Ende einer Versteigerung.

Zack! Wieder einmal klopft der Hammer auf den Tisch und besiegelt das Ende einer Versteigerung. Diesmal ging es um den eleganten grauen Hartschalenkoffer, der vor dem Auktionator auf seinen neuen Besitzer wartet. Jetzt hat ihn Bieternummer 270, ein unauffälliger Herr mit schwarzem Jaêkett, für 260 Mark ersteigert. Und als hätte er gerade einen Renoir erstanden, quittiert er mit professioneller Miene und zufriedenem Kopfnicken den Sieg nach einer schnellen Bieterrunde. Verdrossen schaut die Frau mit dem zweithöchsten Gebot zu ihm herüber. Aber noch warten Hunderte Koffer auf ihre Versteigerung. Der Herr indes hält nächste Runde gleich wieder sein Schild hoch. Ein Profi beim Bieten - innerhalb einer Stunde hat er schon fünf Gepäckstücke ersteigert.

In dem mit Menschen vollgestopften Atrium der Gropius-Passagen am U-Bahnhof Johannisthaler Chaussee treibt die schwüle Luft vielen den Schweiß auf die Stirn. Es ist ein Hoffen und Bangen: nicht nur, ob man den Zuschlag erhält, sondern auch, was sich in den Koffern befindet. Denn bei fast allen Gepäckstücken erfährt man erst im nachhinein, was drin ist. Einige, die gleich nach der Übergabe ungeduldig neugierig den Inhalt auspacken, freuen sich wie über einen Lottogewinn. Für andere bewahrheitet sich der Kauf als "Katze im Sack".

Eine junge Frau, die gerade für knapp fünfzig Mark eine neuwertige Tasche erstanden hat, wirkt ein wenig enttäuscht: "Das ist ja die reine Altkleidersammlung", sagt sie und wühlt in bunten Faltenröcken, Blusen mit Applikationen, Tüchern und Tischdecken. Wenige Meter weiter hat jemand Erfolg: "Bingo", ruft ein Mann erfreut. Drei nahezu neue Jeans und zwei hochwertige Jacketts kommen aus seinem Koffer zum Vorschein. Knapp hundert Mark hat er dafür hingeblättert - ein Schnäppchen. Währenddessen blättert ein anderer Käufer im Koran, den er aus einem Seitenfach der Reisetasche gezogen hat. Daneben entpuppt sich das vermutete Zelt als eine Paraglide-Ausrüstung.

"Zwanzsch, dreißsch, vierzisch Mark" - rasant zählt der Auktionator Heinz-Dieter Wendt im stilechten Hessisch die Gebote auf. Über 16 000 Gepäckstücke, die bei der Lufthansa liegengeblieben sind, kommen bei ihm im Auftrag der Fluggesellschaft pro Jahr unter den Hammer, jetzt erstmalig in Berlin. "Hier sind wir mit zwei LKWs hergefahren", sagt Wendt. Am heutigen Sonnabend sollen die restlichen Gepäckstücke an den Mann oder die Frau gebracht sein.

Bis zu drei Monate warten Taschen, Rucksäcke, Koffer und Jacken, seltener auch Rollstühle und Teppiche, dass ihr Besitzer sie abholt. "Dabei sind über fünfzig Angestellte bei der Lufthansa mit der Zuordnung beschäftigt", sagt Wendt. Wenn die Frist verstrichen ist, werden sie meistbietend versteigert. Und wenn dann zu große Erwartungen aufkommen, drückt er gern auf die Euphoriebremse: "Es müssen keine Highlights drin sein.", rief er vor Beginn der Auktion ins Mikrofon. Aber ein Spaß sei es allemal wert.

Henning Kraudzun

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