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Doppelte Geduld. Wer hier steht, wartet auf eine Wartemarke.

© Thilo Rückeis

Ausländerbehörde: „Wie Bürger vierter Klasse“

Die Ausländerbehörde soll Visitenkarte der Stadt sein. Doch viele, die mit ihr zu tun haben, fühlen sich in Berlin alles andere als willkommen.

Es sieht aus, als würden sie tanzen. Nur die Musik fehlt an diesem Morgen, um 6 Uhr vor der Ausländerbehörde am Friedrich-Krause-Ufer in Wedding. Etwa 60 Menschen stehen in einer Schlange, gegen die Minusgrade hilft nur Bewegung. Zwei rauchende Sicherheitsleute würdigen die Gruppe keines Blickes. Bis jemand fragt, ob man nicht heute eine Ausnahme machen und im Eingangsbereich warten dürfe: „Hier kommt keiner vor sieben rein“, sagt einer der Männer.

Aria Guia aus Venezuela steht seit drei Uhr früh an. Für eine Wartenummer. Wenn sich in einer Stunde die Türen öffnen, beginnt der Sprint zum Automaten. Nach drei Minuten sind die Wartenummern aus. Von so einer Nummer aber hängt ab, wie das Leben der 24-Jährigen weitergeht. Nach dem Studienabschluss in Caracas wollte Guia Deutsch lernen und in Berlin einen Master in Literaturwissenschaften draufsetzen. Bei der deutschen Botschaft in Venezuela wurden ihre Unterlagen geprüft: Guia wird dem deutschen Staat nicht auf der Tasche liegen, befand man dort, sie bekommt monatlich Geld von ihren Eltern überwiesen. Der Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde aber reichte das nicht. Sie habe ein Sperrkonto mit knapp 8000 Euro verlangt, sagt Guia.

Das ist Ermessensspielraum, heißt es bei der Behörde. Guia hat aber keine 8000 Euro. In wenigen Tagen läuft ihr Visum aus. Jetzt bürgt die Tante ihrer Mitbewohnerin für sie. Zum vierten Mal steht Guia nachts vor der Behörde an. In einigen Stunden wird man ihr sagen, dass die Tante das falsche Formular ausgefüllt hat und sie wieder wegschicken. Beim fünften Besuch wird Guia schließlich auf eine andere Sachbearbeiterin treffen. Die Überweisungen der Eltern genügen vollkommen, wird sie Guia mitteilen.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit beschwört gerne das Ziel, eine „Willkommenskultur“ für Einwanderer in Berlin zu etablieren. Angestrebt werde eine „Kultur der Anerkennung“, steht im rot-schwarzen Regierungsprogramm.

Am Friedrich-Krause-Ufer, früh am Morgen, ist von diesem Anspruch nichts zu spüren. Engelhard Mazanke, seit 2004 Leiter der Ausländerbehörde, sagt, die Behörde habe große Fortschritte gemacht. Doch im Fall von Aria Guia sei scheinbar einiges schiefgegangen. Den Ermessensspielraum hält Mazanke dennoch für richtig. „Die Welt ist bunt“, jeder Fall müsse einzeln betrachtet werden.

Die Behörde arbeitet seit langem an einem Image als Dienstleister, sie bezeichnet die Menschen in der Schlange als Kunden. Aber aus Sicht des Migrationsrats Berlin Brandenburg (MRBB) reicht das nicht. „Die Menschen werden immer noch behandelt wie Bürger vierter Klasse“, sagt Angelina Weinbender, Geschäftsführerin des MRBB. Der Verband kritisiert seit Jahren schlechte Informationspolitik, übermäßige Wartezeiten und fehlende Dolmetscher. Das größte Problem sei aber der große Ermessensspielraum der Sachbearbeiter. Statt wirklich etwas zu ändern, habe man der Ausländerbehörde ein neues Leitbild verpasst. 2011 wurde eine lange Liste mit Empfehlungen des MRBB vom alten Senat abgelehnt. Nur die Forderung, dass die Internetseite der Behörde mehrsprachig werden soll, wurde aufgegriffen.

In den letzten Jahren habe sich bereits viel getan, sagt Andreas Statzkowski (CDU), Staatssekretär in der Innenverwaltung: Es gebe regelmäßige Schulungen, interkulturelle Kompetenz und Sprachkenntnisse spielten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter eine Rolle. Ein Beschwerdemanagement sei eingerichtet, aber man könne nie die Hand für alle Mitarbeiter ins Feuer legen.

„Ich kann mir vorstellen, dass wir uns den Forderungskatalog des MRBB noch mal vornehmen und prüfen, was umsetzbar ist“, sagt Statzkowski. Bedingung: Kosten dürfen dabei nicht entstehen. „Grundsätzlich gilt aber: Das Land Berlin hat Interesse, gut ausgebildete Personen auch für einen längeren Aufenthalt zu gewinnen.“

Eine der gut Ausgebildeten ist die 27-jährige Yasemin. Die Türkin steht seit 4 Uhr in der Warteschlange. Sie studiert Physik und ist mitten in den Masterabschlussprüfungen. Ob sie das Studium beenden darf, weiß sie nicht, ihre Aufenthaltserlaubnis läuft aus. Yasemin gehört zu jenen Einwanderern, die das Land dringend braucht: weiblich, bestens ausgebildet in einer Naturwissenschaft, mit Ambitionen in der Forschung. Bei der Ausländerbehörde zählten andere Werte, sagt sie. Sie hat ihr gesamtes Masterstudium auf Englisch absolviert und spricht kaum Deutsch. Die Sachbearbeiter sprächen aber teilweise kein Englisch. Jetzt hat sie Angst vor dem Termin.

Den meisten, aber nicht allen Mitarbeitern falle der Umgang mit der Fremdsprache leicht, sagt Behördenleiter Mazanke. Viele hätten einen niedrigen Bildungsabschluss. 190 000 Kundenkontakte sind im Jahr zu bewältigen, Tendenz steigend.

Es ist die Summe vieler Hindernisse, die zu dem führen, was Barbara John als „Haut-wieder-ab-Kultur“ bezeichnet. John war bis 2003 Berliner Ausländerbeauftragte, ist heute Ombudsfrau für die Hinterbliebenen des rechten Terrors des NSU. „Die Ausländerbehörde ist nur so gut wie ihr schlechtester Mitarbeiter“, sagt sie. „Man muss die Praxis sehen, um sie zu glauben“, sagt John, die sich selbst schon bei Minusgraden vor der Behörde angestellt hat. „Der Innensenator sollte das auch einmal inkognito tun“, rät sie.

Yasemin, die Physikstudentin, hatte auf zwei Jahre Aufenthaltserlaubnis gehofft. Am Ende wird sie zehn Monate Verlängerung bekommen, danach muss ihr Professor ein Gutachten einreichen, und sie muss wieder ans Friedrich-Krause-Ufer kommen. „Aber ich glaube nicht, dass ich mir das noch einmal antue.“

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