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Kreischende Motorsägen. Auch am Alexanderplatz müssen brüchige Äste eines Baumes weichen.

© Theo Heimann

Baumfällungen: Berlin hat einen Wald weniger

Die Hauptstadt wird als grüne Metropole gepriesen, doch sie verliert jedes Jahr rund 2000 Bäume. Es werden mehr gefällt als neu gepflanzt, und bei der Pflege hapert es – weil den Bezirken das Geld fehlt.

Der Kampf um die Pappeln am Großen Bunkerberg im Volkspark Friedrichshain endete vor einigen Tagen mit einem Kompromiss – und Christian Hönig, Baumexperte vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND), ist nun optimistisch. „Wir finden mit unserem Anliegen in der Stadt mehr und mehr Gehör“, sagt er. Gut 89 in den ersten Nachkriegsjahren gepflanzte Pappeln wollte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg auf dem einstigen Trümmerberg „wegen Bruchgefahr“ absägen. Nach zähem Ringen mit dem BUND müssen nun aber nur 53 Pappeln fallen. Für Hönig ist dies ein weiterer Schritt, um die „schlechte Baumbilanz von Berlin“ etwas zu verbessern.

Denn alljährlich verliert die Stadt rund 2000 Bäume an Straßen und in Parks, die abgesägt, aber nicht ersetzt werden. Seit 2006 ist das ein ganzer Wald, rechnet der Mann vom BUND vor: 10 000 Bäume.

Deshalb haben die BUND-Aktivisten den Verhandlungskommissionen der künftigen rot-schwarzen Koalition am Freitag 10 000 Unterschriften „gegen Berlins Baumschwund“ übergeben. Die Stadt verspiele ihr grünes Kapital, warnen sie. Berlin gelte traditionell als eine der baumreichsten Metropolen Europas. „Damit werden Touristen geworben, doch man tut zu wenig dafür.“ Vor allem die Grünflächenämter müssten finanziell bessergestellt werden. Infolge ihrer Geldnot würden oft „einfachere Lösungen zulasten der Bäume gewählt“.

Wie geht man mit schwächelnden Bäumen um, die sich zu einer Gefahr bei Stürmen entwickeln können? Man kann sie in vielen Fällen durch aufwändige Pflege stabilisieren und die Kronen derart beschneiden, dass sie dem Wind weniger Angriffsfläche bieten. Oder man greift gleich zur Säge, weil der Bezirk sparen muss.

Letzteres sei anfangs am Friedrichshainer Bunkerberg vorgesehen gewesen, sagt der BUND. Nach dem Krieg hatte man die Pappeln auf dem Berg, der über einem Flakbunker aus Bombentrümmern aufgeschüttet wurde, zu eng gepflanzt. Die Bäume schossen hoch, konnten sich aber nicht kräftig entwickeln. Jetzt drohen sie umzufallen, wenn es stürmt. Statt der Radikallösung wurde die Zahl der Fällkandidaten nun reduziert. Das soll Raum schaffen für die verbleibenden Bäume. Die können sich ausbreiten und stärker wachsen. Außerdem sollen die Kronen eingekürzt werden.

Die Folgen des Geldmangels zeigen sich aus Sicht von Kerstin Ehlebracht, Baumexpertin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, auch bei den Baumkontrollen der Bezirke und beim Ausschneiden von Totholz. Jeder Baum auf öffentlichen Bezirksflächen muss mindestens einmal im Jahr fachlich in Augenschein genommen und von abgestorbenen Ästen befreit werden. Doch Kerstin Ehlebracht, die den Erfahrungsaustausch unter den Bezirken fördert und die Baumpflege berlinweit unterstützt, weiß von „Rückständen bei diesen Arbeiten“.

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Werden ganze Haine langfristig vernachlässigt, müssen, wie in Friedrichshain, mehr Bäume gefällt werden als bei guter Pflege nötig gewesen wäre. Doch auch an Straßenrändern leiden Bäume unter mangelnder Aufmerksamkeit. Dort sind zwar meist nur jeweils einige Stämme betroffen, der Verlust schreitet weniger auffällig voran – doch unterm Strich summiert sich das Minus hier laut BUND „besonders heftig“. Denn Bäume, die an Straßen oder in Parks fallen, müssen nach der Baumschutzverordnung nicht durch Neupflanzungen ersetzt werden. Strenger sind die Auflagen auf Privatgrundstücken sowie bei Bauprojekten, denen Bäume zum Opfer fallen. Dort wird fast immer Ersatz gefordert.

So an der Invalidenstraße in Mitte, deren Ausbau mehr als achtzig Bäume weichen mussten. „Dafür werden ebenso viele neue Stämmchen gepflanzt“, versichert Baumsachverständiger Wolfgang Leder, Chef der Straßenbaumpflege in Mitte. Leder hat Glück, sein Bezirk wird selbst von Naturschützern als „besonders baumfreundlich“ gelobt. Er kann noch junge Bäume in größeren Mengen bestellen, während anderswo auch hier gespart wird. Und Mitte hat als einziger Bezirk ein „Baumteam“, dessen 26 Mitarbeiter alles erledigen vom Anpflanzen über die Kontrolle bis zum Fällen. Andere Bezirke haben solche Arbeiten längst an Fremdfirmen vergeben – mit teils schlechten Erfahrungen.

Dass sich immer mehr Bürger wie in Friedrichshain, am Landwehrkanal oder Gendarmenmarkt gegen Fällaktionen wehren, freut Wolfgang Leder. „Das ist doch eine prima Identifikation mit dem Stadtgrün“, sagt er. Allerdings sollte man nicht in jedem Fall „gleich auf die Palme gehen“. Mehr als 200 berechtigte Fällkandidaten in einem Bezirk pro Jahr seien normal. Um Transparenz und sachliche Auseinandersetzungen zu fördern, kündigen immer mehr Bezirke Einsätze ihrer Sägetrupps im Internet an. So fällt Mitte am 1. November zwei Akazien in der Triftstraße wegen „Wurzelstockfäule“.

Der beste Baum für Berlin, meint Wolfgang Leder, sei noch immer die Linde. „Unter den Linden“ ist für ihn der Beweis, „die vielen jungen Bäume am Mittelstreifen sehen doch super aus.“

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