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Autobrandstiftung: Polizei kontrollierte flächendeckend Handydaten

Die Ermittlungsmethode gegen Autobrandstifter, von der auch Unbeteiligte betroffen sind, provoziert Kritik von Politikern und Datenschützern. Es wird Aufklärung im Parlament gefordert.

Um Straftäter zu fassen, hat die Berliner Polizei in den vergangenen Jahren offenbar in großem Umfang Handy-Verbindungsdaten ausgewertet – eine Maßnahme, von der auch viele Unbeteiligte betroffen waren. Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagte am Donnerstag mit Blick auf die Serie von Autobränden im vergangenen Sommer, seiner Einschätzung nach sei das Ermittlungsinstrument „in erheblichem Maße“ genutzt worden. Im vergangenen Jahr hatte es in Berlin mehrere Monate lang eine massive Serie von Brandstiftungen an Autos gegeben. Die Taten geschahen in vielen verschiedenen Stadtteilen zu unterschiedlichen Zeiten. Von einer entsprechenden Auswertung von Handydaten ist also eine hohe Zahl Berliner Bürger potentiell betroffen. Von der Berliner Opposition kam scharfe Kritik. Sie und auch die SPD forderte, das Thema am Montag im Abgeordnetenhaus zu behandeln.
Das Internetblog netzpolitik.org hatte am Donnerstag Dokumente zu einer Autobrandstiftung in Friedrichshain veröffentlicht, die sich bereits im Oktober 2009 ereignete und bei der den Unterlagen zufolge „geringer Sachschaden“ entstand. Aus den Dokumenten geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft am Amtsgericht Tiergarten mit Erfolg beantragte, die Verkehrsdaten von dreizehn Mobilfunkzellen, also Sendestationen für den Handy-Empfang, auswerten zu dürfen. Dabei ging es nicht darum, die Handys Verdächtiger zu überwachen, sondern es wurden die Verbindungsdaten aller Personen überprüft, die in der Nacht der Brandstiftung zwischen 3:45 Uhr und 5 Uhr im fraglichen Gebiet ihr Handy nutzten oder auch eine SMS erhielten. Die Staatsanwaltschaft hat die Echtheit der Dokumente bisher weder bestätigt noch bestritten. Sie gelten in Polizeikreisen jedoch als „vermutlich authentisch“.
Offenbar wurden Daten ausgewertet, die aufgrund der Vorratsdatenspeicherung erhoben worden waren. Überprüft werden kann so beispielsweise, wer wann wie lange und mit wem telefonierte – der Inhalt eines Gesprächs wird aber nicht erfasst. Im März 2010 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Vorratsdatenspeicherung in der bis dahin praktizierten Form nicht rechtens sei. Seitdem sind die Telekommunikationsanbieter nicht mehr verpflichtet zu speichern. Datenschützer werfen ihnen aber vor, die Praxis in einer rechtlichen Grauzone fortzusetzen. Wie die Aussagen des Sprechers der Berliner Staatsanwaltschaft nahelegen, trifft dies zu, und auch die Ermittlungsbehörden nutzen diese Grauzone. Allgemein, so der Sprecher, seien die Abfragen im Zusammenhang mit schweren Straftaten „nicht unüblich“, Grundlage seien stets richterliche Beschlüsse.

Die Polizei hat die Frage, ob es noch im vergangenen Sommer Auswertungen gab, bisher nicht beantwortet. Sie teilte aber mit, Grundlage seien stets richterliche Beschlüsse. Im vergangenen Jahr hatte ein ähnlicher Fall in Dresden Debatten ausgelöst: Während einer Demonstration gegen Neonazis wurden im Februar mehr als eine Million Handydaten gesammelt und später ausgewertet. In der Folge wurde der Dresdner Polizeipräsident Dieter Hanitsch abberufen.

Die jetzt bekannt gewordene Berliner Praxis provozierte Kritik von Politikern und Datenschützern. Christopher Lauer, innenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion, sagte, falls sich die Berichte bewahrheiteten, handele es sich um einen „massiven Eingriff in die Grundrechte“. Er forderte Innensenator Frank Henkel (CDU) auf, die Ereignisse „lückenlos aufzuklären“. In der nächsten Sitzung des Innenausschusses am Montag wollen die Piraten das Thema zur Sprache bringen. Auch in der rot-schwarzen Koalition gibt es Bedenken, ob die flächendeckende Handykontrolle gerechtfertigt war. „Man muss sich angucken, ob der Ermittlungsansatz in dem Umfang tatsächlich richtig ist“, sagte der SPD-Rechtspolitiker Sven Kohlmeier. Er sei „skeptisch“, ob das Vorgehen datenschutzrechtlich akzeptabel sei.

Der Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Dix forderte von der Polizei eine Stellungnahme. Sein Sprecher Joachim-Martin Mehlitz bezeichnete es als „generell problematisch, wenn nicht-individuelle Daten abgefragt werden“, sondern flächendeckend Telefonverbindungen auch von Unverdächtigen untersucht werden. Die Grünen sehen ebenfalls „erheblichen Aufklärungsbedarf“. Der innenpolitische Sprecher im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, forderte mit dem Instrument der Funkzellenauswertung sensibel umzugehen. Die Abfrage greife in die Rechte tausender Unbeteiligter ein, „weil deren Daten notwendigerweise mit erhoben werden“. Der Linken-Rechtspolitiker Klaus Lederer bezeichnete die Telefonkontrollen als „absolut unangemessen“.

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