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Berlin: Bärbel Schmidthals (Geb. 1941)

Die Konfrontation liebte sie ansonsten nicht

Es kam vor, dass Bärbel Schmidthals sich in der S-Bahn pöbelnden Skinheads entgegenstellte. Oder die Hand schützend über einen Demonstranten hielt, auch wenn der Polizeiknüppel ihr die Hand zerbrach. Die Konfrontation liebte sie ansonsten nicht.

Bärbel wuchs in einer zerstrittenen Familie im niedersächsischen Holzminden auf, drei Generationen auf engstem Raum. Schläge gehörten zum Alltag, Gespräche nicht. Nur ihr Großvater war für sie da. Sie erinnerte sich gut, wie wütend er geworden war, als sie als Mädchen verächtlich über einen kommunistischen Lehrer gesprochen hatte.

Ihren Mann Hartmut lernte sie während ihres Studiums der Theologie und Germanistik in Göttingen kennen. Die beiden wurden Lehrer und gingen 1969 gemeinsam nach Ankara. Da hatten sie schon zwei Kinder. An der Deutschen Schule galt das Ehepaar bald als aufwieglerisch. Bärbel hatte Position gegen den Vietnamkrieg bezogen, Hartmut wohlwollend über Kriegsdienstverweigerer gesprochen. Politisch aktiv wurde Bärbel jedoch erst nach dem türkischen Militärputsch 1971, als linke Studenten gefoltert, einzelne auch hingerichtet wurden. Ein paar Wochen lang versteckten sie eine Verfolgte in ihrer Wohnung.

1972 zog die Familie nach Berlin, wo Bärbel Lehrerin am Steglitzer Mittelstufenzentrum Immenweg wurde, einer Schule, die Jahre später wegen Asbestverseuchung geschlossen werden musste. Als sie vor zweieinhalb Jahren an Lungenkrebs erkrankte, konnten die Ärzte mit einiger Sicherheit den Asbest als Ursache benennen.

Bärbel wollte nicht dulden, dass eine Gruppe von Neonazis die Schule und ihr Jugendzentrum zu ihrem Treffpunkt machte. Diejenigen, die keine Schüler mehr waren, forderte sie auf, das Haus zu verlassen. Mit den Jüngeren diskutierte sie. Schulleiter und Lehrerkollegen unterstützten sie kaum. Also richtete sich der Zorn der Neonazis gegen sie allein: Sie schmierten Todesdrohungen an die Wand, raunten ihr auf dem Schulhof „Gaskammer“ ins Ohr und griffen ihren Sohn an.

Im Arbeitskreis Friedenserziehung, einem Zusammenschluss von Gewerkschaftern und Kirchenleuten, diskutierte sie, wie man junge Menschen von altem Gedankengut abbringen konnte. In einer Petition an das Abgeordnetenhaus forderten sie, Begegnungen mit Verfolgten des Naziregimes als regulären Unterrichtsbestandteil einzuführen. Außerdem wandten sie sich gegen die atomare Nachrüstung: Auf Bärbels Initiative hin legten Berliner Lehrer, die meisten von ihnen Beamte und somit ohne Streikrecht, aus Protest ihre Arbeit nieder.

In dieser Zeit ging die Beziehung mit ihrem Mann Hartmut zu Ende. Später verliebte sie sich in Axel, den sie im Arbeitskreis Friedenserziehung kennen- gelernt hatte. Aber auch diese Beziehung war nicht von Dauer. Fortan zog sie es vor, sich auf kontrollierbarere Dinge als die Liebe zu konzentrieren: Arbeit und Politik, Kinder und Enkel, Freunde und Reisen.

Ihre politische Arbeit war eng mit ihrer Arbeit als Lehrerin verknüpft. Am Fichtenberg-Gymnasium, an das sie 1982 versetzt wurde, leitete sie 20 Jahre lang eine Friedens-AG. Sie organisierte einen Schulstreik gegen die Nachrüstung, reiste mit Schülern zu KZ-Gedenkstätten in Polen, der Ukraine und Weißrussland, organisierte Gespräche mit Zeitzeugen und Unterstützung für Flüchtlinge.

Im Jahr 2006 bekam sie für ihre Arbeit die Bundesverdienstmedaille. Stets hatte sie geglaubt, dass sich das Gute ihrer Sache jedem erschließen müsse und war regelrecht erschrocken, wenn sie von politischen Gegnern angefeindet wurde. Dass der Wert ihrer Arbeit nun ganz offiziell anerkannt wurde, bedeutete ihr viel.

Die Krebsdiagnose kam 2008. Als die Tochter sie fragte, warum sie nicht weint, antwortete sie: „Ich weine, wenn ich traurig bin. Jetzt habe ich Angst.“ Candida Splett

Candida Splett

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