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BBI-Diskussion: „Die Politik hat uns betrogen“

Am Dienstagabend diskutierten Experten und Bürger in der Berliner Urania über die künftigen Flugrouten für den Großflughafen Berlin Brandenburg International. Ergebnis: Die Proteste der betroffenen Anwohner werden weitergehen.

Betrug, Manipulation, falsche Informationen – die Vorwürfe gegen die Politik sind massiv, die Menschen voller Misstrauen. Zehntausende Menschen in Brandenburg und Berlin müssen befürchten, dass vom Flughafen BBI in Schönefeld die startenden und landenden Jets über ihre Köpfe hinwegdonnern werden, seit die Flugsicherung völlig überraschend entsprechende Pläne vorgelegt hat. Hoch her ging es deshalb auch am Dienstagabend bei der Diskussion über künftige Flugrouten, zu der die Urania gemeinsam mit dem Tagesspiegel eingeladen hatte. „Argumente statt Transparente“, war das Anliegen. Und anfangs schien sich dieser Anspruch im mit etwa 300 Zuschauern ausverkauften Kleist-Saal auch zu erfüllen. Die Protestler ließen ihre Plakate zunächst am Boden und hörten den Diskutanten zu. Im Laufe der Debatte aber musste Moderator Gerd Nowakowski, Leiter des Ressorts Berlin/Brandenburg beim Tagesspiegel, die Gemüter zunehmend beruhigen.

Für viele Besucher ist die Debatte emotional stark aufgeladen, da sie aus Gebieten kommen, die nach den aktuellen Plänen vom Lärm der Flugzeuge betroffen wären. Für sie saß Sabine Bergmann-Pohl, ehemalige CDU-Bundesministerin und Präsidentin der DDR-Volkskammer, auf dem Podium. Sie ist vor einigen Jahren nach Zeuthen gezogen, in der Überzeugung, dass dieser Ort nicht von dem Flughafenausbau betroffen sei. Sie habe sich darüber vor dem Umzug ausführlich informiert. Auf allen Plänen hätte gestanden, dass die Flugzeuge bei parallelen Starts und Landungen geradeaus starten würden. Nach ihrem Umzug nach Zeuthen habe dann die Luftsicherung verkündet, dass die Flugzeuge nach dem Start seitwärts abknicken müssten. Eine gravierende Änderung – nicht nur für Bergmann-Pohl: Plötzlich sollten Zeuthen und andere Orte ständig überflogen werden. Wie viele aus dem Publikum fühle sie sich betrogen. Die Anwohner seien von der Politik nicht über die wahren Pläne informiert worden, urteilte sie.

Rainer Bretschneider (SPD), Staatssekretär im Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft in Brandenburg, sah sich zu Unrecht kritisiert. Sein Ministerium habe sich dem Thema Flughafenausbau stets verpflichtet gefühlt und betont, dass es „in Spitzenzeiten Probleme geben könnte“. Gewisse Entwicklungen seien aber einfach nicht abzuschätzen gewesen. Er sei harte Kritik gewohnt, ihn allein auf dem Podium als Schuldigen darzustellen, sei aber ungerecht: Neben der Deutschen Flugsicherung und dem Flughafenbetreiber sei sein Ministerium nur „einer von drei Playern“. Außerdem seien die Flugrouten „nur ein Entwurf, der sicher nicht so umgesetzt wird“.

Bretschneiders Ministerium habe von Anfang an gewusst, dass die Anwohner massiv vom Fluglärm betroffen sein würden, hielt Volker Ratzmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Berlin, dagegen: „Es war doch jedem klar, dass der Ausbau nicht nur eine Entlastung für Tegel und Tempelhof ist, sondern auch eine Mehrbelastung für die Anwohner in Schönefeld.“ Diese Umstände hätten kommuniziert werden müssen, sagte er und warf der politischen Führung Betrug vor. Nicht nur am Bürger, auch am Bundesverfassungsgericht. Im Klageverfahren gegen den Flughafenausbau hätten die Verantwortlichen das Gericht über die Zahl der vom Lärm betroffenen Menschen getäuscht, weil die abknickenden Routen verschwiegen worden seien. Bretschneider habe sehr frühzeitig gewusst, dass sich die Flugrouten noch ändern würden. „Richtig blamabel“, nannte das Ratzmann. Der Berliner Grüne war fortan der Sympathieträger, Bretschneider der Buhmann. „Wir sind nicht juristisch angreifbar“, verteidigte sich Bretschneider. Demjenigen, der betrüge, müsse ein Handeln wider besseres Gewissen nachgewiesen werden. Das sei hier nicht der Fall; Ratzmann verbreite deshalb unzutreffende Informationen.

Von Betrug wollte Manfred Stolpe (SPD), von 1990 bis 2002 Ministerpräsident Brandenburgs, ebenfalls nicht sprechen: Als der Flughafen Mitte der 90er Jahre geplant wurde, hätten sich die Anwohner noch nicht für mögliche Probleme interessiert. Die Politiker hätten daher keine Notwendigkeit gesehen, mit der Bevölkerung zu sprechen. Das sei ein grundsätzliches Problem in Deutschland. Es müsse behoben werden. Das habe sich auch bei Projekten wie Stuttgart 21 gezeigt. Als Ministerpräsident habe er aber 1996 für das Berlin-ferne Sperenberg als Standort des neuen Großflughafen plädiert, sagte Stolpe. Auf Bundesebene sei aber entschieden worden, dass es Schönefeld werden sollte. „Ich habe es leider nicht geschafft, mich durchzusetzen.“ Vielen im Publikum war das als Begründung für Schönefeld nicht ausreichend. „Viel zu lasch“, schimpfte ein Besucher.

„Jetzt ist es nun mal Schönefeld“, konstatierte Maria Krautzberger (SPD), Berliner Staatssekretärin für Stadtentwicklung. Sie betonte die wirtschaftliche Bedeutung des Flughafens, kritisierte aber die Flugsicherung: „Ich finde ihr Vorgehen nicht nur ungeschickt, ich finde es auch verantwortungslos, weil es am Vertrauen rührt.“ Wenn möglicherweise in der Kommunikation mit den Bürgern Fehler gemacht worden seien, müsse aber ein Ziel bleiben: ein leistungsstarker Flughafen für die Metropolregion. Daher würden die Ansprüche ganz sicher nicht zurückgefahren. Fluglärm sei unvermeidlich. „Am Ende wird es ganz klar auch Verlierer geben“, sagte sie.

Dem stimmte die Mehrheit im Publikum nicht zu. Und Staatssekretär Bretschneider verärgerte die Besucher weiter: „Es gibt kein Recht auf lebenslange Nichtbetroffenheit“, sagte er. Bisher sei der Wert der Grundstücke außerdem nicht so stark gesunken, wie immer behauptet werde. Trotz allem sei er bereit, weiter über Routen zu diskutieren, wünsche sich aber mehr Sachlichkeit: „Wir müssen unsere Differenzen weiter austragen, aber von den Plakaten wegkommen.“

Dafür aber war es in der Urania zu spät. „Wir wehren uns“ oder „Weg mit Flugrouten“ stand auf ihren Transparenten. „Herr Bretschneider, wir protestieren weiter. Sie werden mit diesen Plakaten leben müssen“, sagte Sabine Bergmann-Pohl. Sie regte sich auch darüber auf, dass die Politik von den Anwohnern neue Vorschläge für die Flugrouten erwartete. „Wir sind Laien, wir können das nicht“, sagte sie. Es müsse andersherum laufen: Die Experten in der Lärmkommission sollten alternative Flugkonzepte prüfen und diese dann den Anwohnern vorschlagen.

Der Zorn einiger Zuhörer richtete sich nun auch gegen Bergmann-Pohl – die eigentliche Sprecherin der Protestler. „Die spricht doch nur für Zeuthen“ und „Früher war die doch genauso schlimm, wie die Politiker heute“, hieß es. Besonders in Rage redete sich Ferdi Breidbach, der seit 1996 gegen den Flughafenausbau kämpft. Manfred Stolpe versuchte, die aufgebrachten Gemüter etwas zu beruhigen: Noch stünden die Flugrouten nicht endgültig fest. Deshalb komme es auch auf das Engagement der Menschen an. „Ist der Flughafen Schönefeld Chance oder Kreuz? Das müssen wir gemeinsam entscheiden und dann einen Interessenausgleich finden.

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