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Geschichten ohne Ende. Erzählen kann Lea Streisand immer. Aber wirklich Privates gibt sie nur ungern preis.

© Promo/Stephan Pramme

Autorin Lea Streisand im Portrait: Immer im Gespräch

Lea Streisand ist Geschichtenerzählerin, Romanautorin und Kolumnistin. Über Berlin schimpft sie ordentlich, möchte aber trotzdem nirgendwo anders leben.

Es ist einer der wenigen heißen Sommertage in diesem Juni. Lea Streisand kommt mit dem Fahrrad angefahren, in den Hinterhof vom Fritz Heyn, einem hübschen Café in Pankow. Die Kellnerin grüßt freundlich, man kennt sie hier. Seit zwölf Jahren lebt Streisand in Pankow. Sie ist ein Multitalent im Geschichtenerzählen, hat Literaturwissenschaften studiert und arbeitet als Journalistin, hat Kolumnen in der „Taz“ und auf „Radioeins“. Außerdem ist sie Entertainerin: In Neukölln organisiert sie regelmäßig die Lesebühne „Rakete 2000“. Vor allem ist sie aber Schriftstellerin, schreibt über ihr Leben und über Berlin, ihre Stadt. 2016 erschien ihr erster Roman: „Im Sommer wieder Fahrrad“.

Das Fahrrad hat eine besondere Bedeutung im Leben der 37-Jährigen. Auf dem Rad fühle sie sich frei, sagt Streisand. Laufen dagegen ist schwierig. Weil ein Bein verkürzt ist, hinkt sie. Das Fahrrad ist ihr liebstes Fortbewegungsmittel, sie fährt überall damit hin, bei jeder Witterung. Der Titel des Buches bezieht sich auf ein Versprechen, das die krebskranke Protagonistin Lea ihrem Arzt abluchst. Im Sommer, wenn der Tumor hoffentlich bekämpft ist, darf sie wieder Fahrrad fahren. Ein Hoffnungsschimmer während der anstrengenden Chemotherapie. Während der muss sie nicht nur aufs Radfahren verzichten, sondern verliert auch die geliebten Haare.

Der Roman trägt zum Teil autobiografische Züge. Streisand schreibt darin über ihre eigene Krebserkrankung im Jahr 2011. Aber auch über ihre Großmutter, „Mütterchen“ genannt. Diese beschreibt die Autorin als beeindruckende Frau: Eine freigeistige Schauspielerin, die ihren Mann vor den Nazis rettete. Anhand des Lebens der Großmutter erzählt der Roman auch viel über die Geschichte Berlins, über die Nazizeit und die DDR. Darüber, dass nach Kriegsende Butter mehr wert war als Gold. Und darüber, wie schwierig es später war, von Ost- nach West-Deutschland zu telefonieren.

Mit dem Buch wollte Streisand ihrer Großmutter ein Denkmal setzen. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Protagonistin im Buch genauso heißt wie die Schriftstellerin selbst. „Es ist mir aber auch wichtig, dass es sich hier um einen Roman handelt“, sagt Streisand.

Das alles sei nicht das wirkliche Leben, die Dinge nicht alle genauso passiert. „Die Lea im Buch ist eine Kunstfigur und nicht die Privatperson Lea“, sagt sie. Streisand wirkt selbstbewusst, routiniert in dem, was sie sagt. Aber nicht, als hätte sie es auswendig gelernt.

Was sie erzählt, ist Teil der Kunstfigur Lea. Die gibt ihr Schutz, ob auf der Bühne, bei Lesungen, oder bei Interviews. Eine Rolle zu spielen, nimmt Streisand die Angst vor dem Publikum - die Angst, zu scheitern.

Die Kunstfigur Lea sitzt auch hier im Café, trinkt Rhabarberschorle und redet unermüdlich im Berliner Dialekt. Die „echte“ Lea Streisand zeigt sich nur ganz selten: Sie spricht nicht gerne über private Dinge. Auf den ersten Blick paradox, immerhin hat sie ein Buch über ihre Krebserkrankung geschrieben. Und in ihrer Radiokolumne „War schön jewesen - Geschichten aus der großen Stadt“ redet sie nicht nur über Berlin, sondern erzählt scheinbar sehr private Details aus dem eigenen Leben, über die beste Freundin oder den Freund. Es ist schwierig, zu erkennen, wo die Grenze zwischen Realität und Fiktion verläuft. Genau das ist es, was bei vielen Leuten gut ankommt: Die Erzählungen wirken authentisch.

Geboren wurde Lea Streisand 1979 im Ostteil Berlins. Die ersten zehn Jahre ihres Lebens verbrachte sie in der DDR. „Natürlich hat mich das geprägt“, sagt sie, „es sind ja nicht nur die zehn Jahre, die ich dort verbracht habe. Meine ganze Familiengeschichte ist eine ostdeutsche.“ Die Aufarbeitung der DDR-Geschichte beschäftigt sie. „Die Ostdeutschen Intellektuellen, die die Wende 1989 maßgeblich initiiert haben, fanden die Idee DDR ja gut, nur die Umsetzung, der real existierende Sozialismus, war eine Katastrophe. Das ist das Milieu, in dem ich aufgewachsen bin.“

Streisand ärgert sich, dass keine Auseinandersetzung damit stattfindet, wie essentiell die DDR auch für die West-Linken gewesen sei. Besonders der Umgang in Berlin gefällt ihr nicht. Die DDR sei fast gänzlich aus dem Stadtbild verschwunden - und nun mit Frank Castorfs Abschied von der Volksbühne ihrer Meinung nach wohl auch das letzte Stadttheater, das sich mit der DDR-Geschichte auseinandersetzte. „Berlin wird zu einer glatten Oberfläche gemacht“, sagt Streisand. Die Tourismuspolitik vermarkte Berlin nur noch als Partystadt für junge Leute.

Wenn es um den Ausverkauf ihrer Heimatstadt geht, wird Streisand bissig. Steigende Mieten, Verdrängung und Partytourismus nerven sie.

Trotzdem: Woanders zu leben, das kann sich Streisand nicht vorstellen. Es sei schön, zwischendurch mal Ruhe zu finden. Dafür reicht ihr aber auch ihre Wohnung - wenn ihr Mann nicht da ist. „Ich brauche den Trubel und die Abwechslung hier“, sagt sie. „Und ich schreibe ja Geschichten über die große Stadt Berlin.“

Als die Sonne irgendwann so hoch steht, dass es keinen Schatten mehr auf den Holzbänken vor dem Café gibt, verabschiedet sich Lea Streisand und schließt ihr geliebtes Rad auf. Es ist Sommer, ihre Haare gehen bis zur Brust und sie darf wieder Fahrrad fahren.

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