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Zuschlag aus der Armenküche. In die Warteschlange vor der Essensausgabe der Bahnhofsmission am Zoo reihen sich nicht nur Obdachlose, sondern zunehmend auch ältere Berliner ein, deren Rente nicht mehr zum Leben reicht.

© Doris Spiekermann-Klaas

Bahnhofsmission: Zum Ende des Monats kommen die Senioren

Immer mehr ältere Berliner können ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst bestreiten. Das bemerkt auch die Bahnhofsmission.

Von Fatina Keilani

Die Frau sieht schick aus. Sie hat eine modische Sonnenbrille im Haar, glitzernde Ringe an den Fingern und trägt einen Kunstpelz. Säße sie in einem Charlottenburger Café, fiele sie nicht auf. Doch sie steht am Zoologischen Garten bei der Bahnhofsmission in der Schlange. Wie alt mag sie sein – Mitte sechzig vielleicht. Mit der Zeitung reden will sie nicht. In ihrer ganzen Erscheinung, wirkt sie hier fehl am Platz. Doch solche Fälle häufen sich.

„Immer mehr bürgerliche Menschen suchen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe auf“, sagt Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission. Sie kämen, um zu essen, einen Kaffee zu trinken oder auch bloß, um sich eine Zeitung, eine Packung Taschentücher oder ein Stück Seife zu holen. Es seien oft Kleinigkeiten, die zeigten, dass es jemand nötig hat.

Am Monatsanfang ist es noch recht ruhig bei der Bahnhofmission, dann kommen nur Wohnungslose, die keine staatlichen Leistungen bekommen. Rentner und Leistungsempfänger haben dann noch Geld. Ab Mitte des Monats wird es voller. „Die Wilmersdorfer Witwe steht ab dem 20. des Monats bei uns in der Schlange, weil ihr Kühlschrank leer ist“, sagt Puhl. Den größten Anstieg bei der Armut, speziell Altersarmut, gibt es laut Puhl in Charlottenburg-Wilmersdorf. Der 53-Jährige ärgert sich zwar über die Einteilung Altersarmut, Jugendarmut – es gebe einfach ein allgemeines Armutsproblem, sagt er. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Not der Alten zunehme.

Neue Zahlen der Sozialverwaltung belegen das. Die Zahl der Bezieher von Grundsicherung steigt seit Jahren. Waren es im Jahr 2009 noch 47.139 Menschen, deren Rente durch staatliche Hilfen aufgebessert werden musste, so waren es 2009 schon 57.502. Rund 339 Millionen Euro, schätzt der Senat, hat er im Jahr 2010 dafür ausgegeben. Abschließende Zahlen gibt es noch nicht. Für 2013 rechnet der Senat mit 408 Millionen Euro Ausgaben. Gründe für den Anstieg: Die Lebenserwartung der Menschen steigt, und die geburtenstarken Jahrgänge erreichen das Rentenalter. Nicht alle konnten ausreichend einzahlen.

Und selbst wer einzahlte, bekommt nicht immer genug. In der Bahnhofmission stehen zum Beispiel Inge F. und Jürgen M. in der Schlange. Beide sind Rentner, er hat 31 Jahre eingezahlt, sie mindestens 20 Jahre. Außerdem hat sie vier Kinder. Er bekommt 737 Euro Rente, sie 480 Euro, doch mit ihrer Witwenrente kommt sie auf 1000 Euro. Allerdings muss sie die Schulden ihres verstorbenen Mannes abzahlen, und dessen Begräbnis. Die beiden teilen sich in Spandau eine Einzimmerwohnung und kommen fast jeden Tag. Auch die 66-jährige Inge F. hat einen Wandel der Kundschaft beobachtet: „Da kommen jetzt manchmal welche – die gut angezogen sind, die Schmuck tragen, da denkt man: Was machen die denn hier?“

Viele Menschen haben seit zehn Jahren fast dieselbe Rente, dabei sind zum Beispiel die Mieten in der Innenstadt stark gestiegen. „Wer vor zehn Jahren 1400 Mark Rente hatte und 500 Mark Miete zahlen musste, kam klar“, sagt Puhl. „Heute hat dieselbe Person dann 700 Euro Rente und zahlt 500 Euro Miete, und wenn sie dann noch orthopädische Schuhe braucht, reicht es einfach nicht mehr.“ So kämen die Wilmersdorfer Witwen zu ihm.

Weitere Zahlen illustrieren die Entwicklung: Im Jahr 2009 gab die Bahnhofsmission 2500 Kleidungsstücke heraus, 2010 waren es 11 000. Statt wie vergangenes Jahr 500 kämen mittlerweile 600 Menschen täglich. Die Bahnhofsmission hat rund um die Uhr geöffnet, reicht aber frühmorgens und nachts nur Getränke und Essen auf die Straße hinaus. Von 14 bis 18 Uhr öffnet die Cafeteria; dort können sich durchgefrorene Besucher aufwärmen. Allerdings nur für eine Stunde: Immer zur vollen Stunde müssen sie Platz für die nächsten 50 Wartenden machen. Auffallend auch: Zunehmend kommen auch Muslime. „Vor 20 Jahren wäre das unmöglich gewesen“, sagt Puhl. „Aber bei denen bröckeln die Familienstrukturen auch. Schade eigentlich – da hätten wir wirklich etwas von ihnen lernen können.“

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