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Berlin: Axel Thimm, geb. 1942

Alle mochten Thimmi. Eigentlich hieß er Axel Thimm, doch alle sagen nur Thimmi, "unser Thimmi".

Alle mochten Thimmi. Eigentlich hieß er Axel Thimm, doch alle sagen nur Thimmi, "unser Thimmi". Seine Kollegen von der Fahrbereitschaft des Senats machen es so. Auch seine Fahrgäste, Berliner Politiker, erinnern sich an Thimmi. Die Parteifreunde von der SPD in Tempelhof-Schöneberg, von denen er die Mitgliedsbeiträge kassierte. Und seine Frau Monika tut es auch. "Er hat immer gestrahlt, er hatte immer gute Laune." Auf den SPD-Feiern sei er auf alle Leute zugegangen, habe sie von sich aus angesprochen, "fantastisch, ich brauchte mich gar nicht um ihn zu kümmern".

Dieses Jahr schreibt Monika Thimm die Briefe alleine: An die Verkehrsbetriebe, an die Dresdner Bank und an den Supermarkt - sie sollen das SPD-Kinderfest auf dem Viktoria-Luise-Platz bezahlen. Das Fest war Axel Thimms jährliche Herzensangelegenheit. Immer wieder im Sommer kümmerte er sich darum, dass Geld da war und bunte Luftballons mit SPD-Werbung drauf. Dann zapfte er beim Kinderfest das Bier für die Erwachsenen. Auch die SPD-Landesgrößen Böger, Momper, Strieder und Fugmann-Heesing waren da und aßen vom Streuselkuchen, den Axel Thimm gebacken hatte. Er konnte das, er hatte Bäcker gelernt.

Schulsenator Klaus Böger erinnert sich, wie er seine Termine änderte, als sich im vorletzten Juni Pappkisten mit Luftballons in seinem Dienst-Mercedes stapelten. Thimmi nahm er das nicht übel. Ein "Verhältnis eigener Art" verband ihn mit dem Mann, der ihn rund um die Uhr durch die Stadt fuhr. Rein formal gesehen, war Böger nicht Axel Thimms Chef, sondern sein Fahrgast. Klaus Böger saß neben seinem Fahrer, duzte ihn, auf der Rückbank saß er nur dann, wenn es Akten zu bearbeiten gab. Mit Klaus Böger, dem Fahrgast, verbrachte Axel Thimm mehr Zeit als mit Monika, seiner Frau. Auch Böger gibt zu, ihn öfter als seine Gattin gesehen zu haben. Zum Geburtstag buk Thimmi dem Fahrgast einen Butterkuchen.

Er kam manchmal erst um elf oder halb zwölf nach Hause, am nächsten Morgen musste er oft gegen sechs schon wieder im Wagen sitzen. Für Kino, Theater oder Konzerte blieb selten Zeit. "Halt dich mal bereit", sagte seine Frau zu Tochter Michaela, wenn sie mal zwei Karten gekauft hatte. Kam Axel Thimm spät nach Hause, sprang die Tochter ein. Während sein Fahrgast auf den Sitzungen von Landesregierung, Partei und Fraktion Papier wälzte, spielte Axel Thimm mit seinen Kollegen Skat. Ins Abgeordnetenhaus ging er manchmal hinein und hörte bei den Debatten zu. Aber klatschen durfte er nicht, er war ja der Fahrer.

Auch wenn er regelmäßig zum Schleudertraining auf den Nürburgring geschickt wurde, war Axel Thimm kein rasanter Fahrer. Einmal aber musste er rasen, es ging darum, den Mantel der Geschichte zu ergreifen: Am Abend des 9. November 1989 war es, Thimm fuhr Walter Momper, damals Regierender Bürgermeister. Der war gerade im Kreuzberger Springer-Hochhaus bei einer Preisverleihung, als bei Axel Thimm das Telefon klingelte: "Sag schnell Bescheid!" Im Eiltempo fuhr er Momper zum Grenzübergang an der Bornholmer Brücke. Dass bei dem rasenden Einsatz eine Beule im Bodenblech entstand, das hat er später gerne erzählt.

Geboren in Neukölln, wuchs Axel Thimm ohne Vater auf. Als die Mutter kurz nach dem Krieg in eine Klinik eingeliefert wurde, verlor er auch den Kontakt zu ihr. So wurde Axel Thimm in einer Pflegefamilie groß. Als er neun war, erkannte ihn seine Cousine auf einem Schulhof an einer langen Narbe über der Wade. Er kehrte zur Mutter zurück.

Axel Thimm wurde Bäcker, stand immer früh auf und dachte sich nach neun Jahren: Das ist es nicht, als Fahrer kann man länger schlafen. Zuerst fuhr er Bier für die Kindl-Brauerei, dann Jauche für die Firma Feigel, später Akten für die Berliner Verwaltung. Politiker fuhr Axel Thimm erst seit 1987.

Er besuchte bis zuletzt die Versammlungen der Schöneberger Sozialdemokraten, auch als manche schon "Thimmi, denk an deine Gesundheit!" sagten. Axel Thimm hatte Knochenmark-Krebs. Als die Ärzte vor drei Jahren die Krankheit diagnostizierten, sagten sie, man könne zwanzig Jahre mit ihr leben. Regelmäßig musste sich Thimm Chemotherapien unterziehen, die letzte schwächte ihn so sehr, dass er sich mit Gelbsucht infizierte. Dazu kam eine fortgeschrittene, spät festgestellte Diabetes. Axel Thimm ignorierte seine Krankheiten. Mitte März verließen ihn die Kräfte und er fiel in seiner Wohnung einfach um. Der Rettungswagen brachte ihn ins Hospital, "wieder mal eine schlechte Phase", dachte seine Frau. Sie ahnte nichts Schlimmes, bis dann der Anruf vom Auguste-Viktoria-Krankenhaus kam: Die nächste Nacht überlebt er nicht.

So gut kassieren wie er wird so bald keiner mehr im SPD-Ortsverband Tempelhof-Schöneberg: Er schaffte es, 98 Prozent der Beiträge einzutreiben, viel mehr als die anderen Kassierer. Einige säumige Zahler wurden wohl unfreundlich, als er - mit netten Worten, aber oft - in Erscheinung trat. Aber sonst mochten Thimmi alle.

So einen wie Thimmi kann man gut gebrauchen. Briefe schreiben, Mitglieder zur Weihnachtsfeier herbeitelefonieren, Infostände organisieren: Der Ortsverband rief ihn an, "kannst du das machen?", Axel Thimm tat es. Die Arbeiten, für die sich niemand fand, erledigte er und war dabei glücklich.

Er organisierte eine Dampferfahrt für den Spreewald-Verein, grillte in seinem Garten für die Arbeiterwohlfahrt, ging zum Kegelverein in der Sonnenallee. So viele Vereine. Vielleicht war er doch irgendwie alleine. Denn da gab es noch die Frage, wer ihm denn besonders vertraut war, seine Sorgen und Ängste kannte. Niemand besonderes, sagt man, sagt auch seine Frau: Denn Thimmi mochten doch alle. Freundlich war er immer, aus Prinzip. Immerhin, wer so freundlich ist, hat nur Freunde.

Christian Domnitz

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