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Baupfusch unter Wasser: Auf Tauchgang an der Museumsinsel

Der Neubau der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel ist Berlins berühmteste Tauchstelle. Neun Meter unter Wasser beseitigen Spezialkräfte den Baupfusch einer gefeuerten Firma. Die Kosten explodieren, der Zeitplan geht nicht auf.

Knapp über null Grad liegt die Wassertemperatur der Spree am Kupfergraben. Da müssen die jetzt durch, die Taucher von Leunert. Da müssen die jetzt rein, um genau zu sein. Uwe Borrasch, kurze schwarze Haare, hat vorgesorgt. Lange Unterwäsche, wollener Pullover und ein schwarzer Kunststoffanzug als dritte Schicht, dann erst schlüpft er in den wasserdichten Taucheranzug. Nun sitzt er am Rand des Pontons, die Füße im Wasser, wie auf einer Bühne – Pergamonmuseum und das Neue Museum sind seine Kulisse. Er wartet, dass ihm der gelbe Helm gereicht wird. Dann taucht er ab, neun Meter tief ins Trübe.

Dort, wo in diesen Tagen der Grundstein für das Zentrale Eingangsgebäude der Museumsinsel gelegt werden sollte, steht alles unter Wasser. Und die Taucher kommen nur millimeterweise voran. Unter Wasser spritzen sie von den Baugrubenwänden mit einem 500 PS starken Wasserstrahl die Betonreste ab. Eine längst gekündigte Firma hat die hinterlassen – und damit für Chaos gesorgt. Abtasten – abstrahlen – abtasten – abstrahlen, so geht das, Tag für Tag, seit Monaten schon. Alles muss sauber sein, bevor die neue Betonsohle tief ins Erdreich hineingespritzt werden kann. Und erst danach werden sie die Baugrube trockenlegen, die einmal der Keller des Eingangsgebäudes der neuen James-Simon-Galerie werden soll.

Die Galerie ist das vorerst letzte Haus eines Generationen und Jahrhunderte überspannenden Projekts, das Eingangsgebäude eines Ensembles, das Friedrich Wilhelm II. mit einem Auftrag an einen gewissen Karl Friedrich Schinkel begonnen hatte. Das Eingangsgebäude wird erst 2017 fertig, also drei Jahre später als geplant. Und es wird viel mehr kosten als die vorgesehenen 79 Millionen Euro.

Die Arbeit der Taucher ist aufwendig. Aber nur so lässt sich verhindern, dass der Grundwasserspiegel abgesenkt werden müsste – und ein oder auch gleich mehrere Museen auf der Insel absacken. Der 24-jährige Borrasch wird an einem schwarzen Stahlseil geführt, an dem er sich blind entlanghangelt zu seinem Arbeitsplatz, den künftigen Kellerwänden des Eingangsgebäudes. Im Schlepptau hat der Taucher einen vierfarbigen Kabelbaum, seine Nabelschnur, die ihn mit Sauerstoff versorgt, die Hinweise der Kollegen am Ufer überträgt – und die im Notfall stark genug ist, um ihn herauszuziehen.

Eineinhalb Stunden wird Borrasch unter Wasser bleiben, im blinden Vertrauen auf die beiden Kollegen oben im weißen „LaK“, wie der 51-jährige Firmenchef Karsten Leunert den alten Tauchcontainer aus DDR-Beständen nennt. Die ruhigen Atemzüge des Tauchers sind darin zu hören. „Pumpe an!“ klingt es plötzlich blechern aus einer gelben quadratischen Stahlbox, dem Tauchertelefon. „Pumpe an!“ bestätigt sein Kollege und drückt einen weißen Knopf.

Das Getöse von mächtigen Dieselaggregaten setzt ein, während über den Lautsprecher aus der Tiefe der Baugrube das Rauschen von Wasserstrahlern in den Tauchcontainern dringt. Schweißen, schleifen, bohren, das alles können sie – unter Wasser. Am Potsdamer Platz haben sie gearbeitet, als das Quartier Anfang der 90er Jahre gebaut wurde, Tiergartentunnel, Lehrter Bahnhof, Gleisdreieck, Lenné-Dreieck, auf den großen Berliner Baustellen waren sie überall dabei. Und wie sie so erzählen, scheint es fast, als ob die ganze Hauptstadt auf Wasser gebaut wäre. Aufträge gibt es hier jedenfalls seit Jahrzehnten genug, so viele, dass Leunert mit seiner Firma aus Leipzig extra ins Berliner Umland zog.

"Das hat Nerven gekostet", sagt die Projektleiterin

Uwe Borrasch taucht an der Museumsinsel.
Uwe Borrasch taucht an der Museumsinsel.

© Thilo Rückeis

Er hat schon schlechtere Zeiten erlebt. Als er im Alter seines eben abgetauchten Kollegen war, in den 80er Jahren, da gab es noch keine wasserdichten Anzüge, jedenfalls nicht bei der „Tauchergruppe für Kraftwerke“, seinem Arbeitgeber. Wenn der Kühlkreislauf vom Boxberg leck- schlug, dem größten Kraftwerk der Deutschen Demokratischen Republik, dann ging es im Neoprenanzug runter. „Eiskalt“, sagt Leunert, sei das gewesen, bis sich der dünne Wasserfilm auf der Haut erwärmte. „Zwanzig Minuten hält der Körper danach durch, dann ist er ausgekühlt.“ Das härtet ab. Oder macht krank. Nierenschäden, Blasenprobleme, mancher Taucher warf hin. Notgedrungen.

Einfach alles hinwerfen, mit einem Schlag von allen Sorgen befreit – hat sie sich das nicht auch einmal heimlich gewünscht, seitdem nach Schuldigen für das Chaos auf Berlins schönster Tauchstelle gesucht wird? Barbara Große-Rohde, die schwarzen Haare im Pagenschnitt, kräftiges schwarzes Brillengestell, lacht die Frage einfach weg. Die Mitarbeiterin im Bundesamt für Bauwesen steht am Beckenrand, der schmale Körper in den dunklen, bis zum obersten Knopf geschlossenen Mantel eingehüllt wie in eine Decke. „Das hat Nerven gekostet“, sagt sie, Überstunden und so manche Zigarette mehr als sonst. Wenn die Planungen für eine Baustelle aus dem Ruder laufen, dann müssen die Projektleiter schnell handeln: Firmen, Ingenieure, Architekten zusammenrufen, den Schaden feststellen – und die Schuldigen benennen.

Der Bauherr und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz erklärt das mit den „eklatanten Fehlleistungen“ einer längst gekündigten Firma. Am Mittwochmorgen zieht er, wie jedes Jahr, Bilanz über Finanzen und Arbeit der Stiftung und stellt die Planungen vor für das kommende Jahr. Wie er seinen Kugelschreiber zwischen Zeige- und Mittelfinger tanzen lässt, den Kopf zwischen den Schultern eingezogen, lässt sich Sorge erahnen, dass der Millionenschaden vielleicht doch die weiteren Pläne der Stiftung zur Neuordnung ihrer Kunstschätze auf der Museumsinsel und im Kulturforum in Tiergarten gefährden könnte. Was Parzinger natürlich zurückweist.

Seine Erklärung, dass eben nicht „irgendeine Fehlplanung“ schuld an dem Desaster sei, sondern jene Firma, entlastet auch die für das Projekt Verantwortlichen wie Barbara Große-Rohde aus dem Bundesamt für Bauwesen. Das Amt ist eine nachgeordnete Behörde des Bundesbauministeriums. Und weil die Bundesregierung auch die Verwalter des Preußenerbes finanziert, kommt am Ende der Steuerzahler für den Baupfusch auf. Bislang verlässt sich die Stiftung auf einen stetig sprudelnden Geldstrom. 80 Millionen Euro jährlich bekommt sie allein für die Bauprojekte. Aus diesem Etat will Parzinger die Beseitigung der Mängel beim Bau des Eingangsgebäudes finanzieren. Er muss sich das aber trotzdem genehmigen lassen. Zumal die Lücke mit Mitteln gestopft werden muss, die für andere Projekte vorgesehen waren.

Der Museumshistoriker Nikolaus Bernau, der über das Pergamonmuseum promoviert, erklärt die Museumsinsel zum „gefährlichsten Baugrund Berlins“. Spätestens seit der Errichtung des Pergamonmuseums sei das bekannt. Schon damals seien die Kosten explodiert, das um 1900 sagenhafte Budget von sechs Millionen Mark für das Pergamonmuseum sei schon aufgebraucht gewesen, als die Rohbauarbeiten gerade erst begonnen hatten. Dann: Wassereinbrüche wegen gebrochener Spuntwände. Erst im Jahr 1930 öffnete das Haus, 17 Jahre später als geplant. Bis heute weiß niemand, wie viele Millionen das Projekt letztlich verschlungen hat.

Die Neuordnung der Museen ist in Gefahr

Bernau befürchtet, dass die Baustellenpanne auch auf die geplante Neuordnung der Kunstsammlungen durch die Stiftung durchschlägt. Die bevorzugte Variante sieht den Umzug der Alten Meister vom Schöneberger Kulturforum in einen Neubau gegenüber vom Bode-Museum vor – und die Umwidmung der bestehenden Gemäldegalerie in eine „Galerie der Moderne“. Aber werden Bund und Länder wirklich einen weiteren Neubau auf der Museumsinsel genehmigen und neue finanzielle Risiken eingehen?

Käme der Neubau nicht, hätte das verheerende Folgen: den Verlust einer schon sicher geglaubten einmaligen Sammlung von Meisterwerken aus der Zeit des Surrealismus. Deren Besitzer, der 82-jährige Industrielle Heinz Pietzsch, sagt trotzdem: „Ich bin total entspannt.“ Berichte, wonach die weltberühmten Alten Meister vom Kulturforum vertrieben würden, um eine zweitklassige Sammlung dort unterzubringen – nämlich seine – habe er abgeheftet. „An unseren Bedingungen hat sich nichts geändert“, setzt er nach. Und die gehen so: Die Nationalgalerie kann sich frei aus seiner 200 Werke umfassenden Sammlung der Moderne, darunter Werke von Kirchner, Miró oder Neo Rauch, bedienen, „aber nur wenn die Gemälde auch ausgestellt werden“. Dass also ein weiteres Haus für die moderne Kunst eröffnet, diese Zusicherung will er nun schriftlich haben von der Stiftung und dem Land Berlin.

„Die Probleme beim Eingangsgebäude sind schon ein heftiger Rückschlag“, sagt Urs Vogt. Der 51-jährige Schweizer Architekt ist seit fünf Jahren im Büro von David Chipperfield Architects mit dem Bauprojekt befasst. Von der schwierigen Lage erzählt der graumelierte Projektleiter trotz allem mit lachenden Augen. Wer mit ihm das Baufeld besucht, ist schnell von dem Entwurf überzeugt. Das Eingangsgebäude soll die Kolonnaden fortführen, die das benachbarte Neue Museum und die Alte Nationalgalerie umfassen, setzt aber den wuchtigen historistischen Säulen filigrane Betonstützen entgegen. Wie das einmal aussehen wird, ist am ersten bereits ausgeführten Abschnitt zwischen Neuem Museum und

Pergamonmuseum zu besichtigen. Zwischen den Museen sollen viele neue Verbindungswege entstehen. So sieht es der Masterplan vor. Der wichtigste dieser Wege wird vielleicht die Archäologische Promenade im Untergeschoss sein, die irgendwann vier Häuser miteinander verbinden soll. Bevor der Entwurf Wirklichkeit wird, ist aber noch viel zu tun. Erst einmal für Uwe Borrasch und die anderen Bautaucher. Denn bis die unter Wasser alles für das Fundament bereitet haben, wird es Spätsommer werden. Nach jetzigem Planungsstand.

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