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Die Sorgen-Bahn. Damit es künftig weniger Ausfälle gibt, wird ein neuer Betreiber gesucht. Doch viele der potenziellen Interessenten aus aller Welt sind schon abgesprungen. Die Deutsche Bahn will es jedenfalls noch mal versuchen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ausschreibung verfehlt ihre Ziele: Deutsche Bahn wird Berliner S-Bahn wohl wieder betreiben

Der alte Betreiber der S-Bahn wird vermutlich auch der neue sein. Der Senat hat offensichtlich so hohe Anforderungen gestellt, dass fast alle Bewerber aus dem laufenden Ausschreibungsverfahren aussteigen.

Die alte S-Bahn wird wohl auch die neue sein. In der laufenden Ausschreibung für den Betrieb auf dem Ring und dessen Zulaufstrecken im Südosten sind nur noch zwei Bieter im Rennen: Die übermächtige Deutsche Bahn mit ihrer Tochter S-Bahn Berlin und das britische Unternehmen National Express, dessen Deutschland-Chef Tobias Richter sich nur „Außenseiterchancen“ gibt. Das vom Senat initiierte Ausschreibungsverfahren sei zu kompliziert und habe andere Bewerber zur Aufgabe bewogen, sagte Richter dem Tagesspiegel.

Auch die mit großen Hoffnungen gestartete RATP, die den Nahverkehr rings um Paris betreibt und weltweit aktiv ist, habe sich zurückgezogen, bestätigte das Unternehmen. Dabei sollte ein Erfolg bei der Bewerbung in Berlin zum Sprungbrett für ein deutschlandweites Engagement werden. Nicht mehr dabei sind auch MTR aus Hongkong sowie JR East aus Japan. Aus Deutschland hatte sich erst gar kein anderes Verkehrsunternehmen beworben. Im Verfahren befindet sich noch der Zughersteller Bombardier, der für den Betrieb aber auch auf einen Betreiber angewiesen wäre.

Das Ziel, einen erneuten Betriebszusammenbruch bei der S-Bahn zu vermeiden, habe vermutlich zu Anforderungen geführt, die teilweise nicht oder nur mit einem erheblichen finanziellen Aufwand zu erfüllen seien, sagte Richter.

Als Beispiel nannte er unter anderem die Forderung, die neuen Züge mit Schiebetritten auszurüsten, die einen möglichen Spalt zwischen dem Fahrzeug und dem Bahnsteig überbrücken sollen. Die Fahrzeit auf dem Ring würde sich dann um viereinhalb Minuten verlängern, hat Richters Mannschaft ausgerechnet. Derzeit sind die Züge planmäßig 60 Minuten unterwegs; laut Ausschreibung sollte die Fahrzeit aber sogar auf 59 Minuten verkürzt werden. Die Schiebetritte seien nun weg, sagte Richter. Er hält die bewährten Klapprampen für ausreichend.

Eine weitere – unerfüllbare – Forderung sei eine Garantie gewesen, dass der Lack der Fahrzeuge 40 Jahre halten müsse. Spätestens nach dreimaligem Entfernen von Graffiti sei aber ein Neulack erforderlich, sagte Richter. Und Schmierereien an Zügen gehörten immer noch zum Berliner Alltag. Unmögliches hätten die Ausschreiber auch bei der Übergabe der Fahrzeuge nach Auslaufen des auf 15 Jahre befristeten Betreibervertrags verlangt – nämlich das Prüfen „jeder Komponente.“ Dies hätte dazu geführt, dass man die Bahnen komplett hätte zerlegen und wieder zusammenbauen müssen. Der Senat wollte so erreichen, dass ein Betreiber die von ihm beschafften Fahrzeuge bis zum letzten Tag sorgsam pflegt, auch wenn längst klar sein sollte, dass er den Folgeauftrag verlieren würde.

Um sich für alle Eventualitäten abzusichern, habe es bei den Anforderungen eine einmalige „Detailfülle“ gegeben – mit bis zu zehn Änderungen am Tag. Er hätte sich oft mehr technischen Sachverstand gewünscht, sagte Richter. Für die Ausschreibung sind gleich drei Instanzen zuständig: Der Senat, das von ihm engagierte Beratungsunternehmen KCW und der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Sie sind sich nach Angaben von Insidern auch untereinander nicht „grün“.

Die Vorgaben seien mit den Bewerbern diskutiert worden, sagte die Sprecherin des Verkehrsverbundes, Brigitta Köttel. Zugeständnisse könnten sich im Laufe des Verfahrens noch ergeben.

Auch die Vorgabe, die geforderten rund 400 Wagen vom künftigen Betreiber finanzieren zu lassen, ist nach Ansicht von Richter von privaten Unternehmen kaum zu erfüllen. Unter anderem wollten Banken wissen, welches Unternehmen die Züge herstellen wird. So lange aber die technischen Anforderungen nicht in einem sogenannten Lastenheft zusammengefasst seien, könne man keine Verträge mit Herstellern schließen.

Noch immer sei nicht einmal klar, ob die neuen Züge klimatisiert werden oder darauf verzichtet wird, weil der Effekt im Alltag ohnehin gering sei, sagte Richter. Nach Angaben von Insidern rechnet man damit, dass ein Doppelwagen zwischen 4 und 4,4 Millionen Euro kosten wird. Eine Bürgschaft oder gar einen Kauf auf eigene Rechnung hat Berlin, anders als andere Bundesländer, abgelehnt. Durch einen geschickten Schachzug der Deutschen Bahn können sich Bewerber für den Betrieb zudem noch nicht auf einen Hersteller festlegen. Die Bahn hat einen Auftrag für gleich 1300 Wagen ausgeschrieben. Und bevor nicht feststeht, wer ihn gewinnt, lasse sich ein Hersteller auf keinen anderen Kandidaten ein, sagte ein Mitarbeiter eines Bewerbers. Allerdings hat National Express eine ähnliche Ausschreibung gestartet – und nach Richters Angaben Interessenten gefunden.

Richter will trotzdem noch nicht aufgeben. Als gebürtiger Berliner hängt sein Herz an der S-Bahn, und er werde – noch – vom Mutterunternehmen bei der Bewerbung unterstützt. Ziel sei es, den Fahrgästen ein optimales Angebot zu machen. „Aber nicht um jeden Preis“, machte Richter klar. Der Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn für Berlin-Brandenburg, Ulrich Knauer, fasst die Ausschreibung so zusammen: „Als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet.“

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