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Berlin: Aus der Weltstadt in die Zeltstadt

Gleich hinterm Hauptbahnhof sollen bald Camper ihr Glück finden: Jungunternehmer planen einen Platz für Rucksacktouristen

Jessica Zeller schiebt ein Büschel Gras zur Seite und zeigt auf den bröckelnden Balkon über dem leeren Schwimmbecken. „Da bauen wir die Bar drauf!“ Dann dreht sie sich einmal, richtet den Finger aufs Becken: „Das füllen wir mit Sand, unser Sportplatz!“ Wieder Drehung, wieder Zeigefinger – diesmal auf die Wiese hinter all den Ästen: „Und dort entsteht unser Campingplatz.“

Die Mittagssonne steht an diesem Tag über dem alten Schwimmbad neben dem Poststadion. Auf dem verwaisten Schwimmbadgelände soll bis 13. Mai ein Zeltplatz entstehen. Mitten in der Stadt, privat finanziert; Preis pro Nacht: ab acht Euro. „Es ist ein Experiment“, sagt Sarah Oßwald, 27, „warum sollen Camper immer nur am Stadtrand Berlins wohnen?“ Gerade haben sie den Vertrag unterschrieben, bis September soll der Campingplatz betrieben werden. Bis zu 125 Zelte sollen auf den Wiesen Platz finden.

So weit, so gut. Erst braucht das Projekt einige Vorbereitungen. Die alte Leiter am Sprungturm muss weg, damit niemand auf das wacklige Gerüst klettert. Die losen Kacheln und Steine sind zu befestigen, die alten Duschen des Schwimmbads zu putzen, das Unkraut zu entfernen und viel Sand ins Becken zu schütten. „Vorher müssen wir das Wasser rauspumpen“, sagt der gebürtige Tscheche Petr Barth und deutet auf die Reste der Winterniederschläge.

Neben Jessica Zeller und der Studentin Sarah Oßwald gehören auch die beiden Architekten Petr Barth, 40, und Bernd Häußler, 36, dazu. Zusammen haben sie das Projekt „Tentstation“ gegründet, was man vielleicht am besten mit „Zeltstation“ übersetzen könnte. Die vier haben dafür extra eine Firma gegründet; sie kommen aus Hessen und Bayern, leben schon länger in Berlin.

Freunde werden helfen, in Annoncen werden ältere Möbel gesucht, alles soll etwas rustikal wirken, nicht bieder, aber eben auch nicht zu Mitte-stylisch. In der Bar, die derzeit nicht viel mehr ist als ein staubiger, besprühter Balkon mit einem dunklen Dach, sollen Besucher später entspannt in der Abendsommersonne sitzen können. All die Arbeiten kosten viele zehntausend Euro und unschätzbare Arbeitsstunden. Doch warum sollte man die Idee nicht einfach umsetzen, sagt der Architekt Barth, „fangen wir an, mal sehen, wie es am Ende aussieht“. Lässig soll die Atmosphäre sein, nicht so verkrampft-organisiert wie an normalen Campingplätzen mit akkurat gezogenen Verkehrslinien und Ruhepause zur Mittagszeit.

Das, was nördlich des Hauptbahnhofs entsteht, wird zur WM die Zeltstadt sein. Einige hundert Meter entfernt entsteht ein WM-Caravanparkplatz, das „WM- Fancamp“ des Senats mit Großzelten liegt nebenan (siehe Kasten). Bei Tentstation will man mehr auf Charme setzen und auf Individualismus. Außerdem soll der Campingplatz nicht direkt mit der WM zu tun haben; die endet ja schon am 9. Juli. Während des Turniers wird aber ein Aufschlag verlangt.

Bislang sei das Areal ein „Geheimspielplatz“ gewesen, sagt Zeller. Statt genormter Turngeräte konnte man den alten Wachturm des Bademeisters erklimmen, über die Tribüne klettern oder einfach im leeren Schwimmbecken sonnen. Die neue Mitte mit all den Strandbars liegt nicht weit entfernt. Bei denen hat es auch sehr simpel angefangen. Mit ein paar Kisten Sand, Liegestühlen und kalten Getränken.

Mehr zum Thema im Internet unter

www.tentstation.de

André Görke

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