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Mirna Funk wurde in Ost-Berlin geboren, ist die Ur-Enkelin des Schriftstellers Stephan Hermlin und lebt in Mitte.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Autorin Mirna Funk: Zuhause zwischen Berlin-Mitte und Tel Aviv

Sie und ihre jüdischen Vorfahrensind eng mit der Geschichte Berlins verbunden: Auf Streifzug mit Mirna Funk, zwischen Kaffeeduft und Erinnerungen.

Frisch gemahlener Kaffee hüllt den Koppenplatz in seinen Duft, Bohnen knistern unter der Hitze. Die Röststätte ist eines dieser Szenecafés, die so ähnlich in jedem angesagten Kiez weltweit zu finden sind, eine Heimat für diejenigen, die Heimat als Gefühl und weniger als Ort begreifen. Ein passender Ort für das Treffen mit Mirna Funk, „Vogue“-Kolumnistin, Journalistin, PR-Expertin und Romanautorin.

Für ihren ersten Roman „Winternähe“, die Geschichte über eine deutsche Jüdin, erhielt sie 2015 den Uwe-Johnson-Förderpreis. Im nächsten Jahr soll ihr neues Buch erscheinen, es handelt von Traumata und wie sie von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Mirna Funk betritt das Café beinahe fliegend, gut gelaunt und pünktlich auf die Minute. Dunkelblauer Wollmantel, farbige Shorts, perfekt gestylt. 1981 wurde sie in Prenzlauer Berg als Tochter eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter geboren. Heute lebt sie vor allem in Berlin und ist regelmäßig in Tel Aviv, dort hat sie auch gerade am zweiten Roman gearbeitet.

Es ist dieses Dazwischen, dem sie sich zugehörig fühlt. In Berlin ist sie in Mitte zuhause, wo jüdische Vergangenheit auf jüdische Gegenwart trifft. Funk wohnte bereits zur Jahrtausendwende in Mitte und ist nach Stationen in Tel Aviv und Prenzlauer Berg wieder zurück. „Das Schöne an Mitte ist, dass sich die meisten, die hier leben, noch aus den Nullerjahren kennen. Statt Melonen-Zeugs im Cookies trinken wir jetzt Cappuccino in der Röststätte."

Vom Koppenplatz geht es vorbei am Restaurant Lokal, ihr Favorit für laue Sommerabende. Aber die Kühle des Frühlingsabends schleicht um die Beine, Funk zieht den Mantel enger zu und läuft schnellen Schrittes weiter in Richtung Auguststraße. Bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten war die Straße eine zentrale Achse des jüdischen Gemeindelebens in Berlin. Heute ist sie ein Zentrum der Kunstszene.

Ein Gefühl von Heimat

Orten wie der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule, Hausnummer 11 bis 13, wurde durch Galerien und Gastronomie neues Leben eingehaucht. Mirna Funk hat vor Jahren selbst in der Auguststraße gewohnt. Die Geschichte des Kiezes ist für sie ein wichtiger Grund, hier zu wohnen. „Ich fühle mich zu Hause. Das ist ein Gefühl von Heimat, von Zugehörigkeit, auch wenn kaum etwas von der jüdischen Geschichte übrig geblieben ist.“ Das macht sie zugleich wütend, aber diese Wut, sagt sie, sei richtig und gesund.

Und die Gentrifizierung, die hier in der Spandauer Vorstadt besonders sichtbar ist? „Mich stört Veränderung nicht.“ Funk mag es, wenn sich das Stadtbild ändert. „Ich finde Gentrifizierung super. Ich will, dass die Häuser schön aussehen, dass in den Wohnungen Heizungen sind, dass alles funktioniert. Dafür können sie auch mehr Geld kosten.” In Ost-Berlin ist sie mit Ofen im Kinderzimmer und Dusche in der Küche aufgewachsen. „Das genügt vielleicht als Erklärung.“

Weiter geht es zum westlichen Ende der Auguststraße. An der Kreuzung zur Oranienburger Straße lebte die Familie ihrer Urgroßmutter Juliette Leder, die später Funks Urgroßvater Stephan Hermlin, heiratete. Gemeinsam floh das Paar vor den Nationalsozialisten nach Paris, das Gebäude wurde im Krieg zerstört, an seiner Stelle steht nun ein Neubau.

"Meine Tochter ist meine Familie. Sonst niemand."

Der passende Moment, über Familie zu reden. Im vergangenen Oktober hat Mirna Funk mit der Illustratorin Maayan Sophia Weisstub das Kinderbuch „Wo ist Papa?“ veröffentlicht. Es erzählt in liebevoller Weise zwölf Geschichten über Familienkonstellationen jenseits von Mutter-Vater-Kind. Funk selbst ist, wie die Löwenmama Lena in ihrem Buch, alleinerziehende Mutter und findet das sehr unkompliziert. „Ich glaube an Familie, die man sich aussucht. Meine Tochter zum Beispiel ist meine Familie. Sonst niemand.“

Funk hat sich für ihre Unabhängigkeit und gegen die Abhängigkeit vom Vater ihrer Tochter entschieden. Sie scheint daraus eine enorme Kraft zu ziehen. „Ich wusste immer, wie ich als Mutter sein werde. Und zwar ich selbst“, sagt sie. Und wie schafft sie den Spagat zwischen dem Schreiben, dem Job in einer Digitalagentur und dem Muttersein? „Ich genieße die Routine und Struktur, die das Muttersein mit sich bringt. Meine Tagesabläufe konnte ich dadurch sogar optimieren.“

Mit ihrem Urgroßvater, Stephan Hermlin, hat sich Mirna Funk nie verglichen

Familie, das Thema begleitet sie auch zur letzten Station dieses Spaziergangs, zum Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße, schon 1762 wurde er angelegt. Die Aufschriften der Grabsteine lesen sich wie ein Who’s who der geistigen Elite Deutschlands: Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Anna Seghers und auch Stephan Hermlin. Funk war seit zwanzig Jahren nicht mehr hier.

Den Vergleich mit dem schreibenden Urgroßvater hat sie nie gesucht. „Ich wollte Schriftstellerin werden, da war ich noch ganz klein. Das hatte überhaupt keinen Auslöser. Ich habe mir Fragen gestellt, aber von den Menschen, die mich umgeben haben, keine Antworten bekommen“ sagt sie und läuft in Zickzacklinien die Wege entlang, auf der Suche nach Hermlins Grab.

Auf der Suche nach jüdischer Identität

Als Autorin geht es ihr um Fragen des Menschseins, um die Verortung in der Welt. In ihrem Debütroman „Winternähe“ schickt Funk ihre Protagonistin Lola auf die Suche nach ihrer jüdischen Identität von Berlin nach Tel Aviv. Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt: „Was ist ein Mensch, was fühlt er, was will er?“

Nach minutenlanger, ergebnisloser Suche auf dem Friedhof lässt es Mirna Funk gut sein. Ihr Urgroßvater ist ein Stück Vergangenheit. Sie lebt im Hier und entscheidet sich für das Jetzt. Sie ist die jüdische Gegenwart.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Textes wurde angegeben, dass Juliette Leder und Stephan Hermlin gemeinsam in der Auguststraße, Ecke Oranienburger Straße gewohnt haben. Tatsächlich hat Stephan Hermlin nie dort gewohnt. Außerdem führte der Spaziergang durch die Spandauer Vorstadt, nicht durch das östlicher gelegene, früher als Scheunenviertel bezeichnete Gebiet. Wir bitten, die Fehler zu entschuldigen.

Inga Nelli

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