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Eine Frage der Sichtweise. Michael Ballhaus im Februar 2016, als er den Goldenen Ehrenbären der Berlinale für sein Lebenswerk überreicht bekam.

© dpa

Aus einem anderen Blickwinkel: Star-Kameramann Michael Ballhaus über den Grünen Star

Michael Ballhaus spricht über das Glaukom - das Leiden hat das wichtigste Instrument des legendären Kameramanns beeinträchtigt: sein Auge.

Herr Ballhaus, Sie leben schon seit Jahren mit einem Glaukom. Der Grüne Star ist eine besonders tückische Augenerkrankung, da sich Symptome meist erst wahrnehmen lassen, wenn die Schädigung des Sehnervs bereits weit vorangeschritten ist. Wie wurde die Diagnose bei Ihnen gestellt?
Das war damals per Zufall. Ich hatte meine Brille verloren und wollte mir bei einem Optiker in Amerika eine neue anfertigen lassen. Dort wurde unter anderem mein Augeninnendruck mit einem Luftdruckgerät gemessen. Der Druck war aber zu hoch. Der Optiker warnte mich: Wenn ich nicht schnell zum Augenarzt ginge, würde ich in zwei Jahren blind sein. Der Arzt fand dann heraus, dass die Sehkraft des linken Auges schon zur Hälfte gemindert war. Deshalb rate ich immer dazu, dass alle Leute möglichst bald zum Arzt gehen sollten, um ihren Augendruck überprüfen zu lassen.

Nur noch für kurze Zeit sehen zu können, klingt für jeden Menschen albtraumhaft. Wie hatten Sie und die Kollegen in Hollywood damals auf die Diagnose reagiert?
Ich war zunächst ziemlich verunsichert. Denn ich hatte ehrlich gesagt nie das Gefühl, dass mit meinen Augen etwas nicht in Ordnung sein könnte, geschweige denn überhaupt jemals an ein Glaukom gedacht. Ich habe es auch nie richtig gespürt, hatte zum Beispiel nie ein Druckgefühl oder Schmerzen auf den Augen. Dennoch war mir völlig klar, dass von dem Tag der Diagnose an etwas gegen das Voranschreiten des Grünen Stars unternommen werden muss. Und im Nachhinein verstand ich, warum ich im Studio manchmal gestolpert oder gegen etwas gelaufen bin. Den Kollegen habe ich zunächst nichts darüber erzählt, denn ich habe mich ja selbst gar nicht krank gefühlt. Im Gegenteil, ich habe normal weitergearbeitet. Sie dürfen nicht vergessen, das ist eine schleichende Krankheit, ich habe ja noch viele Jahre viele Filme gemacht.

Mittlerweile kann man den Grünen Star verhältnismäßig gut behandeln. Dadurch ist es glücklicherweise bei Ihnen auch bis heute nicht zur vollständigen Erblindung gekommen. Was müssen Betroffene bei der Therapie mit Augentropfen beachten?
Man muss kontinuierlich und zu den richtigen Zeiten tropfen. Außerdem lasse ich den Augendruck vom Augenarzt regelmäßig überprüfen. Wichtig ist das Bewusstsein für die Krankheit, denn man muss die Augentropfen nehmen, auch wenn man selbst keine Beschwerden bemerkt. Mit der Zeit gehören sie aber ganz selbstverständlich zum Alltag. Sie sind in meinen Tagesplan fest eingebaut, ich muss gar nicht mehr darüber nachdenken, wann es wieder Zeit dafür ist. Manchmal brennen die Tropfen etwas, das geht dann aber schnell wieder vorbei. Nachdem ich jedoch die Augentropfen bereits über zehn Jahre lang nahm, sagte mir ein deutscher Augenarzt, dass sie nicht mehr auf Dauer ausreichen würden.

Welcher nächste Behandlungsschritt stand dann an?
Mein Augenarzt in New York empfahl mir eine Kollegin in Los Angeles, die eine zu der Zeit neuartige Operation für Glaukompatienten durchführte und damit sehr erfolgreich war. An der richtigen Stelle am Auge wird eine kleine Öffnung geschnitten, wodurch die Augenflüssigkeit besser abfließen kann, was das Auge druckentlastet.

Ein Arzt der Universitäts-Augenklinik in Erlangen führt im Rahmen einer Glaukom-Vorbeugeuntersuchung an einer Frau eine Computeranalyse des Sehnervenkopfes durch.
Ein Arzt der Universitäts-Augenklinik in Erlangen führt im Rahmen einer Glaukom-Vorbeugeuntersuchung an einer Frau eine Computeranalyse des Sehnervenkopfes durch.

© picture-alliance/ dpa

Ich kannte die Klinik bereits, und die Ärztin war sehr nett. Sie operierte zunächst das eine Auge, zwei Wochen später das andere. Ich hatte großes Vertrauen in sie und ihre Kollegen und dadurch keine Angst vor dem Eingriff. Die Operation selbst verlief problemlos und schmerzfrei. Danach war der Augendruck erst einmal für sechs bis sieben Jahre reguliert. Es war erleichternd zu wissen, dass ich zunächst keine Tropfen mehr nehmen musste. Ich bin währenddessen aber natürlich immer noch zur Druckkontrolle gegangen. Leider schloss sich die Öffnung allmählich wieder, nach ungefähr sechs Jahren, und dieselbe Operation war ein zweites Mal nicht möglich. Seitdem greife ich wieder zu den Tropfen, morgens zur Frühstückszeit, abends gegen sechs Uhr und noch ein drittes Mal zur Nacht.

Und wie ging es dann weiter?
Es gab vor vier Jahren in Freiburg noch einmal eine andere Operation an den Augen unter lokaler Betäubung, nach der ich auf dem linken, das immer mein besseres Auge war, schlechter sehen konnte. Im Nachhinein erkannten zwei Professoren den Behandlungsfehler, da für diesen Eingriff eine Vollnarkose notwendig gewesen wäre. Da war ich natürlich furchtbar enttäuscht, denn anstatt dass ich wieder besser sehen konnte, wurden die Augen schlechter. Ich hatte überlegt, die Klinik zu verklagen, aber es hätte ja meinen Augen nicht geholfen.

Sie blieben auch im höheren Alter vielseitig aktiv, haben sich für Umweltschutz eingesetzt und gaben Ihr Wissen im Umgang mit der Kamera als Dozent an junge Filmschaffende weiter. War die Augenkrankheit schließlich der Grund für Sie, aus dem aktiven Filmgeschäft auszusteigen?
Ja, ich habe mich aus dem Berufsleben in Amerika vor acht Jahren zurückgezogen. Und der Film „The Departed“ von Martin Scorsese schien mir damals genau der richtige, um auszusteigen. Vor zwei Jahren allerdings habe ich mit meiner Frau Sherry Hormann dann doch noch einmal gedreht: „3096 Tage“ über Natascha Kampusch. Ich fand das Thema sehr wichtig und wusste, dass die Bildsprache eine Herausforderung werden würde, auch aus meiner Erfahrung als Kameramann. Denn die meiste Zeit spielt der Film in einem unterirdischen Raum von sieben Quadratmetern ohne Fenster. Außerdem arbeiteten wir an einem großen Monitor, mit dem ich die Bilder ganz gut erkennen konnte. Aber das Filmprojekt war für mich eine Ausnahme, weil es eine gut überschaubare Produktion war, die hauptsächlich im Studio stattfand.

Sie leben mittlerweile seit über zwei Jahrzehnten mit dem Grünen Star. Man könnte denken, dass gerade Sie als einer der weltbesten Kameramänner das Glaukom verfluchen. Wie nehmen Sie den Verlauf der Krankheit wahr?
In der Tat habe ich den Verlauf zum Teil mit großer Trauer wahrgenommen, wurde das Sehen doch nicht besser, sondern eher schlimmer.

Irgendwann aber habe ich diese Einstellung abgelegt. Ich sagte mir, das mit dem Sehen ist jetzt nicht mehr zu ändern, dann muss man sich eben auf andere Dinge konzentrieren. Und dabei habe ich die Welt, die man über das Gehör aufnimmt, für mich neu entdeckt. Nun höre ich viel Musik, Nachrichten im Radio und vor allem eins: Weltliteratur in Form von Hörbüchern. Früher habe ich sehr viele Drehbücher gelesen, aber verhältnismäßig wenig wunderbare Weltliteratur. Dafür war im Arbeitsleben leider nie genug Zeit. Umso mehr war es für mich eine riesige Entdeckung, eine ganz große Freude, eine überraschende und schöne Erfahrung, in diese neue Welt richtig einzusteigen. Dadurch ist der Schmerz, dass ich nicht mehr so gut sehen kann, gelindert. Außerdem habe ich eine wunderbare Frau, die mir in allen Lebenslagen hilft. Solange es so bleibt, wie es ist, bin ich deshalb auch nicht unzufrieden.

Michael Ballhaus (80) gilt als einer der besten Kameramänner der Welt. Mit Rainer Werner Fassbinder drehte er 15 Filme, später ging er nach Hollywood und arbeitete eng mit Regiegrößen wie Martin Scorsese, Robert Redford und Wolfgang Petersen zusammen. Ballhaus etablierte die Kamerafahrt um 360 Grad, den sogenannten „Ballhaus-Kreisel“. Er wurde dreimal für einen Oscar nominiert. Am vergangenen Donnerstag erhielt er den Goldenen Ehrenbären der Berlinale für sein Lebenswerk. Obwohl er seit 25 Jahren an der auch Grüner Star genannten Augenkrankheit Glaukom leidet, setzte sich der gebürtige Berliner, der heute in Zehlendorf wohnt, erst 2014 zur Ruhe. Über die fortschreitende Beeinträchtigung seines wichtigsten Sinnesorgans spricht er auch deshalb, weil er über die, wie er sagt, „heimtückische Krankheit“ Glaukom aufklären möchte. Der Grüne Star, auch Glaukom genannt, ist eine Schädigung der Sehnerven, die durch mangelnde Durchblutung und erhöhten Augeninnendruck verursacht wird. Das Tückische: Er bleibt lange unbemerkt und tut nicht weh. Bis sich die Sehkraft verschlechtert, können Jahre vergehen. Ab dem 40. Lebensjahr empfehlen Augenärzte eine jährliche Untersuchung. Diese wird allerdings nicht von den Kassen erstattet und kostet um die 20 Euro. Mehr Informationen zu Augenkrankheiten in „Tagesspiegel Gesund“ (Ausgabe 4: Auge & Ohr), erhältlich unter www.tagesspiegel.de/shop oder Tel. (030) 29021-520.

Leonard Hillmann

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