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Ruine Falkenberg.

© dpa

Ausrangierte Bahnhöfe: Der Mann, der ganze Bahnhöfe verkauft

Die Bahn trennt sich von alten Stationsgebäuden. Es gibt sogar Interessenten: Ein Brandenburger hat daraus ein Geschäft gemacht.

Grauer Pferdeschwanz, Lachfalten, offenes Karohemd: Thomas Wittstock ist äußerlich nicht unbedingt das, was man sich unter einem typischen Immobilienunternehmer vorstellt. Trotzdem ist der 63-Jährige einer – mit besonderen Immobilien: Wittstock kauft Bahnhöfe. An einem Sommertag steht er auf dem Bahnsteig vor dem Bahnhof, in den er selbst eingezogen ist. Er liegt im brandenburgischen Falkenberg/Mark, im Oderbruch, nordöstlich von Berlin. Das Empfangsgebäude ist eines von inzwischen neun ehemaligen Bahnimmobilien, die Wittstock in den vergangenen Jahren gekauft hat.

Wittstock tut an den Gebäuden, was nötig ist, und vermietet sie weiter. Mit den Mieteinnahmen finanziert er den Kauf. „Ich hab' gesehen: Die lassen sich amortisieren“, sagt er. In vier bis fünf Jahren sei der Kaufpreis abbezahlt. „Die Gebäude sind so, dass man sie mit relativ geringem Aufwand auch für heutige Verhältnisse vermieten kann“, sagt er. „Zumindest, wenn man nicht zwei linke Hände hat.“

Mehr als 2100 Empfangsgebäude wurden verkauft

Bereits seit längerem verkauft die Bahn nach und nach Bahnhofsgebäude, die sie für den laufenden Betrieb nicht mehr braucht. Mehr als 2100 Empfangsgebäude haben seit 1999 den Besitzer gewechselt. Käufer sind sowohl Privatleute und Unternehmen als auch Kommunen. Die neue Nutzung hängt vom Käufer ab: Im brandenburgischen Bad Saarow (Oder-Spree) sitzt im alten Bahnhof heute das Standesamt, in Bad Wilsnack (Prignitz) die Touristen-Information und ein Bistro. Im sächsischen Glashütte im Erzgebirge hingegen gehört das Bahnhofsgebäude nun zu einer dort ansässigen Uhrenmanufaktur.

Andere alte Bahnhofsgebäude in ganz Deutschland werden etwa als Groß-WG, Veranstaltungsbühne oder Atelier genutzt – wie der Bahnhof von Thomas Wittstock in Falkenberg. Seine Lebensgefährtin Ariane Boss ist Künstlerin und hat ihren Arbeitsplatz im Erdgeschoss des alten Stellwerks eingerichtet. Auf die Idee, in alte Bahnhöfe zu investieren, kam Wittstock zufällig, als er nach einem neuen Wohn- und Arbeitsraum für sie suchte. Er habe festgestellt, dass sich gerade in Ostdeutschland viele alte Bahnhöfe relativ günstig kaufen ließen, sagt er. Erst kaufte er einen Wohnblock mit Bahnbeamten-Wohnungen, dann kamen auch Empfangsgebäude hinzu. „Wir haben das eine gesucht und das andere gefunden“, sagt er. Auf dem Gelände des Falkenberger Bahnhofs wohnen mit allen Untermietern inzwischen zwei Dutzend Menschen.

„Der Zug um halb elf ist unser Gute-Nacht-Zug"

Wenn ein Bahnhofsgebäude verkauft wird, heißt das freilich nicht, dass an dem Bahnhof keine Züge mehr halten. Am Bahnsteig vor dem Falkenberger Bahnhof hält zweimal stündlich die Regionalbahn. Nur stammen die meisten Empfangsgebäude, welche die Bahn heute verkauft, aus dem Dampflokzeitalter. Wo es früher Stationsvorsteher, Schalterbeamte und Gepäckabfertiger brauchte, reichen heute an ländlichen Haltepunkten ein Bahnsteig und ein Fahrkartenautomat. Damit muss auch kein Bahnpersonal mehr im Bahnhof wohnen. Die Gebäude aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert sind damit zu groß und für den Bahnbetrieb überflüssig.

In Falkenberg ersetzt jetzt ein Wartehäuschen „Marke Bushaltestelle“ – so Wittstock – das Empfangsgebäude. Der Bahnbetrieb läuft vor seiner Tür weiter. Der Lärm der Züge stört ihn nicht. „Die meisten Leute wohnen doch an einer Straße, wo es den ganzen Tag tost.“ Die regelmäßige Regionalbahn gebe dem Leben hingegen einen Rhythmus: „Der Zug um halb elf ist unser Gute-Nacht-Zug - wenn der da war, kann man getrost ins Bett gehen.“

Ein Bahnhof für 28.000 Euro

Darüber, was die Bahn mit dem Verkauf der alten Bahnhöfe verdient, hüllt sich das Unternehmen in Schweigen. Besonders viel ist es wohl nicht. Ziel bei den Verkäufen sei es, wirtschaftliche und andere Risiken für die Deutsche Bahn zu reduzieren, sagt ein Sprecher. Die Bahn will also vor allem verhindern, dass die nicht mehr benötigten Gebäude weiter Geld kosten.

Bei den Angeboten auf der Website der Immobilientochter der Bahn schwanken die Preise für Bahnhofsgebäude nach Lage und Zustand. Ein Dorfbahnhof auf der schwäbischen Alb in Baden-Württemberg, 280 Quadratmeter Wohnfläche, renovierungsbedürftiger Zustand, ist für 80 000 Euro zu haben. Das kleinere Gebäude eines Bahnhofs in Heidelberg soll hingegen schon 525 000 Euro kosten. Der Bahnhof von Schnabelwaid im ländlichen Oberfranken (Bayern) ging hingegen für nur 28 000 Euro an einen neuen Besitzer. (dpa)

Bastian Benrath

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