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Mit einem Rollstuhl lassen diese Treppen sich nicht überwinden. Betroffene Mieter können deshalb das Haus nicht eigenständig verlassen.

© Kai-Uwe Heinrich

Barrierefreies Wohnen in Berlin: „Man fühlt sich als Gefangener im eigenen Haus“

Seit Monaten ist der Treppenlift eines Gewobag-Hauses in Neukölln kaputt. Wann der Zugang wieder barrierefrei ist, steht nicht fest.

Sechs Treppenstufen trennen Burkhard Wutzke von einem selbstbestimmten Leben. Wutzke ist auf einen Rollstuhl angewiesen – und kann sein Haus in Neukölln seit drei Monaten nur eingeschränkt verlassen. „Man fühlt sich als Gefangener im eigenen Haus“, sagt Wutzke. Dabei wurde das Gebäude am Hüttenroder Weg 5–9 einst als barrierefreies Wohnhaus für Senioren geplant. Neben Wutzke sind auch Ralf Heumer und ein weiterer Mieter von der Situation betroffen.

Seit 2014 gilt das Haus nicht mehr als Seniorenwohnhaus. Seither kümmere sich die Eigentümerin, die landeseigene Gewobag, kaum um die Barrierefreiheit, beklagen Wutzke und Heumer. Dabei gelten städtische Wohnungsgesellschaften als mieterfreundlich, anders als manche private Immobilienkonzerne. Initiativen wie die „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ fordern eine Rekommunalisierung der Wohnungsbestände und verweisen dabei auch auf mangelnde Instandhaltung – und häufig anschließende aufwendige Modernisierung – von Häusern großer privater Wohnungsunternehmen.

Mit einer kurzen Unterbrechung von drei Tagen soll der Treppenlift am Hüttenroder Weg seit dem 3. Februar außer Betrieb sein. Auch im vergangenen Herbst mussten die Mieter laut eigenen Angaben zwei Monate auf den Lift verzichten, als die Treppe neu gebaut wurde. Auch die Fahrradständer im Hof wurden erneuert. „Nur wir werden irgendwie immer vergessen“, sagt Heumer. „Ich verstehe nicht, warum damals nicht gleich eine dauerhafte barrierefreie Lösung umgesetzt wurde.“ Stattdessen sei der alte Lift wieder angebaut worden, der bereits Probleme bereitet habe. Laut Angaben der Mieter ist der Lift mindestens 30 Jahre alt – und für Innenbereiche konzipiert.

Barrierefreiheit sei rechtlich eine Grauzone

„Bei anhaltendem Regen oder wenn drei Schneeflocken gefallen sind, war der Lift immer gleich defekt“, bestätigt Wutzke. Heumer und Wutzke zogen 2012 und 2011 in das Haus, das damals noch als barrierefrei vermarktet wurde. „Wenn jemand in ein speziell als barrierefrei gekennzeichnetes Haus einzieht, muss dieser Zustand aus unserer Sicht auch gewährleistet werden“, sagt Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. In den letzten Monaten häuften sich in ganz Berlin Fälle, bei denen Mieter durch defekte Fahrstühle und Lifte in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden. In der Kreuzberger Ritterstraße 97 etwa kämpft ein älteres Ehepaar, 82 und 92 Jahre alt, mit der Hausverwaltung um die Möglichkeit, ihre Wohnung im 7. Stock zu verlassen.

Der einzige Aufzug ist regelmäßig defekt. Der Umgang vieler Hausverwaltungen mit den Mieterinnen und Mietern sei „teilweise entwürdigend“, so Wild. Mieter sollten durch eine unterlassene Mängelbeseitigung zum Teil auch eingeschüchtert werden, vermutet Wild.

Betroffen seien sowohl städtische als auch private Vermieter. Ein Grund sei der aktuelle Mangel an Handwerker- und Baufirmen, sagt Wild. Dieser werde jedoch häufig als Vorwand genommen. Rechtlich sei die Barrierefreiheit eine Grauzone. Der Mieterverein gehe zwar von einem grundsätzlichen Recht aus, rate aber vom rechtlichen Weg ab – allein wegen der Dauer der Verfahren. „Bis das vor Gericht durch ist, ist der Aufzug hoffentlich längst repariert“, sagt Wild.

Die Situation sei der Gewobag bekannt

„Wir haben schon den Eindruck, dass man uns hier vertreiben will“, sagt Wutzke. Es gebe zwar eine provisorische Unterstützung durch Krankentransporte. Dieser Service beschränkt sich auf ein bestimmtes Zeitfenster und muss mindestens einen Tag im Voraus beantragt werden. Ein spontanes Verlassen des Hauses ist nicht möglich, auch nach 20 Uhr gibt es keine Unterstützung mehr. „Ich würde gerne mal wieder abends ins Theater oder einen Tagesausflug machen“, sagt Wutzke. Das sei aktuell nicht möglich. Dadurch sieht er sein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe gefährdet. Die vereinbarten Termine müssten pünktlich eingehalten werden – wer zehn Minuten zu spät kommt, stehe alleine vor der Treppe. Wenn er etwa im U-Bahnhof im Fahrstuhl festhänge, was regelmäßig passiere, sei gleich sein Weg in die Wohnung gefährdet. Er sei auch einmal komplett vergessen worden, sagt Wutzke.

Die Gewobag selbst erklärt, dass die Situation bekannt sei. Die Mängelbeseitigung sei unverzüglich beauftragt worden. Als langfristige Lösung plane die Wohnungsbaugesellschaft eine Rampe. Hierfür sei jedoch eine Bewilligung durch das Bezirksamt notwendig – diese liege aktuell noch nicht vor. Aus dem Bezirksamt heißt es wiederum, dass noch kein Antrag eingegangen sei, der bewilligt werden könnte. „Wir haben den Eindruck gewonnen, dass man sich der Dringlichkeit der Situation aber sehr wohl bewusst ist“, teilt ein Sprecher des Bezirksamtes mit. Für die Mieterinnen und Mieter, die auf eine Rampe oder einen Lift angewiesen seien, sei die Situation äußerst unbefriedigend. Das Bezirksamt habe aber Vertrauen in die Gewobag, schnellstmöglich für Ersatz zu sorgen.

Als Übergangslösung erwägt die Wohnungsgesellschaft eine provisorische Rampe oder eine Hebebühne. Warum diese bislang nicht installiert wurden oder wann dies erfolgen soll, sagt die Gewobag nicht. „Uns liegt sehr am Wohl unserer Mieterinnen und Mieter, und wir versichern, dass wir umgehend alle erforderlichen Maßnahmen getroffen haben, um den Schaden schnellstmöglich zu beheben“, sagt eine Sprecherin. Die Mieter zeigen sich kämpferisch: „Wir geben so lange nicht auf, bis wir unser Recht auf 100-prozentige Bewegungsfreiheit erfüllt haben“, sagt Wutzke.

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