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Schwierige Verhandlungen. Die Delegationen von SPD mit Walter Momper und der Alternativen Liste mit Renate Künast und Hans-Christian Ströbele rangen heftig miteinander, bis sie eine Basis für eine Koalition fanden.

© picture alliance / dpa

Barfuß und im Hippie-Kleid ins Parlament: Berliner Grüne feiern 40 Jahre Abgeordnetenhaus-Fraktion

Die Fraktionschefinnen erinnern bei der Jubiläumsfeier an die Anfänge – Filzwaschmittel, Birnen und später Koalitionsverhandlungen. Die FDP gratuliert per Video.

Von Sonja Wurtscheid

Ohne Schuhe und im langen Hippie-Kleid zieht Kordula Schulz-Asche 1981 mit der „Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz“ (AL) ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. 7,2 Prozent der Stimmen hat die AL bei der Wahl zuvor auf sich vereint, neun Sitze im Parlament entfallen auf die junge Partei. Genau 40 Jahre ist die konstituierende Sitzung her, und bei der Jubiläumsfeier der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen (so heißen sie heute), lassen die heutigen Fraktionsvorsitzenden Antje Kapek und Silke Gebel die 80er Jahre wieder aufleben.

Sie sitzen auf braunen Ledersesseln in einem Fernsehstudio, aufgebaut wie ein Wohnzimmer aus den 80ern: Grün-pinke Sonnenblumentapete, Retro-Lampen und wild gemusterter Teppich. In einer Topfpflanze stecken kleine grüne Windräder aus Pappe. Die beiden Frauen führen durch einen Abend aus Erinnerungen an Filzwaschmittel (von den Berliner Grünen auf den Markt gebracht), geschälte Birnen und ausgetauschte Türschlösser, Beiträgen grüner Urgesteine und etwas Schulterklopfen – schließlich ist Wahlkampf in Berlin.

12 grüne Fraktionen hat Berlin bisher gesehen, die nächste wird am 26. September parallel zur Bundestagswahl gewählt. Wie waren die Anfänge im Abgeordnetenhaus? Renate Künast, zugeschaltet aus dem Bundestag, erzählt.

„Die eine namentliche Abstimmung verpasse ich jetzt schon“, sagt die ehemalige Fraktionsvorsitzende gleich zu Beginn in ihre Kamera. Künast zog 1985 für die AL ins Abgeordnetenhaus ein. Nun spricht sie über die alten Zeiten. Zum Beispiel über die Koalitionsverhandlungen 1989 mit der SPD.

Birnenschälen mit Walter Momper

Dazu traf man sich in der Wohnung „eines SPDlers“ in Kreuzberg, wie Künast erzählt. Walter Momper (SPD), später Regierender Bürgermeister in Berlin, habe irgendwann angefangen, Birnen zu schälen und zu vierteln. Die habe er vorher auf dem Markt gekauft. Am nächsten Tag habe Hans-Christian Ströbele zu Künast gesagt: „Ich kann nicht glauben, dass die mit uns koalieren wollen.“ Doch so kam es.

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Dann unterbricht ein Gong Künasts Erzählungen. „Jetzt kommt hier gleich ne Durchsage, lasst euch nicht stören,“ sagt sie lachend, und schiebt sich die große schwarze Brille hoch. Eine hallende Stimme ruft die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur namentlichen Abstimmung auf. Künast erzählt weiter.

Die AL mit Verkehrspolitiker Michael Cramer (Mitte) kämpfte schon in den 80ern für eine Mobilitätswende.
Die AL mit Verkehrspolitiker Michael Cramer (Mitte) kämpfte schon in den 80ern für eine Mobilitätswende.

© Paul Glaser

Mit Fahrradeskorte und dem alten, mit der Igel-Fähnchen geschmückten BMW V8 von Landeskassierer Volker Schröder fuhren die neun AL-Abgeordneten 1981 vors Rathaus Schöneberg. Denn dort tagte das Abgeordnetenhaus. Die AL wollte den sozialen Bewegungen im Parlament Gehör verschaffen und auf politische Entscheidungen Einfluss nehmen. Die Abgeordneten seien aus den sozialen Bewegungen gekommen, sagt Silke Gebel, die heutige Co-Fraktionsvorsitzende. Dazu zählten die Frauen,- Hausbesetzer,- Anti-Atomkraft-, oder die Friedensbewegung. Sie waren angetreten, weil sie sich von der bisherigen Politik nicht vertreten fühlten.

Grünen-Urgestein Schramm: Bei den Republikaner waren wir gelassen, jetzt ist es mit der AfD brenzliger

Aus der Friedensbewegung kam auch Hilde Schramm, ehemalige Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses (1989-1990) und AL-Mitglied der ersten Stunde. Das Amt der Vizepräsidentin, erzählt die 85-Jährige bei der Jubiläumsfeier, habe sie nie machen wollen. Zu viele Repräsentationspflichten, zu wenig Entscheidungen. „Ich war heilfroh, als ich es wieder los war.“

Wie sie den Umgang der heutigen Grünen mit der AfD bewertet, fragt Antje Kapek sie. Hilde Schramm hieß gebürtig Hilde Speer. Sie ist die Tochter von Hitlers Stadtplaner und Rüstungsminister Albert Speer. Schramm engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Rechtsextremismus und erhielt dafür zahlreiche Preise. „Dialoge bringen gar nichts“, sagt Schramm. „Man muss ihnen (den Rechten) die Akzeptanz entziehen, sie schneiden wo es geht. Man muss sich ganz scharf abgrenzen.“

Ein „Riesenproblem“ sei es, wenn das Potenzial für Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft in Institutionen geleugnet werde, sagt die 85-Jährige. Das sei in den 90er Jahren so gewesen, vor allem in den neuen Bundesländern. Da hätten Lehrer in der Schule Sätze gesagt wie: „Die armen Jungs, die haben ja keine Arbeit.“ Nur habe diese „verständnisvolle Umarmung“ das Gegenteil bewirkt und rechtsextreme Bewegungen gestärkt.

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Schramm spricht aus Erfahrung. Sie hat Aufstieg und Fall der Republikaner erlebt. Wie die AL damals mit ihnen umgegangen sei, will Kapek wissen. „Wir waren relativ gelassen. Wir wussten, dass es immer ein Potenzial (für rechtsextreme Gesinnung) in der Gesellschaft gab – zwischen 15 und 20 Prozent“, sagt Schramm. Das sei zwar nicht wenig, aber: „Sie haben sich immer sehr schnell zerrieben. Ich erinnere mich an fast keinen mehr von denen.“ Allerdings: „Jetzt ist die Situation doch ein bisschen brenzliger mit der AfD, weil es auch schon etwas länger geht.“

FDP gratuliert mit Videobotschaft und Schnittblumen

Der Abend geht weiter. Videobotschaften von Grünen-Politiker:innen mit Glückwünschen werden eingespielt, alte schwarz-weiß-Fotos von den Anfängen auf eine Leinwand projiziert. Als die Abgeordneten in das Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtags umzogen, demonstrierten die Grünen mit einem riesigen Plakat gegen die Olympiabewerbung Berlins für das Jahr 2000, erzählt Gebel. Die Abgeordneten hätten sich offenbar in ihren Büros verschanzt. Demonstrieren ist im Abgeordnetenhaus nicht erlaubt. Nach der Aktion seien die Schlösser der Abgeordnetenbüros durch Knäufe ersetzt worden, damit man sie nicht mehr von innen abschließen kann, sagt Gebel – wenn jemand nochmal demonstriere, könnte dann sofort die Security eingreifen. „Da haben wir ein bisschen Baugeschichte geschrieben“, scherzt Gebel.

Immer dabei. Hans-Christian Ströbele beim AL-Parteitag 1983.
Immer dabei. Hans-Christian Ströbele beim AL-Parteitag 1983.

© picture alliance/Paul Glaser/p-a

Regelmäßig heben Kapek und Gebel die Erfolge ihrer Partei hervor. 1987 zog der erste Abgeordnete im Rollstuhl und die erste Abgeordnete mit Migrationsgeschichte ins Parlament ein (für die AL), nach dem Mauerfall stieß die Partei den Mauerradweg an und setzte ihn durch, es folgte die erste Frau mit Direktmandat. Die Grünen setzten das Mobilitätsgesetz durch, das erstmals Bussen, Bahnen und Fahrrädern Vorfahrt gab, sie zurrten eine feste Obergrenze für CO2-Emissionen fest und legten das erste Antidiskriminierungssetz bundesweit vor. Selbst die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus gratuliert.

Vorsorglich – könnte man meinen – biedert sich der Fraktionsvorsitzende der Berliner FDP per Videobotschaft an die laut Umfragen stärkste Kraft an – die Grünen. Sebastian Czaja steht mit einem großen Blumenstrauß (Modell Wildblumenwiese) vor der Kamera. Den hätte er gern persönlich überreicht, sagt Czaja. Aber Schnittblumen seien ja nicht so das Ding der Grünen. „Deshalb bleiben die Blumen einfach bei mir.“ Allerdings gehe es heute ja nicht um Dissens, sondern um Gemeinsamkeiten. Und davon gebe es zwischen FDP und Grünen einige, meint Czaja. Da seufzen selbst die Grünen-Fraktionsvorsitzenden auf ihren Ledersesseln.

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