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Berlin: Babyklappe: Rettung durch Anonymität

Der Putz um die kleine graue Klappe in der Mauer des Krankenhauses ist noch frisch. Dahinter ist ein beheiztes Babybett.

Der Putz um die kleine graue Klappe in der Mauer des Krankenhauses ist noch frisch. Dahinter ist ein beheiztes Babybett. Ungewollte Neugeborene können dort anonym hineingelegt werden. Wenige Monate, nachdem Findelkind Henry kaum einen Kilometer entfernt in einer Plastiktüte ausgesetzt wurde, hat damit auch Neukölln eine so genannte Babyklappe. Sie soll Kinder wie Henry retten. "Hätte der Finder den Jungen nicht weinen gehört, der wäre wohl im Altkleidercontainer gelandet", sagt der leitende Arzt für Kinderheilkunde, Rainer Rossi. Nach seiner Schätzung werden in der Bundesrepublik 30 bis 60 ungewollte Neugeborene pro Jahr ausgesetzt. Gesicherte Zahlen gibt es nicht.

Rossi und die leitende Hebamme der benachbarten Frauenklinik, Bärbel Pluta, sind gefragt, seit sich vermehrt auch die Fraktionen im Bundestag für das Thema interessieren. Unumstritten ist die Babyklappe als letzter Ausweg für Mütter in Not dabei nicht. Als scharfe Kritikerin des Konzepts geladen war auch die Adoptionsforscherin und Professorin an der Universität Hannover, Christine Swientek. Sie hält die verbreiteten Vorstellungen von verzweifelten Müttern und todgeweihten Babys für eine gefährliche Halbwahrheit. "Bei Adoptionen sind es nach meinen Forschungen in fast der Hälfte der Fälle die Männer oder auch die Familie, die Druck ausüben", sagt sie. Dabei sei durchaus nicht immer reine Not das Motiv. "Auch dass die so genannte Schande eines Kindes aus unehelicher oder unerwünschter Verbindung vermieden werden soll, gibt es noch." Die Frauen aber, die wirklich in extremer Not handelten, würden mit der Babyklappe gar nicht erreicht. Andererseits zeigten Erfahrungen aus Ländern wie Frankreich, wo die anonyme Geburt erlaubt ist, dass das Angebot die Nachfrage erhöhe.

Für den Kinderarzt Rossi sind dagegen Überlegungen zu den sozialen Voraussetzungen im Moment der akuten Not zweitrangig: "Im Zweifel ist für mich als Arzt das Leben des Kindes das höchste Gut." Und Extremsituationen, die eine Babyklappe als lebensrettenden Ausweg erscheinen lassen, hat er schon oft erlebt: "Wir haben es hier immer wieder mit Kindern zu tun, die Symptome schlimmster Misshandlung und Vernachlässigung zeigen. Auch Todesfälle sind die Folge. Da bin ich Anwalt des Kindes." Rossi zitiert Zahlen aus einer Untersuchung der Frankfurter Universitätsklinik, wonach fast ein Drittel schwer misshandelter Kinder ein Jahr später nicht mehr leben.

Vergleichbare soziale und psychische Not hat auch Hebamme Bärbel Pluta in drei Jahrzehnten Berufserfahrung kennen gelernt. Aber weder Rossi noch sie halten alle Einwände der Kritiker grundsätzlich für unberechtigt. Die erfahrene Geburtshelferin kann etwa bestätigen, dass psychischer Druck und Gewalt oft vom Vater des Kindes ausgehen. Auch sie fragt sich, ob die wenigen Mütter, die aus Panik möglicherweise das eigene Kind töten, durch das neue Angebot noch erreicht werden können. Doch "Im Augenblick halte ich die Babyklappe für eine Notlösung", sagt Pluta. "Und wenn, dann als Schritt bei der Durchsetzung der anonymen Geburt."

Denkbar wäre dabei immerhin, die Aufbewahrung der Herkunftsdaten und das Problem der Anonymität noch juristisch zu lösen. Wirkliche Lösungen aber müssen viel früher ansetzen, darin sind sich Kinderarzt, Hebamme und Adoptionsforscherin einig.

Ole Töns

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