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Berlin: Basketball mit Luftballons

Sieben Wochen nach seinem schweren Unfall spielt Alba-Kapitän Matej Mamic wieder – mit der Physiotherapeutin. Seine Reha-Tage sind lang – sogar am 31. Geburtstag

Es ist zum Spielchen geworden zwischen Patient und Arzt. Wenn Andreas Niedeggen mit Matej Mamic über dessen Zukunft spricht und ihm klar macht, dass es mit den Play-offs im Mai nichts wird, sagt Mamic, der Basketballprofi: „Ich schaffe es doch.“ Niedeggen, Chefarzt des Behandlungszentrums für Rückenmarkverletzte im Unfallkrankenhaus Berlin, wagt nicht mal eine Prognose, ob der Kapitän von Alba Berlin je wieder Leistungssport machen kann. Der aber sagt: „Ich kann nicht versprechen, dass es bis zu den Play-offs klappt. Aber im September spiel’ ich wieder auf höchstem Niveau.“

Am Samstagabend, 26. November 2005, war er ganz unten angekommen. Regungslos lag er auf dem Boden der Max-Schmeling-Halle. Er konnte atmen, konnte die Augen bewegen, aber Arme, Beine und Oberkörper spürte er nicht mehr. Mit dem Verdacht auf eine vollständige, dauerhafte Querschnittslähmung wurde er nach Marzahn geflogen.

Sieben Wochen später ist Mamics Terminkalender voller als vor dem Unfall. Bis zu acht Therapieeinheiten absolviert er täglich. Er hat fünf Kilo abgenommen und wiegt nur noch 93 Kilo bei über zwei Metern.

7 Uhr 40: Matej Mamics 31. Geburtstag beginnt im Schwimmbecken, 32 Grad, maximale Wassertiefe 1,54 Meter. Eine Halskrause stabilisiert den Nacken, auf dem Rücken krault Mamic 16 Meter hin und 16 Meter zurück. Vorbei sind die Zeiten, als er durch das kleinere Therapiebecken krabbeln musste, um wieder laufen zu lernen.

Nach einem Zweikampf ist Matej Mamic an jenem Samstag im November im Fallen mit dem Kopf gegen einen Mitspieler geprallt, ehe er auf dem Boden aufschlägt. Mamic hat Glück: Die Halswirbel sind nicht gebrochen. Das Rückenmark ist geprellt, der Druck auf die Nerven wird durch Blut aus verletzten Gefäßen verstärkt. Dadurch ist die Reizübertragung beeinträchtigt, die die Muskeln steuert. Durch Kortison gehen Schwellung und Lähmung in der Nacht teilweise zurück, Mamic kann seine Beine und die rechte Hand wieder etwas bewegen. „In dieser Nacht habe ich gebetet, dass ich wieder ein normales Leben führen kann“, sagt er. „Ich bin von 100 auf Null gefallen – aber solche Gedanken hätten mich in eine falsche Richtung gebracht.“ Also schob er sie weg, als Teil der Therapie. Solange er noch täglich Fortschritte macht, ist Mamic, wie er immer ist: fröhlich und optimistisch. Nachts wacht er häufig auf – aber nur wegen der Halskrause, sagt er. Ob ihn dann doch mal Traurigkeit erfasst? Er behält es für sich; auch das vielleicht ein Teil der Therapie.

10 Uhr 15, Ergotherapie: Im Sitzen fängt Mamic erst mit der rechten, dann mit der linken Hand blaue und rote Bälle, dreht sich und wirft sie in eine Kiste. Er muss sich konzentrieren, damit die Hände rechtzeitig das tun, was das Gehirn anzuordnen versucht. Die Feinmotorik der linken Hand funktioniert noch nicht wie früher.

Die Koordination bereitet Mamic die größten Probleme. Ob das verletzte Zellgewebe im Rückenmark mit seinen „Millionen Kabeln“, wie Niedeggen das formuliert, auf Dauer zerstört bleibt oder sich erneuert, ist nicht abzusehen. Mamic glaubt, sein Comeback durch hartes Training erreichen zu können – aber es gibt eine weitere, entscheidende Komponente: das Schicksal. „Geht nicht, gibt es nicht“, sagt Professor Walter Schaffartzik, der Ärztliche Leiter des UKB, zu Mamics Traum von der Rückkehr im Mai, „warum soll er sich nicht ein Ziel setzen, das wir aus heutiger Sicht für unwahrscheinlich halten?“ In einigen Tagen darf Mamic die Halskrause ablegen, in zehn Tagen will er als Zuschauer zu Alba zurück. Mitte Februar wird er aus der Klinik entlassen und kommt nur für die tägliche Therapie zurück, bis in den Herbst.

11 Uhr 20: Mamic holt sich beim Fahrradfahren im 20. Gang Kraft und Kondition. Er sitzt in einem Rollstuhl, vor dem ein Lenker und Pedale angebracht sind.

Als Leistungssportler war Mamic es gewohnt, seinen Körper zu beherrschen. Doch plötzlich musste er gefüttert werden, er konnte den Knopf der Fernbedienung nicht drücken, kein Handy halten. All das kann er wieder. Dass er so schnelle Fortschritte gemacht hat, liegt daran, dass er Sportler ist. Er beißt sich durch, „begreift die Therapie als Trainingseinheit, er hat eine andere Disziplin als Nicht-Sportler“, sagt Niedeggen.

11 Uhr 45, Physiotherapie. Matthias Janke drückt und stimuliert Punkte an Mamics Brustkorb, Becken, Schulter und Fuß. Manche Bewegungen kann Mamic nicht mehr unbewusst ausführen, sondern nur mit Willenskraft. Hier soll die Vojta-Therapie Abhilfe schaffen: Eigentlich angeborene Bewegungsmuster sollen durch das Stimulieren einzelner Punkte ausgelöst werden. Später, um 13 Uhr 30, in der Schwimmhalle: Nach einer Fangopackung macht Mamic Übungen mit einer U-förmigen Schwimmhilfe. Er stellt sich auf die „Schwimmnudel“ und zieht das Bein samt Nudel nach oben. Es ist schwer, die Balance zu halten. Die Augen hält Mamic geschlossen.

Wie ein Patient seine Verletzung verarbeitet, ist völlig unterschiedlich. „Die einen verdrängen, andere heulen ins Kopfkissen, wieder andere sind erst optimistisch und stürzen später ab“, sagt Chefarzt Niedeggen. „Es gibt Menschen, die sich zehn Jahre nach einem Unfall umbringen.“ Denen geht es allerdings schlechter als Mamic, sie führen ein Leben im Rollstuhl.

15 Uhr, Physiotherapie: Mit Silke Freter versteht sich Mamic besonders gut. Er nennt sie scherzhaft „Chef“. Auf einem großen Gymnastikball sitzend, spielt er einen Luftballon zu ihr zurück. Manchmal erreicht er ihn nicht – und kann darüber lachen. „3:2 für Silke“, sagt er, „wenn ich sie schlage, spielt sie morgen nicht mehr mit mir.“

Was aber geschieht, wenn die Entwicklung stagniert, wenn Mamic nie mehr als Profi spielen kann? Fällt er dann in ein tiefes Loch? Nicht mehr als andere Sportler am Karriereende, glaubt Walter Schaffartzik. Außerdem hätte Mamic seine Karriere in ein paar Jahren ohnehin beendet. Er ist finanziell abgesichert und hat eine Frau und drei Kinder, die ihm Halt geben.

15 Uhr 20, Sporthalle: Matej Mamic wirft auf den Basketballkorb, beim dritten Versuch trifft er. „Yes!“, ruft er. Künftig wird sein Therapietag noch etwas länger, Fitnesstraining kommt hinzu. Doch erst einmal darf er nach Hause, Geburtstag feiern.

Helen Ruwald

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