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Der zUsammenhang von Autoantikörpern und Demenz ist noch nicht vollständig verstanden.

© picture alliance / dpa

Autoantikörper und Demenz: Dem Vergessen auf der Spur

Autoantikörper stehen seit einigen Jahren im Fokus der Forschung. Sie können ins Gehirn gelangen und dort eine Demenz auslösen. Ein Gespräch mit Experte Harald Prüß von der Charité.

Herr Prüß, Sie forschen am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) zu Krankheiten, die durch körpereigene Antikörper verursacht werden. Um welche Erkrankungen geht es konkret?

Es fiel in der Vergangenheit immer mal wieder auf, dass Patienten mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen auch Gedächtnisstörungen hatten und sich diese mit einer Immuntherapie unerwartet deutlich besserten. Das waren aber eher einzelne Zufallsbefunde. Das Ganze hat dann vor etwa zehn Jahren an Fahrt aufgenommen, als Autoantikörper gegen bestimmte Eiweiße an den Synapsen gefunden wurden, ursprünglich bei akuten schweren Entzündungen des Gehirns. Wir haben uns dann gefragt: Sind nicht auch Konstellationen denkbar, bei denen die Erkrankung langsamer verläuft? Und genau das ist ja bei der Demenz der Fall. Dort entsteht der neuronale Schaden nicht innerhalb von Tagen, sondern über Jahre. Man hat dort die gleichen Autoantikörper gesucht und tatsächlich auch gefunden. Von da an war klar, dass es wahrscheinlich ein viel größeres Thema ist als zuvor angenommen.

Bei wie vielen Erkrankten spielen diese Autoantikörper eine Rolle?

Wahrscheinlich gibt es ein bis zwei Prozent der Betroffenen, bei denen die Antikörper der entscheidende Faktor für die Erkrankung sind, also dazu führen, dass Nervenzellen abgebaut werden und die Hirnfunktion eingeschränkt wird. Noch interessanter ist aber, dass die Antikörper deutlich häufiger eine Zusatzrolle spielen können, ohne die Krankheit komplett zu erklären. Das heißt, man könnte zumindest einige psychische Veränderungen reduzieren oder das Gedächtnis etwas besser erhalten, wenn man die Antikörper entfernt, selbst wenn die Erkrankung weiter voranschreitet. Auch wenn das nur zehn Prozent der Erkrankten betreffen sollte, wäre das enorm, wenn man sich vor Augen führt, wie wenig sonstige Therapiemöglichkeiten wir bei der Demenz noch immer haben.

Wie lässt sich den Betroffenen helfen?

Da gibt es ein ganzes Repertoire an Therapiemöglichkeiten, die das Immunsystem beeinflussen. Das bekannteste Beispiel ist Kortison, das aber bei Weitem nicht bei allen Formen wirksam ist, weswegen wir relativ niedrigschwellig Blutwäschen durchführen, wenn ein entsprechender Autoantikörper nachgewiesen wurde. Man wird dafür jeden zweiten Tag für drei Stunden an eine Blutwäschemaschine angeschlossen, die die Antikörper rausfiltert. So kann man relativ schnell die Zahl der krank machenden Antikörper absenken. Das ist aber nur über einen begrenzten Zeitraum wirksam. Anschließend muss man, je nachdem, wie stark die Neubildung von Antikörpern ist, noch Medikamente aus der Gruppe der Chemotherapien verwenden. Allerdings sind das keine Chemotherapien wie beim Krebs, bei denen die Haare ausfallen, sondern milde Varianten, die relativ spezifisch das Immunsystem angreifen. Man muss aber einschränkend sagen: Wenn bereits Nervengewebe kaputt ist, dann kriegen wir das auch mit der Immuntherapie nicht wiederhergestellt. Deshalb ist die frühe Diagnostik so wichtig.

Harald Prüß
Harald Prüß

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Warum produzieren Menschen diese speziellen Antikörper überhaupt?

Hier haben wir erst einen Teil der Wahrheit ans Tageslicht gebracht. Viel lernten wir durch Patienten, die diese Antikörper im Rahmen einer Krebserkrankung entwickelt hatten. Da haben wir gesehen, dass bestimmte Krebsformen die betreffenden Nervenzelleiweiße auf ihrer Oberfläche präsentieren. Diese Eiweiße befinden sich ansonsten nur im Gehirn und sind hinter der Blut-Hirn-Schranke eigentlich gut geschützt vor dem Immunsystem. Der Schutz bricht im Falle einer Tumorerkrankung jedoch auf, weil das Immunsystem den Tumor angreift und Antikörper gegen die Eiweiße bildet. Der Antikörper weiß natürlich nicht, dass er nur im Tumor verbleiben soll, schwimmt im Blut überall hin und bindet plötzlich an das passende Antigen im Gehirn. Das ist sozusagen ein Kollateralschaden. Daraus haben wir gelernt, dass die Immunstimulation weit entfernt vom Gehirn stattfinden kann. Bestimmte Herpes-Viren machen Ähnliches und können Immunzellen so stark anregen, dass diese gegen das Hirn gerichtete Autoantikörper produzieren.

Und die Blut-Hirn-Schranke wirkt da nicht?

Problem ist: Diese Schranke ist bei Weitem nicht so dicht, wie man früher dachte. Sogar bei Gesunden kommen Antikörper ins Gehirn, nur deutlich weniger. Auch einige der antikörperproduzierenden Zellen patrouillieren für gewöhnlich durchs Gehirn. Dieses bisschen könnte bei empfindlichen Personen schon ausreichen, damit Symptome auftreten. Laut aktuellen Untersuchungen spielen wohl genetische Faktoren mit rein.

Was passiert genau, wenn die Antikörper ins Gehirn gelangen?

Ich wähle als Beispiel den NMDA-Rezeptor-Antikörper, weil der einer der häufigsten und zudem am besten untersucht ist. Die NMDA-Rezeptoren sind wichtig fürs Lernen, für die Psyche und die Gedächtnisbildung. Wenn die Antikörper an die Rezeptoren an der Nervenzelle binden, führen sie zu einer Einstülpung dieser Rezeptoren. Wenn die Antikörper durch eine Therapie verschwinden, dann werden die Rezeptoren wieder nach außen geschleust, die Zelle erholt sich und ihre Funktion ist wieder weitgehend intakt. Wenn die Rezeptoren jedoch sehr lange weg sind, fehlen der Zelle offenbar Informationen darüber, wie viele Rezeptoren an welche Stelle gehören. Für ihr Wohlbefinden braucht eine gesunde Nervenzelle aber die Integration in ein Netzwerk von Nervenzellen über diese Rezeptoren. Bei einer akuten Erkrankung über nur wenige Wochen kann man den Schaden also zurückdrehen. Wenn die Dauer aber eine gewisse Zeit überschreitet, tritt bleibender Schaden ein. Wie beim Schlaganfall heißt es mit Blick auf die Behandlung dann: „Time is brain“.

Hauke Hohensee

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