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Berlin: Beate Horner (Geb. 1952)

Geld spielte keine Rolle, auch nicht, als keins mehr da war.

Halt dich an deiner Liebe fest!“ – Als Rudi Rallala auf der Beerdigung den Ton-Steine-Scherben-Song sang, rückten die hundert Trauergäste enger zusammen. Freaks, Alkoholiker, Arbeitslose, Künstler. Vor allem solche, die es sein wollen und niemals sein werden. Mit Beate, für Freunde „Hörnchen“, war wieder jemand aus ihrer Mitte vor der Zeit gegangen. Leberzirrhose. „Sie hobeln nicht, sie fallen wie die Späne“, beschreibt der Kreuzberger Dichter Scardanelli die Situation. Geburtstage absolviert man genauso häufig wie Beerdigungen, 60 Jahre alt werden aus diesem Milieu nur wenige.

Beate also, geboren und aufgewachsen in Stockstadt am Rhein, einem idyllischen 3000-Seelenort unweit des Naturschutzgebiets Großer Kühkopf. Vater Beamter, Mutter Hausfrau, eine Schwester. Mit 17 verließ sie die geschützte Welt, die sie nicht Stockstadt sondern Stocksteif nannte. In Heidelberg arbeitete sie als Familienhelferin. Das entsprach ihrer sozialen Ader, man könnte auch von einem lebenslangen Helfersyndrom sprechen. Durch das „Sozialistische Patientenkollektiv“ und die Antipsychiatriebewegung wurde sie politisiert wie so viele ihrer Generation. West-Berlin erschien als Ort der Träume. Sie trat dem Kommunistischen Bund Westdeutschland bei, ein eher symbolischer Akt. Für die Kaderarbeit war sie zu naiv. Mitte der siebziger Jahre zog sie nach Kreuzberg, das sie nie mehr verlassen sollte.

20 Jahre arbeitete sie mit Schwerstbehinderten bei der Fürst-Donnersmarck-Stiftung. Ein auszehrender Job. Der Alkohol wurde ihr Stressbekämpfer.

Dann 1995 die Diagnose Brustkrebs. Ihre Panikreaktion: Totalamputation. Klaglos kämpfte sie sich in ein anderes Leben, denn das Berufsleben war vorbei. Sie wog bei 165 cm Körpergröße weniger als 45 kg. Aber in ihrem zerbrechlichen Körper steckte eine unglaubliche Energie. Sie nahm Malunterricht, es entstanden expressive Bilder, farbintensiv und ausdrucksstark – Figuren, Tiere, Stadtlandschaften –, die sie für kleines Geld verkaufte. Viele hat sie auch verschenkt. Geschäftstüchtig war sie nie. Geld spielte keine Rolle für sie, auch nicht, als keins mehr da war. Dann eben Billigzigaretten und Weißwein aus dem Tetra-Pak. Ihre Familie schickte manchmal Lebensmittel. Geld nicht, denn Geld hätte Beate an die gegeben, die ihr noch bedürftiger erschienen.

Ihre Wohnung und ihre Galerien wurden zu Sammelbecken Kreuzberger Randexistenzen. Sie brauchte Menschen um sich herum. Einsamkeit ertrug sie nicht. Lange Nächte, endlose, oft sinnfreie Diskussionen über die Zukunft der Kunst. Sie konnte nicht gut schlafen, also war sie oft die letzte, die dann den Abwasch machte. Ihr Lebensgefährte, ein Restaurator und Blues-Musiker, den sie seit 1978 kannte und mit dem sie seit 1996 eine laute und heftige Beziehung führte, mokierte sich über diese Ersatzfamilie aus „Künschtlern“. Er starb ein halbes Jahr vor ihr. Und sie hatte ihn bemuttert bis zum Schluss. Wie ein Baby. Wie alle Freunde, ob sie wollten oder nicht. Ihr Wunsch nach eigenen Kindern war unerfüllt geblieben.

„Azul“, „Renaissance e. V.“, „Open Space“, „ZeitZone“ – Galerien, ein im Pappkarton übernommener gemeinnütziger Kunstverein, den sie wiederbelebte, die Organisation von Kunstflohmärkten und Straßenfesten – aus der Kreuzberger Alternativkultur war sie nicht wegzudenken. Für ihre Projekte konnte sie viele mitreißen und vereinnahmen. Dafür nannte man sie „Frau Zack Zack“ oder „Frau Schnell Schnell“. Dass das fast alles ehrenamtlich geschah, dass hin und wieder sogar draufzuzahlen war, versteht sich von selbst. Planung und Vorbereitung waren wichtiger als das Ergebnis. Auf ihren Kunstflohmärkten flatterten die Exponate an Wäscheleinen im Wind.

Und dann der „Kiezplan“, ihr Lieblingsprojekt: eine Art Branchenbuch und Kneipenführer. Darin beschrieb sie eine ihrer Lieblingskneipen, den „Elefanten“. Vielleicht wollte sie sie ganz für sich behalten, jedenfalls schrieb sie, dass dort das Bier warm und der Kaffee kalt sei. Das brachte ihr den verständlichen Zorn des Wirtes ein, ein lebenslanges Lokalverbot sowie die Aufgabe, die Textstelle in der gesamten Auflage zu schwärzen.

So schnell, wie sie gelebt hat, ist sie auch gestorben. Gerhild, eine Freundin, war bei ihr. Beate wollte zu Hause sterben, niemandem zur Last fallen. Sie bat als letztes um ein Bier, Bier hatte sie seit Jahren nicht getrunken.

Die Sargträger hatten eine leichte Last. Erik Steffen

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