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Berlin: Ausblick durchs Zeitfenster

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wäre die Naturkatastrophe in Südasien nicht, würden wir noch etwas verschlafen ins neue Jahr blicken, nicht wahr? Doch auch das innenpolitische Getöse wird nicht lange auf sich warten lassen. Schließlich müssen sich die Politiker wieder ihren Hausaufgaben widmen.

Man hört und liest es bis zum Überdruss. Immerfort beteuert die Regierung, sie mache ihre Hausaufgaben. Und immerfort wirft ihr jemand vor, sie sei nicht in der Lage, dieselben ordentlich zu erledigen. Die FDPFraktion verlangt, Klaus Wowereit möge dem Parlament gefälligst in einer Regierungserklärung vorlegen, was er getan hat, damit man in einer Generaldebatte darüber reden könne, was alles bis zum „Superwahljahr 2006“ zu tun ist. 2006 stehen nämlich Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus an. Bis dahin vergeht die Zeit natürlich schneller, als man denkt. Pardon: Das Zeitfenster ist ziemlich eng, wie man neumodisch sagt.

Keine Debatte, ohne dass über die gute, schlechte oder gar teilweise Erledigung der Hausaufgaben schwadroniert wird. Man fühlt sich direkt an eine Schulklasse erinnert. Nur die Fallgruben der Grammatik haben viele wohl im Unterricht nicht bemerkt. Gewiss: Manchmal werden Probleme nur teilweise gelöst. Schrittweise kommt man voran. Allerdings gibt es kein schrittweises Vorangehen und keinen teilweisen Ärger bei der Lösung von Problemen. Das hat damit zu tun, dass man nicht beugen darf, was man nicht beugen kann. Wörter mit der Endsilbe -weise sind Adverbien, die sich nicht zu Adjektiven machen lassen. Folglich kann man sie auch nicht deklinieren. Umstandswörter beschreiben Verben, Adjektive beschreiben Substantive. Das wird teilweise missachtet. Der Senat will den Schuldenberg schrittweise abbauen. Dieser Vorsatz ist gut, es ist ein guter Vorsatz. Nur ist leider oft vom schrittweisen Abbau des Schuldenberges die Rede, und das auch noch im Rahmen eines bestimmten Zeitfensters.

Wenn Politiker ihre Vorhaben planen, setzen sie sich keine Frist mehr. I wo, es muss ein Zeitfenster sein. Manchen ist das Zeitfenster bis zur Entscheidung zu eng. Es soll Politiker geben, die bedauern, einen Termin absagen zu müssen, weil das Zeitfenster in ihrem Terminkalender zu ist. Ach, sie sollen ihre Arbeit erledigen, Neues gestalten, Fehler korrigieren, Debatten führen. Aber sie mögen uns mit eitlen Sprachbildern verschonen, die bloß alberne Leerformeln sind.

Man soll die Zeit nicht vertrödeln, sondern nutzen. Alle Zeit ist begrenzt. Die Zeit ist knapp, Zeit ist Geld. Doch wer hat bloß das Zeitfenster erfunden? Was bitte hat die Zeit mit einem Fenster zu tun? Wer aus dem Fenster blickt, sieht allerlei, aber die Zeit sieht er dabei gewiss nicht vorüberziehen.

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