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Reihenweise stehen hier die jungen Linden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Baumschule Lorberg in Brandenburg: Hier wächst die Zukunft Berlins

Nachwuchs für BND, BER und Boulevards – hier sprießt das Grün von morgen. Ein Besuch in der Baumschule.

Von Andreas Austilat

Johannes Grothaus macht sich lang. Mit den Fingern kommt er gerade etwa 2,20 Meter hoch, ungefähr bis an die Spitze der ersten Linde in einer von mehreren Reihen absolut gleich hoher Exemplare. Die Linden sind Zweitklässler gewissermaßen, sie befinden sich im zweiten Jahr in der Baumschule Lorberg. Lorberg in Tremmen, westlich von Berlin, zählt zu den Top fünf der Branche in Europa. Und Grothaus gehört zur Geschäftsleitung.

Noch kann man den kleinen Stamm mit Daumen und Zeigefinger umfassen. Und noch ähnelt die Linde einem Besenstiel mehr als einem Baum. In vier, fünf Jahren könnte der Stammumfang 18 Zentimeter messen, vielleicht 20. Dann ist sie reif, diesen sandigen Boden zu verlassen, vielleicht reif für die Mitte Berlins. Dann nämlich dürfte die sogenannte Kanzler- U-Bahn fertig sein, und zwischen Friedrich- und Charlottenstraße werden wieder Linden gebraucht.

54 wurden vor Jahren dort gefällt, der Boulevard sieht heute zwischen Friedrich- und Charlottenstraße aus wie gerupft. Natürlich wird auch der Auftrag für das Straßengrün Unter den Linden erst noch ausgeschrieben. „Die Gärtner sind immer die letzten auf der Baustelle“, sagt Grothaus. Sicher ist jetzt schon: der Berliner Standard-Straßenbaum hat 18 bis 20 Zentimeter Stammumfang, in Ausnahmefällen darf es auch mal die Klasse bis 25 Zentimeter sein. Der Listenpreis für so ein Exemplar liegt bei 1200 bis 1500 Euro.

Es könnten also diese Linden sein, die hier zwischen Tremmen und Gohlitz heranwachsen. Solange sie in der Baumschule sind, wird ihr Stamm astfrei gehalten, damit er sich in die Höhe streckt wie ein künftiger Straßenbaum, unter dem ein Fußgänger oder auch ein Doppeldecker durchpasst. Er wird regelmäßig umgepflanzt, der Ballen dabei gestutzt, in Form für den künftigen Transport.

Das Unternehmen gibt es seit 1843

Lorberg lieferte die Bäume, als die Entlastungsstraße aufgeforstet wurde, eine Schneise, die seit dem Mauerbau bis Mitte der 1990er den Tiergarten zerschnitt. Von hier stammten die Gehölze für den Reichstag und den BER - dieses eine Mal waren die Gärtner nicht die letzten auf der Baustelle, die 30-Meter-Kiefern vor dem BND-Neubau, zuletzt die Ulmen und die Hainbuchen an der neuen Heidestraße hinter dem Hauptbahnhof.

Das Unternehmen gibt es seit 1843, gerade ist mit Daniel Lorberg die siebente Generation ins Geschäft eingetreten. Die Anbaufläche breitet sich auf rund 850 Hektar aus, genug für mehr als 1000 Fußballplätze. Grothaus führt deshalb auch im Auto über das Gelände. Dazu gibt es noch Zweigstellen in Baden-Baden und für Privatkunden in Kleinziethen.

Konspirative Kiefern.
Konspirative Kiefern.

© picture alliance / dpa

Ein bisschen mickrig sind sie ja schon, die Besenstiel-Linden. Schließlich heißt die Straße ja nicht „Neben den Linden“. Wie wäre es mit denen da drüben? Anderes Feld, wieder Bäume in Reih und Glied, aber mit 30 bis 35 Zentimeter Umfang, schon imposanter. Ankara hat sich 1000 Stück reserviert, Linden, auch Ahorn und Eiche, einen Teil bereits angezahlt. Und Grothaus kommt gerade zurück aus Moskau, hofft, mit den Russen ins Geschäft zu kommen. Wäre nicht das erste Mal, auch am Kreml stehen Lorberg-Bäume. Jetzt sucht Moskau europaweit nach repräsentativem Begleitgrün für seine Ringstraßen.

Das Geld wäre theoretisch da

Die Russen kaufen hier, weil ihre Baumschulen einen Standortnachteil haben. Bei ihnen dauert der Winter von November bis Mai, bleibt weniger Zeit für eine anständige Baumschul-Ausbildung. Das kanadische Québec hat übrigens Spalierlinden gekauft, nach Malmö gingen pinus contorta Bonsai, auch Küstenkiefer genannt und in London stehen jetzt Hainbuchen in Kastenform aus Brandenburg. Denn was hier gedeiht, auf Brandenburgs trockener Krume, das schafft es überall. Theoretisch wenigstens.

Natürlich ist das alles auch eine Kostenfrage. So eine Waldkiefer, wie sie jetzt vor dem BND steht, ist 30 Jahre alt, 19 Meter hoch und bis zu 15000 Euro teuer. Wie Stefan Lorberg, der Chef, vor mehr als 20 Jahren ahnen konnte, dass solche Ungetüme, die jeder einzeln mit dem Tieflader gebracht wurden, mal nachgefragt sein könnten, bleibt sein Geheimnis. Lorberg, so ein Wahlspruch der Firma, verkauft Zeit. Wer seinen Bäumen nicht erst beim Wachsen zuschauen will, muss tiefer in die Tasche greifen. Das Linden-Modell Ankara, doppelt so dick wie der Berliner Standardbaum, ist mit Preisen um 3500 Euro auch dreimal so teuer.

Das ist nichts für die Straße Unter den Linden, bestätigt Wolfgang Leder, Leiter der Straßenbaumpflege im Bezirk Mitte. Das Geld wäre zwar theoretisch da. Als die BVG die alten Linden fällen ließ, musste sie schon mal vorab für die Kompensation aufkommen. Die 54 betroffenen Linden, waren bereits zwischen 40 und 60 Jahre alt. Sie hatten ihren Zenit überschritten. Denn während eine Linde in freier Natur 1000 Jahre alt werden kann, schafft kaum ein Straßenbaum mehr als 80. Unter den Linden belief sich der Restwert der Bäume auf 2000 Euro bei geschädigten und 4500 Euro bei gesunden Bäumen, insgesamt liegen beim Bezirk 118 000 Euro aus dem Erstattungsfonds der BVG, bestätigt Leder.

„Warum sollte ich dieses Geld, für größere Linden ausgeben? Die werden doch sowieso in zehn Jahren eingeholt,“ sagt Leder mit der Geduld des Gärtners. Lieber würde er in den Boden investieren. Und in Pflege. Tatsächlich ist so ein Pflanzloch heute eine Ingenieurleistung, das hat etwas von einer Intensivstation.

Straßenbäumen geht es nicht besonders gut

Der Baum steht wie jetzt schon die Linden vor dem Adlon im Substrat, das verdichtet sich nicht wie Erde. Vielleicht gibt es ein Wassermanagement, bekommen die Wurzeln einen Raum zugewiesen, wo sie unter den Gehwegplatten wuchern dürfen, ohne etwas kaputt zu machen. Denn sie konkurrieren mit Gasleitungen, solchen für Strom, Wasser, Abwasser, Telekommunikation, alle liegen nicht mehr wie früher unter der Straße, wo bei jeder Reparatur der Verkehr unterbrochen werden müsste, sondern daneben, wo eigentlich mal der Baum seinen Platz hatte. Im Wald, da spenden Bäume sich gegenseitig Schatten, am Straßenrand sind sie allein. Deshalb wurden etwa an der Heidestraße die Stämme weiß gestrichen, damit sie keinen Sonnenbrand bekommen, die Rinde rissig wird.

Unter den Linden wurden die Bäume gefällt.
Unter den Linden wurden die Bäume gefällt.

© Thilo Rückeis

Wolfgang Leder glaubt ohnehin nicht, dass es Unter den Linden je wieder eine lückenlose Allee geben werde. An manchen Stellen über Bahnhöfen und dem Tunnel müsste das Erdniveau dafür um mehr als einen Meter angehoben werden. Und auch da, wo Platz ist, wird der Boulevard wieder klein anfangen müssen, sich mit dem Berliner Standard begnügen. Es sei denn, die Frage, wer das bezahlt – nämlich nicht der Bezirk, sondern etwa die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – würde in den nächsten drei Jahren anders entschieden.

Der Firma Lorberg ist das egal, die hat eine breite Palette. Am obersten Ende steht ein vier Meter hoher echter japanischer Bonsai, der mit 48 000 Euro eher etwas für Liebhaber ist. Und sie arbeitet mit Forschern von der Humboldt-Universität und dem Brandenburgischen Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde schon am Straßenbaum der Zukunft.

Besonders zähe Exemplare wurden dafür ausgewählt, solche die sich an extremen Standorten, etwa auf Gleisanlagen, selbst ausgesät und bewährt haben. Aus der DNA solcher wurzelechten Exemplare hat man Sämlinge gezogen, zum Beispiel von der ungarischen Eiche, um sie demnächst in Tremmen auszusetzen. Vielleicht kommt diese Eiche ja später besser am Straßenrand zurecht.

Denn Deutschlands Straßenbäumen geht es nicht besonders. Baggerzähne, Autoabgase, Wassernot, Miniermotten und Pseudomonas – eine Bakterienart, die im Westen Deutschlands ganze Kastanienalleen abräumt – setzen ihnen zu. Allergiker begegnen ihnen mit Misstrauen. Birken etwa werden schon lange nicht mehr neben Schulen gesetzt. In Zukunft werden also möglicherweise andere Bäume neben den Straßen stehen, die Resista-Ulme vielleicht, die Amerikanische Gleditschie oder eben die Ungarische Eiche. Unter den Linden wird da längst fertig sein und immer noch so heißen. Bäume sind ein Geschäft mit langem Anlauf.

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