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Rechte Demonstranten bei einer Kundgebung im August in Berlin-Spandau.

©  imago

Ausschreitungen in Ostdeutschland: Ein extremer Standortnachteil?

Chemnitz und Köthen lieferten der Welt erschreckende Bilder aus Ostdeutschland. Könnte dies auch den guten Ruf Berlins als weltoffene Wirtschaftsmetropole beschädigen?

Der Marke Berlin geht es fantastisch. „A Titan of Europe“ überschrieb die „Times“ im Frühjahr einen euphorischen Titel und erklärte das Standortrennen um die Pole-Position in Sachen Business und Innovation nach dem Brexit für eröffnet. Und Berlin, so die „Times“, liege in Führung. Ein allzu wohlmeinender Ausreißer? Nein. Denn wer sich umhört auf der Welt, bekommt zu hören, dass Berlin dynamisch und dabei noch erschwinglich sei, ein idealer Standort für Existenzgründer und Kreative. Die anekdotische Evidenz dafür liefern Spaziergänge durch Mitte, Kreuzberg oder Neukölln, wo Programmierer, Künstler oder Jungunternehmer den Raum vor und in Straßencafés mit WIFI-Verbindung akustisch multilingual ausfüllen, während sie auf Tablets und Notebooks ihrer Arbeit nachgehen.

Eine Frage der Perspektive

Doch während Berlin das ganze Land international glänzend dastehen lässt, macht die Bundesrepublik seit einigen Wochen auch negativ Schlagzeilen. Spätestens die rechtsextremistischen Ausschreitungen von Chemnitz und der rechtsextremistische Aufmarsch von Köthen nahmen der Welt die Illusion vom Stabilitätsanker Deutschland. Davon, dass das Land, das unter der Führung einer erfahrenen Kanzlerin und dank gewaltiger ökonomischer Stärke ein Gegenpol zu Donald Trumps Amerika sein kann und zum Post-Brexit-Königreich und den vielen osteuropäischen Staaten, die sich – wie etwa Ungarn und Polen – dem Neoautoritarismus hingeben.

CNN und die BBC transportierten aus Chemnitz die Bilder eines hässlicher werdenden Deutschlands in die Welt. Kernbotschaft: Ein Jahr nach den rassistischen Ausschreitungen im amerikanischen Charlottesville, die einen Tiefpunkt der Trump-Präsidentschaft markierten, hat nun auch die Bundesrepublik ihr Fanal. Hinzu kommt: Im globalen Maßstab liegen Chemnitz und Köthen nicht nur in Sachsen und Sachsen-Anhalt, sondern in Ostdeutschland. Und als wären die Bilder der Ausschreitungen nicht schon schlimm genug, ergab nun auch noch eine Infratest-Umfrage, dass die AfD in allen ostdeutschen Ländern momentan stärkste politische Kraft ist.

Ein Mitten in diesem Ostdeutschland befindet sich Berlin. Zwei Fragen liegen deshalb in der Luft: Wie lange noch kann der glänzende Ruf der Metropole von den finsteren Ereignissen direkt vor seinen Türen unbeeinträchtigt bleiben? Und ab wann gefährden rechtsextreme Umtriebe auch den Wirtschaftsstandort Berlin, der um internationale Topkräfte buhlt?

Unternehmen sind besorgt

Dass die Fragen nach den ökonomischen Folgen solcher Entwicklungen nicht an den Haaren herbeigezogen sind, zeigt der Uhrenhersteller Nomos aus dem sächsischen Örtchen Glashütte. Das Unternehmen bekommt aus dem Ausland seit den Ereignissen von Chemnitz viele Zuschriften. Die potenziellen Käufer und Kunden der Luxusmarke möchten wissen, ob womöglich ein Nazi an einer Uhr mitgearbeitet habe. Geschäfsführerin Judith Borowski geht offen mit dem Thema um, seit ein paar Monaten werden den Mitarbeitern des Hauses Workshops angeboten, um den Umgang mit Rechtsextremismus zu trainieren. Sogar „Der Spiegel“ und „Die Zeit“ durften berichten.

Borowski kennt Berlin fast besser als die sächsische Provinz – die meiste Zeit arbeitet sie an der Nomos-Markenführung und dem Uhrendesign von Kreuzberg aus. Muss die Berliner Wirtschaft negative Auswirkungen wegen der politischen Situation in Ostdeutschland befürchten? „Nein“, sagt Borowski. Jedenfalls noch nicht. „Der Stadt geht es noch gut, die internationale Jugend lebt hier gerne und will hier gerne sein.“ Derzeit werde Berlin also noch nicht in diesem Kontext gesehen. Aber: „Dass Menschen mit Migrationshintergrund die Stadt nicht mehr in der Freizeit verlassen“, schildert sie auch als Problem.

In der Tat: Brandenburg ist für Leute, die durch eine völkische Brille als nicht deutsch aussehend wahrgenommen werden können, eine verbotene Zone, der sommerliche Spontanausflug zum Badesee für manchen eine unüberwindbare Herausforderung.

Berlin bleibt bunt

Ähnlich wie Uhrenbauerin Borowski schaut der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Achim Dercks, auf das Thema: „Natürlich wird das Bild Deutschlands im Ausland durch solche Vorfälle geprägt“, sagt er. Und mit wachsender Entfernung des Betrachters werde die Distanz zwischen Sachsen und Berlin immer kleiner: „Je weiter man von Deutschland weg ist, desto geringer ist die regionale Differenzierung.“

Und gerade Ostdeutschland müsse jetzt alles daran setzen, dass sich ausländerfeindliche Aktivitäten einer Minderheit nicht zu einem Standortnachteil für die gesamte Region entwickeln: „Das Thema Rechtsextremismus wird auch von manchem ausländischen Investor angesprochen. Das macht es natürlich schwerer, die vielen positiven Seiten eines Standorts zu vermitteln.“ Das sei insbesondere für Regionen ohne nennenswerten Industriebesatz ein besonderer Nachteil. Bereits heute sei auch in Ostdeutschland ein erheblicher Verlust an Fachkräften spürbar. „Viele internationale Fachkräfte wollen lieber nach München oder Hamburg“, sagt Dercks.

Ein solides Jein

Durch die ganze Recherche zum Thema zieht sich also ein solides Jein. Fast alle Gesprächspartner, ob aus Verbänden, Unternehmen oder der Wissenschaft, betonen, wie gefährlich Rechtsextremismus für die Wirtschaft sei kann. Doch die Zustände im Osten wären bisher noch kein wirklich ernstes Thema, heißt es kurz darauf. Erst recht nicht für den Standort Berlin.

So ähnlich verläuft auch die Unterhaltung mit der Präsidentin der Berliner Industrie und Handelskammer: „Stand heute ist das für uns kein Thema“, sagt Beatrice Kramm, wenn man sie auf die Hauptstadt und den Standortfaktor Rechtsextremismus anspricht. Wirklich nicht? „Nein, in Gesprächen mit unseren Unternehmern taucht das Thema nicht auf.“

Rechte Demonstranten bei einer Kundgebung im August in Berlin-Spandau.
Rechte Demonstranten bei einer Kundgebung im August in Berlin-Spandau.

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Berlin stehe für Internationalität und Toleranz. Erst vergangene Woche habe die Vollversammlung eine Resolution verabschiedet und sich klar gegen Fremdenfeindlichkeit positioniert. Besonders glücklich wirkt Kramm allerdings nicht, wenn es um den Osten, die politische Großwetterlage und mögliche Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Berlin geht: „Man sollte sich hüten, sich auf das Thema zu beschränken, obwohl wir diesbezüglich weiter mit großer Ernsthaftigkeit tätig sein müssen.“ Wird hier abgewiegelt? Möchte die Chefin der IHK einfach nur den eigenen Standort nicht schlecht reden?

"Das Problem ist da"

Marcel Fratzscher ist Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und hat erstaunliche Vorhersagen: „Berlin wird kurzfristig sogar von der Entwicklung im Osten profitieren“, sagt er und spielt damit auf die Auswanderung aus den ländlichen Räumen des Ostens an: „Was da gerade passiert, wird diese Entwicklung noch beschleunigen. Viele werden jedoch nicht ins Ausland gehen, deren erste Wahl ist dann nämlich Berlin.“ Die Hauptstadt habe eine sehr gute wirtschaftliche Entwicklung hinter sich und auch weiterhin sehr gute Perspektiven. Im Klartext: Mitten im Osten hat Berlin einen Sonderstatus inne.

Um den macht sich Roland Tremper allerdings mehr Sorgen als die Wirtschaftsvertreter: „Das Problem ist definitiv da“, sagt Tremper, der bei der Gewerkschaft Ver.di kommissarischer Bezirksfachbereichsleiter ist. Und: „Sollte es zu einer Entwicklung wie in Sachsen und Sachsen-Anhalt auch in Brandenburg kommen und sich sogar verstärken, dann könnte es auch in Berlin sehr schnell kippen.“ Denn: „Wir haben ein großes rechtsextremes Potenzial und einen durchaus problematischen Alltagsrassismus dort.“

Noch ist Berlin also sicher, das Markenimage trotzt der dunklen Umtriebe des Ostens. Doch normal oder alltäglich ist das Leben in der Hauptstadt nicht für jeden. Ver.di-Mann Tremper: "Wir müssen daran arbeiten, dass sich alle Leute auch die Natur und die Sehenswürdigkeiten um Berlin herum anschauen können."

Jan-Philipp Hein

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