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Über den Durst. Betrunkene Festbesucher gehören in Werder schon fast zur Folklore – sehr zum Missfallen der nüchternen Ausflügler.

© Julian Stähle/dpa

Baumblütenfest in Werder: „Brandenburgs größte Drogenparty“

Das Baumblütenfest in Werder steht nach Alkoholexzessen und Gewaltvorfällen in der Kritik. Die Stimmung war aggressiv.

Einen Tag nach Ende des Baumblütenfestes gibt es einiges zu besprechen. Es geht um Beschreibungen, die nicht zum Bild passen, das am Sonntag von offizieller Seite vermittelt wurde. Es geht um zahlreiche betrunkene Jugendliche und Drogenmissbrauch. So wandte sich eine Ärztin an den Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint und berichtete von ihrem Einsatz am vergangenen Wochenende in einem der Rettungszelte.

Während einer einzigen siebenstündigen Schicht habe sie 100 Patienten versorgt, fast alle jünger als 20 Jahre, mehr als die Hälfte erkennbar minderjährig. Alle seien „sturzbetrunken“ gewesen, mehr als ein Drittel komatös. „Ich kam mir vor wie im Lazarett“, berichtete die Ärztin. „Das war Krieg.“

Viele Betrunkene hätten nur noch auf einen „Schmerzreiz“ reagiert, den Ärzte einsetzten, wenn die zu Behandelnden bei Ansprache oder Schütteln keinerlei Reaktion mehr zeigten. „Das habe ich in diesem Ausmaß noch nie gesehen“, so die Notärztin. Eine 13-Jährige habe ihr gesagt, sie habe anderthalb Flaschen Obstwein und drei Schnäpse getrunken, ein 16-Jähriger habe 15 Bier getrunken und drei Joints geraucht.

Hohes Aggressionspotenzial

Das Aggressionspotenzial der Besucher und auch derjenigen, die zum eingezäunten Rettungszelt kamen, sei erheblich gewesen. „Wir hatten diverse Pöbler und Randalierer.“ Schon bei der Fahrt im Rettungswagen zum Einsatzort habe sie „ein bisschen Angst“ gehabt, der Wagen sei kaum durchgekommen, trotz Blaulichts. Dutzende Betrunkene habe sie vom Rettungsdienst ins Krankenhaus bringen lassen, so die Notärztin. Dies sei nötig, wenn bei Alkoholisierten dauerhaft Schutzreflexe aussetzten.

Von Aggressivität und Gewalt berichtete den PNN auch ein freier Journalist aus Potsdam. Er war beauftragt, nach dem Unfall an einem Fahrgeschäft Fernsehaufnahmen auf dem Fest zu machen. Zwei Männer vom Wachdienst, deren Kleidung und Tattoos auf die Neonazi-Szene hindeuteten, hätten ihn und eine Kollegin zunächst nicht einlassen wollen, obwohl sie sichtbar einen Pressehinweis am Auto hatten. Auf dem Fest sei die Stimmung aggressiv gewesen.

„Lügenpresse, auf die Fresse“-Rufe

Während der Aufnahmen riefen Besucher mehrfach in die Kamera: „Lügenpresse, auf die Fresse.“ Dies ist auf den Aufnahmen zu sehen, ebenso wie die Angriffe auf ihn und seine Kollegin. „Ein Mann hat mir mit der Faust in den Rücken geschlagen.“ Die Angriffe hätten sich in der Nähe der Rettungszelte abgespielt, wo auch mehrere Polizisten gestanden hätten. Doch keiner sei eingeschritten. „Eine Bankrotterklärung“, so der Vorwurf des Reporters.

Zuvor habe ihm Polizeisprecher Heiko Schmidt gesagt, dass die Polizei Journalisten nicht mehr schützen könne – jeder sei für sich selbst verantwortlich. Auf Nachfrage bestritt der Sprecher diese Aussage. Er habe das Filmteam lediglich darauf hingewiesen, „deeskalierend und nicht hartnäckig aufzutreten“, da einige, meist alkoholisierte Besucher auch aggressiv reagieren könnten.

Die Polizeistatistik, die am Montag mit endgültigen Zahlen vorlag, zeigt, dass es dieses Jahr rauer zuging. So wurden insgesamt 375 Straftaten registriert, knapp die Hälfte davon waren Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Wurden vor zwei Jahren noch 59 Drogendelikte registriert, waren es im vergangenen Jahr bereits knapp über 100, jetzt liegt die Zahl bei 168. Wie viele Minderjährige mit Drogen erwischt wurden, konnte die Polizei am Montag zunächst nicht sagen. Weiterhin registrierten die Beamten 67 Körperverletzungen und 36 Beleidigungen. 80 Festbesucher wurden festgenommen, 257 haben Platzverweise bekommen. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Straftaten bei insgesamt 270. Wie berichtet soll es am ersten Wochenende zu einer Vergewaltigung gekommen sein.

Drogenkonsum hat deutlich zugenommen

Dass der Drogenkonsum auf dem Baumblütenfest deutlich zugenommen hat, bestätigt auch Bundespolizeisprecher Jens Schobranski: „Das ist ein Spiegel der Gesellschaft.“ Mehr als 2000 Bundespolizisten waren im Einsatz, um die insgesamt 180 000 an- und abreisenden Besucher in die Züge zu begleiten. Wegen des schönen Wetters sei die Zahl der Reisenden gestiegen und damit auch das Konfliktpotenzial, so Schobranski. 148 Straftaten registrierte die Bundespolizei.

Die Stadt Werder als Veranstalter wies die Darstellung, in einem Rettungszelt sei es zugegangen wie im Lazarett, zurück. „Ein solcher Vergleich ist völlig unangemessen“, sagte Werders 1. Beigeordneter Christian Große (CDU). Dass Minderjährige Drogen konsumieren und sich betrinken, sei ein gesellschaftliches Problem, dem sich die Stadt beim Baumblütenfest stellen müsse und stellen werde, unter anderem durch Jugendschutzkontrollen.

Große kündigte an, jene Festbereiche, in denen verstärkt Drogen konsumiert worden seien, im kommenden Jahr besser zu überwachen. Die Standbetreiber seien zur Einhaltung des Jugendschutzgesetzes verpflichtet, sonst drohten hohe Strafen, die auch bereits verhängt worden seien, sagte Große weiter. Wie viele Mitarbeiter der Verwaltung den Jugendschutz kontrollierten, konnte das Rathaus nicht sagen. Den Vorwurf, dass Sicherheitsleute der rechten Szene zugehören, wies Große zurück. Der Linke-Bundestagsabgeordnete und Ex-Landesparteichef Thomas Nord bezeichnete das Fest via Twitter als „Brandenburgs größte Drogenparty“ – „und kein einziger Drogenbeauftragter kümmert sich darum“.

Eva Schmid

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