zum Hauptinhalt

Berlin: Beatrice Waghalter Green, geb. 1913

Sie hätte sich schlapp gelacht, wenn man ihr gesagt hätte, dass sie auf ihrer eigenen Beerdigung singen würde. Aber der Gedanke wäre ihr wahrscheinlich nicht ganz unangenehm gewesen.

Sie hätte sich schlapp gelacht, wenn man ihr gesagt hätte, dass sie auf ihrer eigenen Beerdigung singen würde. Aber der Gedanke wäre ihr wahrscheinlich nicht ganz unangenehm gewesen. Kurt Weill, hätte sie dann gesagt, werde sie singen, Brecht natürlich. Es ist "My Heart is in Vienna tonight" geworden und es scheppert auch ganz ordentlich aus dem Kassettenrecorder. Aber bessere Aufnahmen sind nicht erhalten von Beatrices New Yorker Radiosendung "The Viennese Nightingale", die Wiener Nachtigall. Als das Lied zu Ende ist ist, klatscht das Trauerpublikum begeistert in die Hände, der Rabbi ist beeindruckt und Allen sagt, er hätte sie sofort in seine Agentur aufgenommen. Er managt Opernsänger und ist Beatrices jüngster Sohn. Beatrice, geborene Waghalter, verheiratete Freudenthal, Szejman und Green, Sängerin zur falschen Zeit.

Nach der Beerdigung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof geht die kleine internationale Trauergemeinde in ein Café in der Oranienburger Strasse. Dort klappt David, Beatrices ältester Sohn, einen kleinen DVD-Spieler auf und gibt das Wort ab an seine Mutter. Beim Versuch, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben, kam Beatrice nie weiter als ein paar Seiten, und da hat David sie vor drei Jahren einfach auf Video genommen. Sie spricht langsam und sehr artikuliert, als lese sie ein Hörspiel, in dem die Pointen feststehen. Sie sitzt auf dem Holzbalkon ihrer Wohnung in der Schweiz, in der sie seit vielen Jahren die Sommermonate verbringt. Es ist 1999 und Beatrice ist 85 Jahre. Ihre Lippen sind signalrot und an den Rändern pfeilgerade nachgezogen. Sie erzählen von der ersten Heirat. Kein schönes Erlebnis sei das gewesen. Nein wirklich nicht. Im Gegensatz zu allem, was davor war.

Als Beatrice Waghalter 1934 den Berliner Verleger Freudenthal bei einem ihrer Konzerte kennen lernt, ist sie 20 Jahre, und ihre Eltern bereiten die Emigration nach Amerika vor. Der erste Versuch war gescheitert, der Vater konnte es in den USA nicht aushalten. Er hatte Heimweh nach Berlin, nach dem Milieu, nach der Oper. Ignatz Waghalter war der erste Dirigent der Deutschen Oper gewesen. Zur Eröffnung 1912 hatte er Beethovens Fidelio dirigiert, und drei seiner Opern kamen dort zur Uraufführung. Und zu Hause, in der Charlottenburger Wohnung, waren oft Gäste wie Max Reinhardt, der Schauspieler Ernst Deutsch oder der Dadaist John Heartfield zu Besuch. Regelmäßig kam auch ein kleiner Mann zum Geigen, der Beatrice als der Mann mit dem großen Schnurrbart in Erinnerung geblieben ist: Albert Einstein. Wenn Beatrice von der Schule oder dem Gesangsunterricht zurückkam, stand der Vater manchmal auf dem Balkon, winkte seiner Tochter zu und balancierte dabei einen Blumentopf auf dem Kopf. 1923 wurde Ignatz Waghalter entlassen. Er ging in die USA - und kam wieder zurück. Als Beatrice 1934 Freudenthal begegnete, war kaum noch Geld da.

Der Verleger hatte sich Hals über Kopf in das Mädchen auf der Bühne, das aussah wie Elisabeth Taylor, verliebt, und da sich gerade alles um Beatrice herum auflöste, willigte sie ganz schnell in die Heirat ein. In Deutschland konnte sie nur noch im Jüdischen Kulturbund vor jüdischem Publikum auftreten. 1938 wanderte sie mit Eltern und Ehemann in die USA aus.

Von der Zeit in Berlin wird sie später immer wieder erzählen. Von ihrem Vater, von ihrer Schulfreundin Lily Palmer und dem Heini, der bei ihr zu Hause immer unterm Tisch saß und weinte, weil keiner mit ihm spielen wollte. Und nur wer fragte, erfuhr den ganzen Namen: Heinz Berggruen.

In New York versucht Beatrice, die Operetten-Karriere fortzusetzen. Ihr Mann dagegen kommt mit Amerika nicht zurecht und zieht sich immer mehr in die Religion zurück. Beatrice geht aus, und trifft sich mit Berliner Freunden. Einmal, als sie mit Georg Grosz zusammensitzt, fragt er, ob sie wohl eines seiner Bilder haben möchte. Er habe so viele, und wisse nicht mehr wohin damit. Beatrice überlegt erst gar nicht und erwidert: Vielen Dank, aber ich ziehe gerade um, und wüsste selbst nicht wohin damit.

Beatrices Karriere in den USA will nicht so recht laufen. In Deutschland war sie als die zweite Fritzi Massary gefeiert worden, in Amerika wollen die Leute Jazz hören und keine Operette. Mit dem Broadway und dem amerikanischen Show-Business wiederum kann sie nichts anfangen. Für ein kleines europäisches Publikum singt sie als "Wiener Nachtigall" einmal in der Woche eine halbe Stunde im Radio.

1946 heiratet sie noch einmal, bekommt einen Jungen und ein Mädchen - und verabschiedet sich vom Radio. 1950 dann ein neuer Anlauf. Beatrice tritt zum ersten Mal vor Publikum in New York City auf, mit Stücken von Kurt Weill. Ein Konzertagent im Publikum ist begeistert, rät ihr jedoch, mit diesen Liedern nach Europa zu gehen. In den USA sieht er keine Möglichkeit. Auf der Suche nach der verpassten Karriere geht Beatrice nach Amsterdam. Und sie scheint tatsächlich so etwas wie den Anfang einer neuen Karriere zu finden. 1953 stirbt jedoch ihr zweiter Ehemann, und Beatrice beschließt, nun endgültig in New York und bei ihren Kindern zu bleiben. Ein Jahr später heiratet sie den wohlhabenden Geschäftsmann Russell Green und bekommt ein drittes Kind.

Amerika hat sie zwar als Sängerin abgewiesen, als Geschäftsfrau akzeptiert es sie. Sie importiert Regenmäntel, eröffnet ein Reisebüro für Witwen und verkauft Perückenhüte nach Frankreich. Den Sommer verbringt die Familie in der Schweiz. Mit den Jahren wird der Ort zum Treffpunkt für viele deutschsprachige Künstler und Intellektuelle. Sie trifft den Schauspieler Ernst Deutsch wieder, Carl Zuckmayer und Marcel Reich-Ranicki, der ihr erzählt, dass er ihren Onkel aus dem Warschauer Getto kenne. Alle drängen sie, doch noch einmal zu singen. 1965 tritt sie auf und singt "Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben", "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" und einige Cole-Porter-Lieder.

Im diesem Frühling versuchte Beatrice noch einmal, ihre Geschichte aufzuschreiben. So fing sie an: "Ich werde immer gefragt: Na, wie war es denn damals in Berlin? Und ich schäme mich sagen zu müssen: Es war wunderschön."

Kerstin Kohlenberg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false