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Baerwaldbad: Schwimmen im Kulturerbe

Das Kreuzberger Baerwaldbad hat den Kulturerbe-Preis der Europäischen Union erhalten. Ein Verein betreut die 1901 erbaute denkmalgeschützte Halle und ermöglicht Jugendlichen mit beruflichen Startschwierigkeiten eine Ausbildung.

Von einem Preis namens „Europa Nostra“ haben Ali, Osman und Bahri, die angehenden Maler und Lackierer mit den kräftigen Oberarmen, noch nie was gehört. Dabei ist ihre Arbeit gerade damit ausgezeichnet worden. Das stundenlange Abbeizen alter Farbschichten, das Spachteln und Schleifen der Wände, das Abziehen der Holzböden ist eine böse Plackerei, sagen selbst die Ausbilder.

Der Kulturerbe-Preis der Europäischen Union wird gemeinhin an herausragende Projekte der Denkmalpflege verliehen. In Berlin erhielt das Neue Museum von Chipperfield die Auszeichnung. Da weiß gleich jeder in Europa Bescheid. Beim zweiten Preisträger aus Berlin mussten die Kenner der Szene allerdings passen. Das Baerwaldbad in Kreuzberg.

1901 wurde die Badeanstalt mit preußischer Bombastfassade, einer kathedralen Schwimmhalle, Leuchtern und Balustraden von opernhaften Ausmaßen vom Baustadtrat Ludwig Hoffmann errichtet. Damals trieb man noch keinen Schwimmsport, sondern entdeckte das nasse Medium als Quelle von Freude und Gesundheit. Allegorisches Gepränge sollte den Zauber, aber auch die Gefahren des Wassers beschwören.

Fast 110 Jahre später wirkt das Bad wie eine spätrömische Hallenkirche mit überdimensioniertem Taufbecken. Leise plätscherndes Wasser lässt den Beobachter sehenden Auges in Trance fallen. Für den sportlichen Wettbewerb scheint diese Halle völlig ungeeignet. Dennoch schwimmen hier regelmäßig Schulkinder, die Mitglieder des Betreibervereins TSB (Tauchen-Schwimmen-Breitensport) und muslimische Frauen. Das geschlechtergetrennte Schwimmen wurde schon zur Gründung der Badeanstalt stark gefördert.

2002 wurde das Baerwaldbad von den Bäderbetrieben stillgelegt, um der anstehenden Grundsanierung zu entgehen. Seitdem ist der Verein Pächter. Die Zukunftsbau, ein gemeinnütziger Träger, kümmert sich seit 2007 um die denkmalgerechte Wiederherstellung des Gebäudes. Jugendliche mit beruflichen Startschwierigkeiten machen hier ihre Ausbildung, unterstützt von Handwerker-Profis und Sozialarbeitern.

„Ein Projekt auf lange Sicht“, sagt Peter Urban von Zukunftsbau und lächelt spöttisch. „Der Komplex schreit nach Millionen.“ Aus der diversen Fördertöpfen, die Zukunftsbau anzapfen kann, fließen recht überschaubare Summen. Ganz dringend ist die Sanierung der Gewölbedecke. Allein das komplizierte Baugerüst würde rund 40 000 Euro kosten. Dafür sollen nun Spenden gesammelt werden.

Beschäftigt wurden die Auszubildenden von Zukunftsbau bisher mit dem denkmalgerechten Nachbau von Türen und Umkleidekabinen. Treppenhäuser wurden renoviert und die alten Wannen- und Duschbäder abgerissen. Dort entstehen jetzt Turnräume für Gymnastikkurse oder Krafttraining.

Lukas Born, der Projektleiter des Baerwaldbades, ist besonders stolz auf die rekonstruierten „Wassergeister“, das sind allegorische Schnitzfiguren, die einst auf den Pfosten der Umkleidekabinen saßen, aber irgendwann entsorgt wurden. Europaweit suchte Born nach Holzschnitz-Schulen, die sich der Sache annehmen würden. Die Eckener Schule in Flensburg sagte zu und lieferte im vergangenen Jahr zehn Figuren als uneigennützigen Beitrag zur hauptstädtischen Denkmalpflege.

In der Theorie sollen die Auszubildenden den gesellschaftlichen Wert ihrer Arbeit erkennen und daraus Motivation und Anerkennung schöpfen. Ali, Bahri und Osman, Deutschtürken aus Kreuzberg und Wedding, haben diesen Zusammenhang noch nicht ganz verinnerlicht. Sie waren vor kurzem in Siena, auf Einladung der dortigen Baufachschule, und haben bei der Sanierung eines alten Palazzo mitgearbeitet. Wie alt? „2000 Jahre“, sagt Ali und erntet breites Grinsen. Eigentlich stammt der Palazzo aus dem 16. Jahrhundert. Osman, das Kraftpaket, schweigt und steckt sich noch eine Zigarette an.

Die drei wurden von ihren Jobcentern entsandt, weil sie auf dem regulären Ausbildungsmarkt mit ihren Hauptschulabschlüssen keine Chance hatten. Einige Azubis werden auch über die Jugendhilfe gefördert, wie Thorsten, 21, der im Jugendarrest saß, bevor er zu Zukunftsbau kam. In der Lehrwerkstatt bereitet er sich auf die Gesellenprüfung in zwei Wochen vor. „Gefällt mir gut hier“, sagt er. So viel individuelle Betreuung und Nachhilfe gibt es in normalen Betrieben nicht. Heute essen die Azubis zusammen. Als Hauptspeise gibt es Döner, danach Eis. Einmal in der Woche dürfen sie vor der Arbeit eine Stunde lang schwimmen.

Wir müssen hier viel kontrollieren, sagt Malermeister Christian Kaczor, der fürs Fachliche zuständig ist. „Das ist schon manchmal sehr mühsam.“ Manche Azubis kommen morgens nicht aus dem Bett. Dann fährt Sozialpädagogin Jacqeline Werk zu ihnen nach Hause und massiert das schlechte Gewissen. Zwei ihrer Mandanten sind trotzdem im ersten Lehrjahr „über die Klinge gesprungen“. Sie haben die Ausbildung abgebrochen.

Im Baerwaldbad gibt es noch unendlich viel zu tun, damit die architektonische Komposition zwischen Historismus und Jugendstil wieder erkennbar wird. In den 70er Jahren haben die Bäderbetriebe die alten Holzfenster im Gewölbe durch Glasbausteine ersetzt. Ein Sakrileg, das nur schwer wiedergutzumachen ist.

Für den Sportverein TSB ist das Baerwaldbad zum Schicksal geworden. Die Mitgliederzahl hat sich mit Übernahme des Bades verzehnfacht, auf derzeit 800 Mitglieder. In einigen Jahren, wenn die Turnhallen und andere Räume genutzt werden können, sollen es nach der Vorstellung des Vorsitzenden, Joachim Uffelmann, 1500 Mitglieder sein. Viele TSB-Sportler opfern ihre Freizeit, als Kassierer, Verkäufer von Süßigkeiten oder Bademeister.

Der TSB möchte das Bad gerne in Erbpacht übernehmen, um besser an Fördergelder und vielleicht auch Kredite zu kommen. Dis finanzielle Basis sind 170 000 Euro, die die Bäderbetriebe jährlich überweisen, als Beckenmiete für den Schulsport. Die Unterhaltskosten belaufen sich laut TSB auf rund eine halbe Million Euro im Jahr.

„Den Sportlern ist es völlig egal, ob sie in einem Denkmal schwimmen oder nicht“, stichelt TSB-Chef Joachim Uffelmann, der einen oppositionellen Duktus pflegt und dem aktiven Sport angeblich nichts abgewinnen kann. Alle Vereine, die er angefragt hatte, ob sie bei der Übernahme des Bades mitziehen, hätten abgelehnt. Das bestärkte ihn, das hochriskante Geschäft einzugehen.

Mit den Jahren ist Uffelmann mit dem alten Haus verwachsen. Fast jeden Tag stapft er durch die Katakomben, auf der Suche nach einer unentdeckten Leitungshavarie. Auch Uffelmann und sein TSB sind Gewinner des „Europa Nostra“. Im September wollen sie die neuen Turnräume einweihen. Dann laden sie auch David Chipperfield ein.

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