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Autonome Szene: Linke Nachwuchssorgen

Die autonome Szene von heute ist überaltert. Ihre Ideale gelten als naiv, ihre Mittel als problematisch. Für ihre Ziele finden sie wenig Sympathisanten.

Schon in den 80er Jahren hat Peer Schmidt-Paulus oft in der „Roten Harfe“ am Heinrichplatz gesessen. Damals applaudierte er den Steinewerfern, seine Freundin wohnte im besetzten Haus gegenüber. Heute trägt er Anzug und nennt seine Einstellung von damals „naiv“. Er ist Geschäftsführer in einer Werbeagentur gleich um die Ecke. Ihm erschließt sich nicht, was an den Protesten Autonomer in den vergangenen Tagen politisch sein soll, auch die Mittel kritisiert er: Anders als bei ihnen damals könne man heute mit Bezirksämter verhandeln. „Der 87. brennende Opel bringt doch nichts“, sagte er. Früher war Schmidt-Paulus in der linken Szene aktiv aus „Opposition zu den realexistierenden Verhältnissen“, wie er sagt. „Wir hatten zwei ehemalige Nazis als Lehrer an der Schule.“

Heute hingegen treibt jüngere Autonome nach Angaben von Sicherheitsexperten vor allem die Angst vor einer unsicheren Ausbildungs- und Arbeitsperspektive um . Der Kontrast zwischen der materiellen Sicherheit im Elternhaus und der Welt „da draußen“ ist deutlich härter als vor der Wiedervereinigung und wird als ungerecht empfunden. Den großen Unterschied aber zu den Autonomen der 80er Jahre sieht manch Links-Gebliebener nicht: Einer, der damals in einem besetzten Haus in der Nähe des Heinrichplatzes wohnte, findet, die heute Jungen seien genauso politisch oder unpolitisch wie vor zwanzig Jahren. Damals wie heute wollten manche einfach nur billig wohnen, andere suchen nach neuen Möglichkeiten sozialer Kommunikation, manche seien politische Punks, viele arbeitslos und manche auf Party aus. Dass die Jungen gegen die Privatisierungen in Kreuzberg protestieren, findet er richtig. Teilweise sei ihm die junge Szene aber „zu szenig“, zu sehr auf sich selbst und zu wenig auf die breite Bevölkerung bezogen: „Die müssten auf die Bevölkerung zugehen und deren soziale Lebensbedingungen einbeziehen“, sagt er.

Andere sehen deutlichere Unterschiede. Einer, der mit Spitznamen „Haller“ heißt und heute 53 Jahre alt ist, war in den 80er Jahren in der Hausbesetzer-Szene unterwegs. Früher sei man direkt aus der Kneipe auf die Straße gestürmt, wenn was los war. Das sei am Donnerstag, als wieder Autos brannten, nicht passiert. „Früher war die Szene im Kiez viel besser organisiert“, sagt er, es seien weniger Aktive geworden. Das Spektrum der Autonomen sei diffus und zum Teil überaltert, sagen Polizisten und Verfassungsschützer: Im Gegensatz zu den 80er Jahren, als die Autonomen noch wegen ihrer martialischen Auftritten für viele Junge attraktiv waren, mangele es der Szene heute an Nachwuchs. Auch nach den Massenprotesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm vor einem Jahr blieb der von Altautonomen erhoffte Zustrom junger Linker weitgehend aus. Außerdem sind die Juniorautonomen von heute deutlich weniger ideologisiert. Oft dominiert Sicherheitsexperten zufolge eine aggressive Punk-Attitüde, die sich im kaum reflektierten Hass auf den Kapitalismus, auf „Bullen“ und Nazis austobt – und manchmal gegen Autos. fan/höh

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