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Berlin: Auslese auf Slowenisch

Ljubljana, km 1325: Was dem einen sein Mercedes, ist Urška Cerne ihre Sprache – ein Symbol. Bald kommt ihr übersetzter Grass in die slowenischen Buchläden. Startauflage: 600 Stück

Wenn Urška Cerne wieder mal einen ReichRanicki oder Grass ins Slowenische übersetzt hat, kommt er mit einer Auflage von 600 Exemplaren in die Buchhandlungen des Landes. Die Slowenen sind ein lesefreudiges Volk, berichtet Urška Cerne. Aber es gibt nur zwei Millionen von ihnen, die obendrein lieber in die Bibliothek gehen, weil die Geldmittel knapp und Bücher teuer sind.

Wenn Ende April ein Goethe-Institut in Ljubljana eröffnet, wird vielleicht sogar eine für Urška Cerne passende Stelle ausgeschrieben. Sie will das im Auge behalten, aber darauf angewiesen ist sie nicht; sie kommt auch als Freiberuflerin zurecht. Der Staat fördert Schriftstellerverband und einige freiberufliche Künstler, zahlt Betriebskosten für Theater und Opern, und auch für manche Literaturübersetzungen gibt es Zuschüsse.

Urška Cerne hat Jura, vergleichende Literaturwissenschaft und Germanistik studiert. Aufgewachsen ist sie in Sloweniens zweitgrößter Stadt Maribor, wo sie – wie alle Kinder in jugoslawischen Schulen – acht Jahre Englisch gelernt hat. Dass Russisch nicht auf dem Lehrplan stand, erklärt die 32-Jährige mit einem persönlichen Zerwürfnis zwischen Tito und Stalin. Ihr druckreifes Deutsch verdankt sie ihrer hessischen Großmutter und dem Ort ihrer Heimat: „Wenn ich lieber Milka haben wollte als jugoslawische Schokolade, dann ist meine Mutter mit mir die 16 Kilometer bis nach Österreich gefahren.“ Slowenien ist kein großes Land, aber die gefühlte Entfernung nach Graz war stets geringer als die in die Hauptstadt.

Da ist die EU-Mitgliedschaft selbstverständlich – auch wenn Urška Cerne ein „Jugoslawien-Syndrom“ kommen sieht: Früher kamen die Vorschriften aus Belgrad, bald kommen sie aus Brüssel. „Da wird viel Ignoranz auf uns zukommen. Das wird den Leuten wehtun. Slowenien, Slawonien, Slowakien?“ Urška Cerne ahnt nichts Gutes. Sie ist ja schon froh, wenn sich herumspricht, dass Slowenien nicht Dritte Welt ist. An der Begegnung mit einem Deutschen, der ihr auf einem Literaturkongress verständnisvollen Blickes einen Umschlag mit Geld in die Hand drückte, hat sie noch immer zu knabbern: „Ich fand das eine echte Beleidigung!“

Mitleid haben die Slowenen nicht mit sich selbst, sondern mit Ukrainern und Rumänen. Und ein bisschen mit Makedoniern und Kosovo-Albanern, aber die Sympathien für die einstigen jugoslawischen Mitbürger sind begrenzt. Mit Kroatien wird noch um Bankguthaben, ein gemeinsames Kernkraftwerk und den Grenzverlauf verhandelt; manchmal geraten sich auch Fischer auf der Adria in die Haare. Und Namen auf „-ic“ haben keinen guten Klang, weil seit den Kriegen alles Serbische suspekt ist, sagt Urška Cerne.

Sie findet, dass den Slowenen ein Nationalsymbol fehlt. Eine Art Mercedes oder Schweizer Uhr. Die Sprache könne das ersetzen, sagt sie. Ihr Beitrag dazu ist in jeder slowenischen Buchhandlung zu finden.

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