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Gemalte Ehrlichkeit. Eberhard Franke malte Alltagsszenen, vor allem in Schöneberg, wo er wohnte. Zum Beispiel die Eckkneipe „Schmalzstulle“ in der Großgörschenstraße.

© Abbildungen: Galerie Classico

Ausstellung in Steglitz: Eberhard Franke: Der Poet des Alltäglichen

Getrieben von Depressionen streifte Eberhard Franke durch Berlin – und zeichnete. So wurde er zum Chronisten der Stadt im Wandel. Zum 80. gibt es nun eine Ausstellung in Steglitz.

Menschentrauben stehen staunend vor der goldenen Barock-Fassade, die im Sonnenlicht glanzvoll schimmert. Sie knipsen Fotos. Tausende jeden Tag, Spaziergänger, Fahrradfahrer, die vom Brandenburger Tor langsam auf die Schlossattrappe zukommen. Im Sommer 1993 hat der Förderverein Stadtschloss die historischen Fassaden der einstigen Kaiserresidenz auf bemalten Folien  nachgebildet und vor den Palast der Republik auf Gerüste gehängt.

Eberhard Franke steht damals weitab vom Trubel auf dem Dach des  benachbarten, zwei Jahre später abgerissenen „Ministerium des Äußeren“ der DDR und skizziert die spektakuläre Ansicht. Die Schlossattrappe, den Dom Unter den Linden, die Menschengruppen auf dem Platz, kleine, schwarze Schattierungen, die sich um die Fassade drängen. Franke darf mit einer Sondererlaubnis diesen Anblick  von hier oben festzuhalten.

Das Bild des 2004 verstorbenen Künstlers hängt jetzt gemeinsam mit über 60 seiner insgesamt 450 Radierungen in der Steglitzer „Galerie CLASSICO“. Galeristin Christine Baba,  eine langjährige Freundin Frankes, widmet ihm zusammen mit einigen Wegbegleitern eine Retrospektive zum 80. Geburtstag.

Er wird zum intimen Chronisten der Stadt

Eberhard Frankes Leben beginnt mit einer Tragödie. Seine beiden Eltern sterben als er noch ein kleiner Junge ist. Franke kommt ins Kinderheim,  später wird er von Pflegeeltern aufgenommen. Sie schicken ihn ins traditionsreiche Internat Scharfenberg auf der gleichnamigen Insel im Tegeler See. Er ist ein störrischer Schüler, doch er hat eine große Begabung: das Zeichnen. Sein Kunstlehrer  fördert den Jungen  und ebnet ihm nach dem Abitur den Weg auf die Kunsthochschule in Berlin.

Die Großstadt fasziniert den angehenden Künstler, gleichzeitig überfordert sie ihn. Er wird oft krank, leidet an Depressionen. Eine innere Unruhe treibt ihn auf die Straßen. Er streift zu Fuß durch die Stadt, schwingt sich aufs Fahrrad, erkundet jeden Winkel. Der Stadtwanderer hält seine Eindrücke in einem Notizbuch fest, zuhause setzt er sie mit zumeist Radiernadeln im Zinkdruck  um. Über Jahrzehnte, von 1958 bis 2004,  wird er zum intimen Chronisten der Stadt, zeigt West-Berlin in vielen Facetten, beobachtet den Wandel nach der Wende  - am Tacheles in Mitte, am Potsdamer Platz.

Er zeichnet den Crellemarkt, auf dem Türken ihre Obst- und Gemüsestände aufbauen, den Kleistpark, das Kottbusser Tor, das geliebte Balkon-Idyll der Berliner mit Rotwein und Käse zwischen Blumen und gründerzeitlichem Türrahmen. Vom kargen Dachatelier an der Großgörschenstraße im Crellekiez hält er 1984 die Aussicht aufs Rathaus Schöneberg fest, auf den vorderen Hinterhof mit der damals noch typischen Berliner Mischung: kleines Gewerbe im Souterrain, Bel Etage-Publikum vom Vorderhaus, einfachere Leute aus dem Seitenflügel.

Doch immer ist da auch die andere Seite

Unaufhaltsam porträtiert er auch die Menschen, denen er begegnet. Betagte Spaziergängerinnen im Park. Ausländer, die er vor Cafés trifft, Barbiere, Freunde wie den Künstler Ed Dickmann. Minna Jaschinsky, die im Kiez als Taubenmutter bekannt ist, widmet er gleich mehrere Bilder. Franke, der selbst von seinem Atelierfenster aus Tauben füttert, hilft ihr immer wieder im Alltag.

Der zurückhaltende junge Mann, hohe Stirn, sanfter Blick, wird schnell in seinem Kiez in Schöneberg für seine Großzügigkeit bekannt. „Man konnte kaum eine Minute mit ihm in einem Raum sein“, berichtet ein Freund, „ohne dass er einem eine seiner Zeichnungen in die Hand drückte.“ Er repariert Fahrräder für Bekannte, sammelt Einzelteile, aus denen er für Kinder Neue zusammenbastelt.

Er selbst lebt höchst bescheiden. Kaum mehr als der Tisch und ein Sofa, auf dem er Menschen in Not beherbergt, ein Bett und seine Stafette stehen in seinem Dachgeschossatelier, das ihm ein Freundeskreis von früheren Scharfenberg-Mitschülern finanziert, weil er sich selbst als Künstler nicht so recht verkaufen kann. Er arbeitet nebenher auf dem Bau, manchmal erledigt er Auftragsarbeiten für den Senat oder betreut künstlerisch die Restauration gründerzeitlicher Hauseingänge.

Doch immer ist da auch die andere Seite. Tagelang zieht Franke sich zurück, verfällt düsteren Grübeleien. Manchmal ist er unauffindbar. Er hält Absprachen nicht ein. Er streunt herum, steigt zum Flaschensammeln in verlassene Buden ein. Rechnungen und Mahnungen steckt er öfter in die Hosentasche, als er sie bezahlt. Bald gibt es bei der Polizei eine füllige Akte mit seinem Namen drauf. Freunde müssen ihn raushauen.

Franke und sein Kiez blieben unzertrennlich

So wie bei "der Geschichte mit dem Fahrrad" 1968. Vor der TU-Berlin steht monatelang ein herrenloses Fahrrad. Franke knackt es auf, legt sich zum Schlafen auf eine Parkbank und wird nachts von der Polizei aufgegriffen. Zwei Schulfreunde erfahren zufällig, dass ihr ehemaliger Kumpel „Epi“, wie sein Spitznamen war, in Moabit einsitzt. Sie erwirken seine Freilassung.

Es sind diese beiden Seiten, die in seinen wunderbaren radierten Berliner Bilderbögen zur Geltung kommen, das Bunte, Lebensfrohe und das Triste, Düstere und Nachdenkliche. Seine Kunst ist Poesie des Alltäglichen, gemalte Ehrlichkeit. Sie zeigt Berlin und seine Menschen als unzertrennliche Einheit.

So wie auch Franke und sein Kiez unzertrennlich blieben. Er starb beim Bilderaufhängen für seine erste große Retrospektive im Rathaus Schöneberg 2004 an einem Herzinfarkt und liegt begraben, wo er gelebt hat: auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof an der Großgörschenstraße.

Noch bis Sonnabend, 2. April, Galerie Classico, Schützenstraße 52, Steglitz, Mi.-Fr. 15-19 Uhr, Sa. 11-16 Uhr. Tel: 79 70 93 84. www.galerie-classico.de

Giacomo Maihofer

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