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Kirsten Heisig.

© ddp

Auszüge aus Heisigs Buch: Wir müssen die Kinder retten!

Strafunmündige als Drogendealer: Was Berlin aktuell aufregt, war jahrelang Thema der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig. Ihr Buch "Das Ende der Geduld" ist ein Vermächtnis. Der Tagesspiegel druckt Auszüge.

JUNGE DEALER

Nach meiner Einschätzung wird momentan zugesehen, wie die „arabische“ Drogenmafia, die den Erkenntnissen der Polizei zufolge speziell den Handel mit harten Drogen (wie z. B. Heroin) fest in der Hand hat, aus palästinensischen Flüchtlingslagern Kinder und Jugendliche nach Deutschland schleust. Diese sollen dann den Straßenverkauf der Drogen übernehmen. Die „unbegleitet reisenden asylsuchenden Jugendlichen“, die häufig deutlich älter sind, als sie angeben, werden dann einem entsprechenden Heim zugewiesen, in dem sie sich dem ausländerrechtlichen Status der Duldung entsprechend eigentlich ständig aufhalten müssen. Machen sie aber nicht. Stattdessen tauchen sie rasch bei Landsleuten in Berlin unter. Diese machen sie dann vermutlich auch mit den Regeln des jeweiligen Marktes vertraut: wer wo was und für wie viel verkaufen darf, wo man die Ware erhält, wer den Erlös bekommt. Selbst davon profitieren können die Straßenhändler nicht. Sie müssen ganz im Gegenteil für die Schleusung noch bezahlen. Ich habe kürzlich in Heimen der Jugendhilfe in anderen Bundesländern angerufen, weil mir auffiel, dass ich mehrmals Jugendliche wegen Heroinhandels verurteilt hatte, die sich eigentlich in diesen Einrichtungen weitab von Berlin aufhalten sollten. Die Mitarbeiter erklärten mir, dass man die Jugendlichen, die sich entfernen, als vermisst meldet und das war es dann.

KRIMINELLE GROSSFAMILIEN

Das System: Ein typischerweise zunächst aus Mutter, Vater und zehn bis fünfzehn, in Einzelfällen bis zu neunzehn Kindern bestehender Clan wandert aus dem Libanon zu. Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen gibt es in Deutschland zehn bis zwölf dieser Clans, die einige Tausend Menschen umfassen. Sie agieren sowohl im Innen- wie im Außenverhältnis kriminell. Von Drogen- und Eigentumsdelikten über Beleidigung, Bedrohung, Raub, Erpressung, gefährliche Körperverletzung, Sexualstraftat und Zuhälterei bis zum Mord ist alles vertreten.

Einige Kinder werden noch in der „Heimat“ geboren, andere in Deutschland. Bevor die Mütter das letzte eigene Kind gebären, haben sie bereits Enkelkinder. Deshalb vergrößert sich ein Clan in atemberaubender Geschwindigkeit. Als Staatsangehörigkeit der Familien taucht in amtlichen Papieren „staatenlos“, „ungeklärt“, „libanesisch“ oder zunehmend auch „deutsch“ auf. Man lebt von staatlichen Transferleistungen und dem Kindergeld. Eine Großfamilie bringt es ohne Probleme auf Hunderte polizeilicher Ermittlungsverfahren. Wenn die Drogen- oder sonstigen illegalen Geschäfte von einem rivalisierenden Clan oder gar von Banden mit einem anderen ethnischen Hintergrund gestört werden, wird das Problem gelöst, indem man einander tötet oder dies zumindest versucht.

Die Kinder wachsen weitgehend unkontrolliert in diesen kriminellen Strukturen auf. Auch sie begehen deshalb oft von Kindesbeinen an Straftaten. Der Staat kommt an diese Familien nicht heran. Die Jugendämter sind hoffnungslos überfordert, wenn sie wieder einmal auf eine Vereinbarungsfähigkeit der Eltern hoffen. Es existieren nach meinem Wissen jedoch diesbezüglich kaum Ermittlungsverfahren. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Wahrung der „Familienehre“ nach außen folgt einem ungeschriebenen, aber wirksamen Kodex. Wer die eigenen Leute an die „Deutschen“ verrät, riskiert sein Leben. Also bieten die hilflosen Ämter fortlaufend weitere Erziehungshilfen unterschiedlichster freier Träger der Jugendhilfe an. Der Erfolg ist meist gleich null. Dafür reifen die Jungen zu Männern im Sinne ihres archaischen Verständnisses heran. Ein Sohn einer Großfamilie zertrümmert beispielsweise noch als Kind seiner Lehrerin das Gesicht. Mit dem Kind passiert staatlicherseits nichts Erwähnenswertes.

Jugendliche Dealer narren die Polizei
Jugendliche Dealer narren die Polizei

© Kai-Uwe Heinrich

JUNGE SERIENTÄTER

Die meisten der zur Zeit etwa 550 Intensivtäter, die bei der Staatsanwaltschaft registriert sind, wohnen und „wirken“ in Neukölln. Zur Erinnerung: Als Intensivtäter werden nur Personen bezeichnet, die innerhalb eines Jahres mindestens zehn erhebliche Delikte begangen haben. Schwerkriminelle, die häufig 30 und mehr erhebliche Taten aufweisen, haben zu etwa 90 Prozent einen Migrationshintergrund, 45 Prozent sind „arabischer“ Herkunft, 34 Prozent haben türkische Wurzeln. Diese Tatsachen sind insofern von Bedeutung, als etwa 10 000 „Araber“ in Neukölln leben, aber mehr als viermal so viele türkischstämmige Menschen. Die „Araber“ stellen also gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil mit weitem Abstand die Mehrheit der Intensivtäter. Deutsche Vielfachtäter gibt es in Neukölln kaum. Viele Neuköllner Intensivtäter entstammen den vor vielen Jahren aus dem Libanon oder der Türkei zugewanderten Familien mit sechs Kindern und mehr. Sie haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit, und die meisten leben vom Kindergeld und staatlichen Transferleistungen. Die Mütter haben nie Deutsch gelernt. Sie überlassen speziell die Jungen schon früh sich selbst, wobei dies nicht auf mangelnde Fürsorge, sondern mehr auf eine kulturelle Tradition zurückzuführen ist. Hinzu kommt, dass den Jungen die Identifikationsfigur des arbeitenden Vaters abhandengekommen ist. Dieser Umstand geht mit einem entsprechenden Autoritätsverlust einher und lässt die Söhne zunehmend die Orientierung verlieren.

Die Kinder aus „palästinensischen“ Clans nehmen eine Entwicklung, die sich vergleichbar gestaltet. Sie haben gelernt, dass es für sie keine Grenzen gibt, und terrorisieren zunehmend ihr gesamtes außerfamiliäres Umfeld. Da sie in ihrer Wohngegend und in den Schulen bekannt sind, funktioniert das bestens, denn alle wissen, dass hinter einem zehnjährigen „Mitschüler“ eine gewaltbereite Großfamilie stehen kann, die ihre eigenen Interessen rücksichtslos durchsetzt. Inzwischen reicht es aus, wenn die Kinder in der Schule verlauten lassen, dass sie zur Familie XY gehören. Dann geben alle Schüler „freiwillig“ ihre Pausenbrote und Trinkflaschen, Stifte, Hefte und Euros ab.

Die Jugendämter haben neben eigenen Bemühungen, mit den „arabischen“ Clans fertig zu werden, auch versucht, Projekte einzurichten, die Mitarbeiter mit demselben ethnischen Hintergrund beschäftigen. Diese werden seitens der Großfamilie nur so lange „akzeptiert“, wie sie den Eindruck hat, einen Interessenvertreter gefunden zu haben. Die „Brückenbauer“ zwischen den Welten sind spätestens dann höchster Gefahr ausgesetzt, wenn sie mit den deutschen Behörden kooperieren. Der überwiegende Teil dieser Clans wird niemals in Westeuropa ankommen. Ich selbst habe mich im Interesse der Kinder ausführlich mit einzelnen Familien beschäftigt und aus Anlass von Strafverfahren die Probleme beim Familiengericht vorgetragen, wo sie seit mindestens zwanzig Jahren hingehört hätten. Niemand hat jedoch bisher diesen Weg beschritten und es liegt auch auf der Hand, weshalb: sozialromantische Verblendung gepaart mit blanker Angst. Hinter vorgehaltener Hand heißt es: „Man kann kein Kind zwangsweise aus einem arabischen Clan nehmen. Die Familien erschießen jeden, der das versuchen sollte.“ Angst ist aber ein schlechter Ratgeber. Deshalb müssen wir sie überwinden und handeln. Dazu gehören alle beteiligten Institutionen an einen Tisch. Sämtliche vorhandenen Daten sind offenzulegen, damit endlich ein vollständiges Bild entsteht. Dem zu erwartenden Gegenargument, datenschutzrechtliche Bedenken könnten dieser Vorgehensweise im Wege stehen, halte ich entgegen, dass Datenschutz nicht dem Täterschutz dienen darf. Wenn der deutsche Staat diese Familien weiterhin im Land belässt und sie jahrzehntelang ohne jede Gegenleistung unterstützt, obwohl sie die Gesellschaft hemmungslos schädigen, blamiert er sich und lädt zur Nachahmung ein.

SCHULSCHWÄNZER

Vorausgeschickt sei, dass auch deutsche Kinder, besonders diejenigen aus problembelasteten Familie, häufig dem Unterricht fernbleiben, keinen Abschuss erlangen und sich auf ein Leben mit „Hartz IV“ vorbereiten. Es sind erschreckend viele. Allerdings zeichnet sich in den überwiegend von Einwandererkindern besuchten Schulen ein besonders düsteres Bild ab, weshalb ich mich vornehmlich mit diesen befasse. Jedes zweite Kind in Berlin hat einen Migrationshintergrund. Die deutschen Großstädte werden aufgrund der demografischen Entwicklung in wenigen Jahren mehrheitlich von den eingewanderten Menschen bevölkert sein. Es ist deshalb unabhängig von Kriminalitätsrisiken durch mangelnde Bildung unerlässlich, die nachwachsende Einwanderergeneration zu fördern. In Neukölln stellen Kinder und Jugendliche aus Einwandererfamilien im Durchschnitt 74 Prozent der Hauptschüler. Es gibt Schulen, an denen sich kein deutsches Kind mehr findet. Damit einhergehend wirkt sich aus, dass 95 Prozent der Kinder „lehrmittelbefreit“ sind, was nichts anderes bedeutet, als dass die Eltern sämtlich nicht berufstätig sind. Die Kinder gehen zur Schule und wissen nicht, weshalb. Bei den deutschen Schülern, die aus Familien stammen, die zum Teil in der dritten Generation von Sozialleistungen leben, verhält es sich ebenso.

20 Prozent der Hauptschüler in Neukölln und immerhin 100 Grundschüler sind von dauerhafter Schulabstinenz betroffen. Das zeitweilige Fernbleiben vom Unterricht ist noch deutlich verbreiteter. Aus meiner Sicht ist zum Wohle der nachwachsenden Generation ein besonderes Augenmerk auf die Durchsetzung der Schulpflicht zu richten. Hier ist zum einen die Schule selbst gefragt. Jedem Schulversäumnis ist nachzugehen. Man kann die Eltern anrufen, einen Brief schreiben, einen Hausbesuch machen, um überhaupt in Kontakt mit den Erziehungsberechtigten zu kommen. In der Praxis zeigen sich an dieser Stelle bereits erhebliche Schwierigkeiten. Zwar enden nicht alle Jugendlichen, die nicht oder nur selten zur Schule gehen, als Straftäter. Umgekehrt ist aber durchaus ein Zusammenhang zu erkennen: Nahezu alle Mehrfachtäter sind Schulverweigerer. Deshalb gilt die Schule als eine entscheidende Stellschraube, einen Lebenslauf positiv zu beeinflussen.

In Berlin wird im Anschluss an unentschuldigtes Fehlen von mehr als zehn Tagen eine Schulversäumnisanzeige gefertigt. Diese richtet sich an das regional zuständige Schulamt. Zeitgleich sollte der sozialpädagogische Dienst des Jugendamtes eingeschaltet werden. Dieser wiederholt meist die bereits seitens der Schule vergeblich durchgeführten Versuche der Kontaktaufnahme, während das Schulamt ein Bußgeldverfahren gegen die Eltern einleiten kann. Wenn das Kind nach wie vor nicht in die Schule geht, kann eine zwangsweise Zuführung mithilfe der Polizei erfolgen. Die Polizei ist aufgrund ihrer personellen Ausstattung lediglich in der Lage, pro Kind maximal eine Schulzuführung im Schuljahr durchzusetzen – und selbst das ist lediglich der Optimalfall.

Das Schulgesetz sieht Bußgelder bis zu 2500 Euro vor, wenn Eltern ihre schulpflichtigen Kinder nicht zur Schule schicken. Ein Kollege und ich haben uns gefragt, wie dieses Gesetz in Berlin eigentlich umgesetzt wird. Zu unserer Überraschung stellten wir fest: in manchen Bezirken gar nicht. Neukölln führte zwar Bußgeldverfahren durch, jedoch versandeten diese bei den zumeist betroffenen ALG-2-Empfängern, weil sich die Ansicht verbreitet hatte, dass bei „Hartz IV“ nichts zu holen sei, weshalb die Bußgelder zwar verhängt, aber nicht vollstreckt wurden. Infolgedessen haben wir mit dem Schulamt gemeinsam eine andere Handhabung entwickelt und vereinbart, dass ALG-2-Empfängern ein Bußgeld in Höhe von 150 bis 200 Euro zugemutet werden kann.

Jugendliche Straftäter
Jugendliche Straftäter

© Superbild

GESCHLOSSENE HEIME

Der Staat hat die Kinder notfalls vor ihren Lebensbedingungen zu schützen. Ich spreche mich immer wieder für die Einführung geschlossener Unterbringungsmöglichkeiten für absolute Härtefälle aus, bei denen nichts mehr hilft – man denke an die Kinder der „arabischen“ Großfamilien. Ansonsten wachsen die Kinder weiterhin in einem katastrophalen Umfeld auf, dem sie niemals entrinnen können. Natürlich meine ich nicht die Heimerziehung im Stile der fünfziger und sechziger Jahre, bei der es überwiegend um Verwahrung ging. Die Überlegungen sollten sich darauf richten, internatsähnliche Betriebe aufzubauen, die eine gesunde Mischung aus Lernen mit praktischem Bezug und Freizeitgestaltung bieten. Nahezu jedes Kind hat Talente. Wenn man sich die Mühe macht, diese zu finden und zu fördern, wird man Erfolge erzielen. Ohne Grenzsetzung und geregelten Tagesablauf überlassen wir Kinder aus schlimmsten Verhältnissen dagegen ihrem zwangsläufigen Schicksal.

Die Zurückhaltung einiger Schulen und Jugendämter gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Polizei ist unzeitgemäß. Hier sind gegenseitige Informationsflüsse unabdinglich. Ein Kind, das mehrfach bei der Polizei aufgefallen ist, hat mit großer Wahrscheinlichkeit auch schulische Probleme, die oft auch in strafbaren Handlungen innerhalb der Schule zum Ausdruck kommen. Diese müssen meiner Meinung nach alle angezeigt werden. Datenschutzrechtliche Bedenken gegen eine Kooperation zwischen den Schulen und der Polizei auch über den Einzelfall hinaus liegen meiner Ansicht nach nicht vor. Und selbst wenn sie vorlägen, wären sie zum Wohle der Kinder zu beseitigen: „Kinderschutz vor Datenschutz“ muss die Devise lauten.

ROMAFAMILIEN

Wie sich gezeigt hat, sind die Roma inzwischen überall und nirgends. Es ist ein Volk, das sich bisher von den meisten Integrationsversuchen kaum überzeugen lässt. Sie kommen und gehen. Bildung kommt hier als Lebensziel selten vor. Die Kinder werden früh zur „Erwerbstätigkeit“ herangezogen. Sie betteln, begehen kleinere Diebstähle, die größeren verkaufen Obdachlosenzeitungen. In Berlin kennt man die jungen Frauen vom Betteln, wobei sie oft die Säuglinge mitschleppen müssen, oder man nimmt sie wahr, wenn sie an den großen Straßenkreuzungen während langer Ampelphasen die Autofensterscheiben der Fahrzeuge putzen.

Richtig hart wird es im Neuköllner „Schillerkiez“ in den Sommermonaten ungefähr von April bis Oktober, da geraten viele Familien in einige spezielle Häuser im Kiez. Dort melden sie sich polizeilich an. Ohne Mietvertrag oder sonstigen Nachweis, dass man tatsächlich dort wohnhaft ist. Aufgrund der EU-Osterweiterung im Jahr 2007 kann der „Wanderarbeiter“ sich jedenfalls ohne behördliches Hindernis beim Bürgeramt registrieren lassen. Da ich inzwischen viele Anklagen zustellen lassen muss, von denen Roma betroffen sind, ist selbst mir beim bloßen Aktenstudium aufgefallen, dass ein bestimmtes Haus eigentlich über diverse Anbauten verfügen müsste, damit die gemeldeten Personen dort auch leben können. Leben? Das ist ein dehnbarer Begriff. In einer Zweizimmerwohnung hausen manchmal zehn Menschen und mehr. Die Gebäude sind in einem derartig katastrophalen Zustand, dass er DER VERMITER]froh ist, wenn jemand einzieht und sogar noch zahlt. Die Vorstellung der saisonalen rumänischen Arbeitskräfte, legal zu arbeiten, erledigt sich nach kurzer Zeit, obwohl man in einem nahe gelegenen türkischen Imbiss eine Anlaufstelle und Kontaktbörse findet. Spätestens hier gibt es dann die Tipps, wie man auf dem schwarzen Arbeitsmarkt unterkommt. Das geht dann häufig so: Man findet sich, wie mir ein Angeklagter berichtete, morgens z. B. am Hauptbahnhof an einer bestimmten Stelle ein. Dann kommt ein kleiner Bus vorbei und sammelt die Menschen ein. Sie werden zu Baustellen gefahren, um dort der Schwarzarbeit nachzugehen. Wer Glück hat, bekommt 2 bis 5 Euro die Stunde – versprochen, was noch lange nicht heißt, dass auch gezahlt wird.

AUSWEGE

Gesetzesverschärfungen halte ich nicht für geeignet, um die Jugendgewaltkriminalität in den Griff zu bekommen. Der Unterstützung der Kinder und Familien ist der Vorrang einzuräumen. Wenn die gewährten Hilfen und präventiven Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, muss grundsätzlich eine staatliche Reaktion erfolgen. Besonders Schulen und Jugendämter sind in kleinen Einheiten miteinander zu verknüpfen. Ich schlage vor, einen Bezirk wie Neukölln mit 300 000 Einwohnern räumlich in mindestens vier Einheiten zu unterteilen, die in entsprechende – vergrößerte – Quartiersmanagements einzugliedern sind. Dort ist den Mitarbeitern aller beteiligten Ressorts die Möglichkeit zu geben, in regelmäßigen Abständen zusammenzutreffen, um dort alle Erkenntnisse zusammenzufügen, die zur Früherkennung von Problemlagen erforderlich sind.

Die Kürzung des Kindergeldes wird in diesem Kontext immer wieder diskutiert. Inzwischen muss man hierüber ernsthaft nachdenken. Das Familiengericht kann eine Tages- oder Familienpflege anordnen, das Kind vollständig aus dem Haushalt nehmen oder das Sorgerecht vollständig oder teilweise entziehen und auf das Jugendamt oder einen Pfleger übertragen. Diese Maßnahmen sind flexibel zu handhaben: Falls die Eltern kooperieren und sich nachprüfbar ihrer Verantwortung stellen, kann das Kind probeweise und schließlich auch endgültig in die Familie zurückkehren. Gerade im Zusammenhang mit dauerhafter Schuldistanz halte ich diese Vorgehensweise für wesentlich effektiver als das Herumreichen der Kinder und Jugendlichen von einer Schule zur nächsten. Geschlossene Heime, die bislang in Berlin nicht existieren, dürfen nicht mehr tabuisiert werden. Immer wieder beteiligen sich auch Kinder an der Begehung schwerster Straftaten. Man kann sie dann oft nicht mehr mit ambulanten Hilfemaßnahmen erreichen. Der Flickenteppich der Projekte, speziell bei den Anti-Gewalt-Maßnahmen, ist zu beseitigen. Dabei sollte aber ein überschaubares Angebot geschaffen werden, bei dem die Möglichkeit besteht, den Überblick zu behalten. Mehr als fünf unterschiedliche Konzepte halte ich nicht für hilfreich. Die Justiz muss so weit wie möglich dafür Sorge tragen, nicht nur die Verfahrensdauer zu verkürzen, sondern auch die rasche Umsetzung unserer Entscheidungen zu gewährleisten. Die Arreste sollten möglichst häufig sofort vollstreckt werden, was insbesondere bei Freizeitarresten, die ein Wochenende umfassen, momentan bei Weitem nicht der Fall ist.

Abdruck der Auszüge mit freundlicher Genehmigung des Herder Verlags.

Das Buch „Das Ende der Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“ von Kirsten Heisig ist ab Montag im Handel:

Herder Verlag, 208 Seiten, Preis: 14,95 Euro. ISBN-Nummer 978-3-451-30204-6.

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