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In den ehemaligen Hangars des Tempelhofer Flughafens leben derzeit 2000 Flüchtlinge.

© dpa

Ausnahmezustand Flüchtlingskrise: Die Aussetzung der Regeln erfordert erst recht Transparenz

Die Flüchtlingskrise zwingt Berlins Senat zu Auftragsvergaben auf kurzem Dienstweg. Das schürt Misstrauen und ist gefährlich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ralf Schönball

Mit glänzenden Augen erzählte ein Siemens-Manager, wie Regierungskader in China die Strecke für eine Schnellbahntrasse festlegten: Sie zückten ein Lineal und zogen mit dem Rotstift eine Gerade quer über die Landkarte von dem einen Bahnhof zum anderen – alle Dörfer und Orte im Wege: dem Abriss geweiht.

Wo die Mächtigen die Macht haben, mit einem Federstrich Recht zu beugen, zu dehnen oder zu brechen, da sind Not- und Ausnahmezustand nicht weit. Man muss nicht mal den Rechtsphilosophen Carl Schmitt gelesen haben, um zu wissen, wie gefährlich solche Diktate werden können – auch in Staaten ohne Diktatur.

Gut also, dass der Senat den „administrativen Notstand“ sehr ausführlich erklärt und begründet hat und so seine Entscheidung rechtfertigt, alle Gesetze des Wettbewerbs bei der Vergabe von Planungsleistungen für das „Ankommenszentrum“ am Flughafen Tempelhof außer Kraft zu setzen. Lobenswert auch, dass er eine Frist von zehn Tagen für Einsprüche gegen diese Entscheidung einräumte.

Es muss Grenzen geben, wenn es um Millionengeschäfte geht

Die Not mag zu Ausnahmen zwingen, aber es muss Grenzen geben, zumal es hier um Millionengeschäfte geht. Deshalb müssen die Folgen der bürokratischen Bankrotterklärung zum öffentlichen Thema werden und der Senat sollte mit mehr Transparenz das Weniger an Regeln bei Vergaben auf kurzem Dienstweg kompensieren. Jeder in der Stadt sollte wissen, welche Aufträge das Land für den Bau modularer Unterkünfte, für die Bewachung derselben, für die Speisung der Neu-Berliner, die Beheizung der Unterkünfte frei vergibt, weil keine Zeit bleibt, um Ergebnisse öffentlicher oder europaweiter Ausschreibungen abzuwarten. Jeder sollte wissen, welche Summen im Spiel sind, wer die Firmen sind, die der Senat um ein Angebot bittet – wer den lukrativen Auftrag bekommt und warum.

Stattdessen versteckt der Senat die jüngste Veröffentlichung zu Tempelhof auf hoch spezialisierten Plattformen im Internet, die allenfalls ein Kreis von Spezialisten auf der Jagd nach Aufträgen flöht. So schürt man Misstrauen.

Ohne klare Regeln steht die Tür offen für Vetternwirtschaft und Korruption

Warum nur? Mit der Aussetzung der bewährten Ausschreibungsregeln ist die Tür weit offen für Vetternwirtschaft, Kungeleien, für dunkle Geschäfte aller Art. Seit wenigen Tagen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen Landesangestellten, der die Betriebsgenehmigung für Flüchtlingsunterkünfte an die Beauftragung eines Wachschutzes gekoppelt haben soll, auf dessen Gehaltsliste er mutmaßlich stand.

Dreist wäre das, auch ein bisschen dumm, und nur solche Fälle von Korruption fliegen meistens auf. Wie leicht aber könnte es sein, der Firma meiner Wahl den Auftrag zuzuschanzen, wenn ich eine Handvoll anderer Unternehmen bloß zur Abgabe von Offerten auffordern muss. Im Fall von Tempelhof trudelte nur ein einziges Angebot ein – alternativlos eben.

Die Aussetzung der Regeln erfordert erst recht Transparenz

Das muss nichts heißen, längst nicht alle Staatsbedienstete sind verführbar und bei Weitem nicht alle Firmen schmieren, um Aufträge des Landes zu ergattern. Im Interesse der Ehrlichen und auch um die Landeskassen zu schonen, brauchen nicht-offene Verfahren schonungslose Öffentlichkeit.

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