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Berlin: Bärbel Rohleder-Telkamp (Geb. 1943)

„Wäre ja noch schöner, wenn Sie sich keine Mühe geben würden!“

Als die Prostataoperation drohte, geriet er in Panik. Er schwamm hinaus aufs Meer, drei Stunden hat er sich treiben lassen, er wollte unbedingt untergehen. Erschöpft kehrte er an Land zurück. Sie war stocksauer auf ihn. Im Glienicker See hat er es dann noch mal versucht. „Ich will ertrinken, ich will ertrinken!“ Wieder ist es ihm nicht gelungen.

„Jetzt hab ich die Faxen dicke“, meinte sie nur. „Alles leere Versprechungen. Ich binde dir Steine an die Beine, fahr dich zum See und stoß dich ins Wasser. Ich garantier dir, du gehst unter!“

Da musste er so lachen, dass er fortan von seiner Lebensangst kuriert war.

Sie war die Frau seines Lebens. Seit der Sommernacht im Juni 1966. Er ließ nicht mehr von ihr ab, die ganze Nacht nicht, das ganze Leben nicht, er nahm sie hoch, trug sie weg. Und sie ließ es geschehen. Was nicht ihre Art war, klein beigeben.

„Wieso hast du gerade den genommen?“, fragten ihre beiden Töchter einmal im Scherz. Sie kannten die Antwort: Weil er ihr immer den Rücken freihielt.

Er blieb Hausmann, als sie Karriere machte, kümmerte sich um die Töchter, die ihre Mutter eine Zeit lang gar nicht gesehen haben, so früh ging sie aus dem Haus, so spät kam sie wieder.

„Glauben Sie nicht, dass Sie irgendwelche Vorteile haben, nur weil Sie jetzt schwanger sind!“ Ihr Beruf: Chirurgin. Eine Domäne der Alphamännchen. Aber sie hatte Kämpfen gelernt. Vier Töchter waren sie zu Hause, Geld musste sie schon immer dazuverdienen, in der Schulzeit durch Erdbeerpflücken und Salzsäckefüllen, im Studium durch Nachtdienste. Als sie nach Berlin kam, schrieb sie sich zunächst für Botanik ein, aber ihr fehlten die festen Schuhe für die Exkursionen, also sattelte sie auf Medizin um.

Sie war ehrgeizig, wollte nicht nur Pillen verabreichen, sondern schneiden: „Chirurgenstahl heilt Menschenqual.“ Es gab damals nur Götter im OP und Schwestern. „Wie ernst meinen Sie es denn mit der Chirurgie?“, fragte sie Emil Bücherl, seinerzeit der Leitwolf der deutschen Herzmediziner. Er bekam bald zu spüren, wie ernst sie es meinte.

Sie war die einzige Frau unter den Assistenten und musste sich doppelt beweisen: als Frau und als Chirurgin. Sie stand auf sehr schönen Beinen, auf die sie stolz war, sie roch immer gut, was ihren Kollegen manchmal den Atem nahm, aber auf zu viel Testosteron konnte sie selbst im Alter noch sehr allergisch reagieren: „Auch sie werden lernen, in einem ordentlichen Ton mit mir zu reden!“

Über tausend Brustbeinöffnungen im Lauf der Jahre unter Bücherl, sie war unglaublich präzise, in zehn Minuten konnte sie einen Herzschrittmacher implantieren, kein Mann war schneller. Aber: 100 Prozent reichten nie. Sie musste 300 Prozent besser sein.

„Wenn Sie Zeit haben, Kuchen für die Schwestern zu backen, sind Sie wohl nicht ausgelastet.“

Kaffee und Zigaretten waren viele Jahre ihr Grundnahrungsmittel, 36-Stunden-Dienste die Regel. Auf den Idealismus einiger weniger ist Verlass, das kalkuliert die Verwaltung mit ein. Was sie nicht einkalkulieren: dass es zur Heilung auch Mitgefühl braucht.

Handwerklich geschickt einer Frau die Brust zu entfernen, ist das eine, ihr neuen Lebensmut nach der Operation zuzusprechen, das viel Wichtigere. Sie saß oft noch bis Mitternacht am Bett und tröstete. Oder weinte, wenn es keinen Trost gab.

Als Oberärztin wirkte sie auf neue Mitarbeiter zunächst kühl, zuweilen schroff. Mit ihren klaren Ansagen musste man umgehen lernen: „Jeder bekommt hier drei Monate, dann entscheiden wir.“

„Aber ich geb mir doch schon so Mühe.“ – „Wäre ja noch schöner, wenn Sie sich keine Mühe geben würden!“ Eine harte Schule, aber am OP-Tisch hilft kein Geschwätz. Da zählt das Können – und das Miteinander. „Das Erste, was Sie sich zulegen: ein drittes Gelenk damit sie mich nicht behindern, und dann lesen sie das Buch ‚Wie werde ich ein guter Assistent’. Die meisten lesen nur: ‚Wie behindere ich den Operateur’.“

Die wenigen Fehler, die sie in ihrer Karriere gemacht hat, konnte sie glücklicherweise immer selbst korrigieren. „Man kann alles kaputt machen, man muss nur wissen, wie man es repariert.“

Sie selbst hatte nie Vertrauen zu Ärzten, schon gar nicht zu Internisten. Als sie an einer Herzschwäche zu leiden begann, stellte sie ernüchtert fest: Die interessieren sich ja gar nicht für mich als Mensch.

Alt werden empfand sie als lästig, aber jammern war nicht ihre Tonlage. „Wenn man 40 ist, und man wacht auf, und es tut nichts weh, dann ist man tot.“

Sommers wie winters fuhr sie in ihrem Käfer Cabrio zur Arbeit, Sport in jeder Form mied sie. „Dann fällst du irgendwann tot um“, meinten die Kollegen. Das wollte sie wohl auch so. „Mein Platz ist dann auf dem Selbstmörderfriedhof“, scherzte sie, „da muss man 20 Minuten laufen, bis man da ist.“ Ein bisschen Mühe sollten sich die Besucher schon geben.

Die Töchter brachten all ihre Schminksachen zum Bestatter, auch den knallroten Lippenstift, „Dior Rouge N°999“. Nachlässiges Äußeres ist durch nichts zu entschuldigen.

Was sie ihnen noch mitgab fürs Leben: selbstbewusst sein und unabhängig. „Ob Klofrau oder Anästhesistin, Hauptsache ihr verdient euer eigenes Geld.“ Sie hat die beiden nicht zur Chirurgie gedrängt, aber unglaublich stolz war sie doch, dass gleich zwei Frauen ihre Arbeit weiterführen werden.

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