zum Hauptinhalt
Das Flugzeug sollte eigentlich zu einem Lokal umgebaut werden. Doch Bauvorschriften verhinderten dies. So dämmerte die TU 134-A viele Jahre in einem Dorf hinter der Brandenburger Grenze vor sich hin.

© dpa

Ausrangierte TU 134-A: Die Zeitmaschine

Erst im Dienst der Sowjets und der Stasi, landete eine Tupolew einst im Garten eins Dorfwirts. Jetzt geht das Flugzeug erneut auf Reise.

Von Sandra Dassler

Die Offiziere der Roten Armee lachten sich schlapp. Dabei gab es am Können der Antiterroreinheit, die ihnen Mitte der 80er Jahre vorgestellt wurde, eigentlich nichts zu beanstanden. Die Elitekräfte, die im Auftrag der DDR-Staatssicherheit in Wartin bei Prenzlau ausgebildet wurden, waren fit, keine Frage. Lustig fanden die sowjetischen Genossen aber, dass die Sondereinheiten die Beendigung von Flugzeugentführungen in einer Holzröhre übten.

Die Sowjets versprachen Abhilfe: Kurze Zeit später stellten sie den Kollegen in Wartin ein ausrangiertes Flugzeug der Luftfahrtgesellschaft Aeroflot, eine Tupolew, genauer gesagt eine TU 134-A, zur Verfügung. Damit begann eine wechselvolle Geschichte, die – wenn alles nach Plan verläuft – demnächst in Cottbus ihren vorläufigen Abschluss findet.

Die ausrangierte Tupolew flog nach Schönefeld, wurde auseinandergebaut, nach Wartin transportiert und dort wieder zusammengesetzt. Bis zum Mauerfall konnten die Spezialkräfte aus der DDR und den sogenannten jungen Nationalstaaten nun in einem richtigen Flugzeug den Umgang mit Geiselnehmern üben.

Lot war bei Entführern begehrt

So selten waren Flugzeugentführungen nämlich nicht, versuchten doch gerade DDR-Bürger mehrmals die Flucht in den Westen mittels gekaperter Flieger. Allein 20 Mal endeten solche Entführungen aus dem Osten in den siebziger und achtziger Jahren auf dem Flughafen Tempelhof. Oft waren es Maschinen der polnischen „Lot“, was man in Berlin daher gern mit „Landet ooch Tempelhof“ übersetzte. Mit dem Fall der Mauer endete dieses Kapitel, und wenig später gab es auch die Dienststelle in Wartin nicht mehr. Die Tupolew stand da aber immer noch und ein Gastwirt namens Ernst Baumann aus dem nahe gelegenen Dörfchen Grünz im Südwestzipfel Vorpommerns an der Grenze zu Brandenburg hatte Großes mit ihr vor.

„Auf Reisen in die Sowjetunion, also genauer gesagt in Kiew und Lwow, aber auch in Bulgarien und zwischen Budapest und Wien hatte ich Flugzeuge gesehen, die in Gaststätten oder Cafés verwandelt worden waren“, erzählt Baumann, der schon zu DDR-Zeiten ein etwas anderer Gastronom war. „Bei uns gab es auch vor der Wende weiße Tischdecken und eine richtige Speisekarte, wir waren eine der wenigen Dorfgaststätten mit Preisstufe 2“, erzählt er stolz. „Aber nach dem Mauerfall wollte keiner mehr das gute neue Westgeld für teuer gewordenes Bier ausgeben. Da mussten wir uns was einfallen lassen.“ Und weil seine Frau und er von einem Eiscafé im Flugzeug träumten, kaufte er die Tupolew. „Mit neun Traktoren haben wir sie im Herbst 1991 vier Kilometer über die abgeernteten Felder bis zu meinem Grundstück geschleppt. Zwei Tage hat das gedauert, einmal sackte sie tief in eine Wiese ein.“

Kein Wunder. Immerhin ist die TU 134-A neun Meter hoch, fast 30 Meter lang, 37 Meter an den Flügeln breit und gut 25 Tonnen schwer. Knapp 80 Passagiere konnte sie befördern – genauso viele Menschen wohnen in Grünz.

Zum Kärchern auf den Düsenjet

„Irgendwann hatte ich endlich alle Genehmigungen zusammen“, erzählt Baumann: „Aber dann hat der Chef vom Gewerbeaufsichtsamt mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Als Grund sei ihm mitgeteilt worden, dass ein neues für Gaststätten eine Raumhöhe von 2,40 Meter vorschreibe. „Der Innenraum der Tupolew war aber nur zwei Meter hoch“, sagt Baumann: „Es sei für das Personal unzumutbar, in so niedrigen Räumen zu arbeiten“, zitiert er die Behörden. „Für das Personal, das mit solchen Maschinen flog, galt das offenbar nicht.“ Und so scheiterte Baumanns großer Traum letztlich an 40 Zentimetern. Eine Zeit lang hoffte er noch auf eine Ausnahme, aber die Behörden blieben hart.

Die Tupolew stand ungenutzt, aber immer wieder bestaunt im Garten der Gaststätte „Deutsches Haus“ in Grünz. Manchmal führte Baumann Besucher zu ihr, und jedes Jahr reinigte er das Flugzeug gründlich, kletterte gar zum Kärchern auf die Maschine. Doch das wurde immer beschwerlicher, immerhin ist der Gastwirt jetzt 80 und feiert bald diamantene Hochzeit. „Schrotthändler haben mir immer mal wieder angeboten, die Maschine zu kaufen“, sagt er. „Aber das hätte mir zu sehr wehgetan. Ich wollte, dass sie in gute Hände kommt.“

Blick ins Innere der TU 134-A.
Blick ins Innere der TU 134-A.

© dpa

Wenigstens dieser Wunsch scheint sich nun zu erfüllen. Seit vergangener Woche bauen Mitglieder des Vereins, der das Flugplatzmuseum Cottbus betreibt, die Tupolew mal wieder auseinander. Langsam und vorsichtig, denn in der Lausitz soll sie wieder aufgebaut werden. „Sie ist ein Glücksfall für unser Museum“, sagt Projektleiter Enrico Peiler. Ein Bekannter habe dem Verein, der sich ausschließlich aus Eintrittsgeldern der jährlich etwa 10 000 Besucher, den Beiträgen seiner 84 Mitglieder und aus Spenden finanziert, vom Flugzeug erzählt. Im November habe man sich auf einen Preis geeinigt, und nun nutzen die Männer um Enrico Peiler ihren Jahresurlaub, um das Flugzeug zu zerlegen. „Die ganz großen Teile werden wir erst im Herbst mit Schwertransportern nach Cottbus schaffen“, sagt Peiler. „Die Restauration wird aufwendig, wir hoffen, dass wir noch Spenden auftreiben können. Mitte nächsten Jahres können wir die Tupolew dann wohl zusätzlich zu den bereits ausgestellten 40 Flugzeugen und Hubschraubern präsentieren.“

Zwar gibt es bereits eine Handvoll Tupolews in deutschen Museen: „Unsere ist aber die einzige echte Aeroflot-Maschine“, sagt Peiler. „Deshalb wollen wir auch einen Teil der Originalausstattung behalten. Im Flugzeugheck soll es aber auch eine kleine Ausstellung zur Stasi-Vergangenheit der Tupolew geben.“

Gastwirt Ernst Baumann mag sich noch gar nicht so richtig vorstellen, wie es sein wird, wenn er aus dem Fenster blickt und kein Flugzeug mehr im Garten steht. „Aber wenn ich es nicht mehr aushalte, dann kann ich ja jederzeit nach Cottbus fahren.“

Zur Startseite