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Protest gegen die Autobahn. Aktivisten harren in der hohen Pappel aus.

© dpa

Update

Bau der Stadtautobahn A100 in Berlin: Großer Polizeieinsatz auf den besetzten Bäumen

Mit enormem Aufwand hat die Polizei ein Grundstück an der Neuköllnischen Allee geräumt, das für den ersten Bauabschnitt der Autobahnverlängerung zum Treptower Park benötigt wird.

Wäre der Wind nicht so kalt, könnte dieser 3. Februar fast als 1. Mai durchgehen: In langer Reihe hat die Polizei ihre dieselnden alten Schlachtrösser aufgefahren; man trägt Knopf im Ohr und entschlossene Mienen. An der Neuköllnischen Allee wird an diesem Montag das Grundstück geräumt, auf dem der Unternehmer José da Silva in einer Halle spanische Spezialitäten lagert und Aktivisten der Umweltorganisation Robin Wood seit Monaten eine große Pappel besetzt halten – als Protest gegen den Weiterbau der A100, der sich in der Neuköllner Gewerbeprärie zwischen Postverteilzentrum und Autowerkstatt bereits in Gestalt einer breiten Schneise ankündigt.
Das Areal ist nicht nur wegen der Bäume heikel. Denn da Silva hat es erst 2011 bei einer Zwangsversteigerung erworben, obwohl da längst klar war, dass es für die Autobahn benötigt wurde. Behördenmurks, keine Frage. Aber kein Grund, die Räumung zu verschieben, haben Gerichte entschieden. Deshalb stehen jetzt Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Schlamm und liefern sich zwischen den hingehaltenen Mikrofonen der Hauptstadtpresse ein Wortgefecht mit Vertretern des Unternehmers. Es geht um Ersatzgrundstück und Entschädigung – und endet mit der Vereinbarung, nächste Woche in gemütlicherer Runde zu verhandeln. Damit ist eine entscheidende Hürde genommen, denn nun muss die Verwaltung zumindest den Eigentümer nicht mit der Polizei von seinem Grundstück zerren. Solange das Verfahren noch läuft, ist da Silva der Eigentümer, aber das Land der Besitzer. Ein Schmankerl für Juristen.

„Dann gehen wir mal unter den Baum“, spricht Michael Losch, der Oberjurist der Stadtentwicklungsverwaltung, der hier die Bundesrepublik Deutschland vertritt, um 12.30 Uhr. Er ruft Worte wie „Besitzeinweisungsbeschluss“ zu den beiden Aktivisten ins Baumhaus hinauf und teilt ihnen mit, dass ihre Anwesenheit Hausfriedensbruch sei. Zur Beendigung desselben „mache ich Ihnen folgendes Angebot…“, sagt er noch, als eine Tröte von oben ihn übertönt. Losch stützt sich auf seinen Regenschirm und ruft etwas von einer 15-Minutenfrist zwischen zwei Trötenstöße. Ein paar Meter weiter bespricht bereits ein Polizist den Inhalt der Durchsage, die gleich zu machen sei: Androhung von Personalienfeststellung, Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, 15 Minuten Frist. Um 12 Uhr 53 schallt es aus dem Lautsprecherwagen der Polizei, dass bitte alle das Grundstück verlassen mögen und dass es 12 Uhr 53 Uhr sei. Eine Aktivistin vom Baum ruft per Megafon zurück, dass bitte alle aufs Grundstück kommen sollen und dass es jetzt zwei Minuten später sei. Unten stehen rund 20 Aktivisten gemischten Alters, die friedfertiger nicht sein könnten. Einer trägt ein „Rettet die Arktis“-T-Shirt über der Jacke. Die in anderen Kiezen übliche „aufgebrachte Menschenmenge“ oder spontane Sympathisanten gibt es hier nicht.

Um 13 Uhr 03 gehen zwei Polizisten mit kläffenden Hunden aufs Gelände; die Frauenstimme zählt die letzten fünf Minuten an. Ein dritter Aktivist klettert in einer weiteren Pappel immer höher, während unten die Bundespolizei mit Hebebühne und Leiter vorfährt. Beamte mit Kletterausrüstung steigen aus. Die anderen tragen eine junge Frau in ein Polizeiauto, die als einzige von Robin Woods Bodenpersonal nicht freiwillig gegangen ist. Statt eines Showdowns der Klettermaxen wird kurzerhand ein Straßenbaum vor dem Grundstück gefällt, um einer weiteren Hebebühne Platz zum Rangieren zu schaffen. Ein Arbeiter und ein Beamter sägen sich an der Pappel dahinter zunächst zu dem einzelnen Aktivisten durch und lassen ihn einsteigen. Unter dem gerichtsfesten Auge einer Polizeikamera wird er samt seinem „Stoppt-A100“-Plakat mit sprichwörtlicher deutscher Gründlichkeit festgenommen. Zehn Minuten später ist die Pappel weg, die bundespolizeiliche Hebebühne dockt am Baumhaus an, vor dem sich ein Aktivist an den Baum gefesselt hat.

Es ist nun 15 Uhr, die Polizei seit vier Stunden mit etwa 100 Beamten präsent. Ob es nicht effektiver wäre, einfach zu warten, bis die Aktivisten mal müssen oder hungrig werden, lässt die Einsatzleitung am Flatterband auf Nachfrage offen: Alles eine Frage der Verhältnismäßigkeit; bisher sei alles verhältnismäßig. Dagegen lässt sich wenig einwenden angesichts einer halben Milliarde Euro für drei Kilometer Autobahn. Im Hintergrund zerlegen die Höhenretter der Polizei das Baumhaus. Sie basteln noch an dem festgeketteten Aktivisten, als es dunkel ist. Gegen 17.30 Uhr gelingt es den Einsatzkräften, auch ihn vom Baum zu holen: Sie schneiden den Stamm über ihm einfach ab und heben seine Arme samt Ketten über den Stumpf. Der Aktivist wehrt sich nicht mehr gegen seine Befreiung.

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