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Berlin: Befangen im Vorurteil?

Ein Richter wird nach Antisemitismus-Vorwürfen ausgeschlossen.

In einem Strafverfahren vor dem Berliner Landgericht ist der Vorsitzende Richter einer Wirtschaftsstrafkammer wegen möglicher antisemitischer Vorbehalte von einem Prozess ausgeschlossen worden. Der Richter sei befangen, heißt es in einem Beschluss des Gerichts von Ende September, der dem Tagesspiegel vorliegt. Der Vorsitzende hatte bei einem Haftprüfungstermin einen Angeklagten gefragt, ob er Jude sei und der jüdischen Gemeinde in Berlin angehöre. Später fragte er auch einen von einer Angeklagten privat konsultierten Arzt, ob dieser Mitglied der jüdischen Gemeinde sei. „Das Verhalten des abgelehnten Vorsitzenden lässt daher nicht nur besorgen, dass er die Zuverlässigkeit der fachärztlichen Äußerungen des Dr. T. in Abhängigkeit zu dessen Religionszugehörigkeit stellt, sondern sich in seiner Entscheidungsfindung von unsachlichen Vorbehalten gegenüber Juden leiten lässt“, stellte die Kammer nach Befangenheitsgesuchen der Verteidigung fest. Für die Frage nach der Religionszugehörigkeit sei „unter keinem Gesichtspunkt ein sachlicher Grund ersichtlich“. Den Behörden seien Fragen nach dem Glauben generell untersagt.

Der Prozess gegen vier Angeklagte wegen Anlagenbetrugs mit einer Schadenssumme von 50 Millionen Euro wurde zunächst ausgesetzt und soll Mitte November fortgeführt werden. Erfolgreiche Befangenheitsanträge sind eher die Ausnahme in Strafprozessen. Die möglichen antisemitischen Vorbehalte standen jedoch nicht im Mittelpunkt des Ablehnungsbeschlusses. Vor allem ging es der Verteidigung um den Umgang mit den gesundheitlich eingeschränkten Angeklagten in der Hauptverhandlung. Eine Angeklagte war von der Krankenstation des Gerichts im Bett in den Verhandlungssaal gerollt worden. Auf Kritik hatte der offenbar verärgerte Richter mit den Worten reagiert, „hier verstößt vieles gegen die Würde des Gerichts“.

Der Vorsitzende Richter ist im Moabiter Kriminalgericht bisher nicht wegen antisemitischer Ausfälle oder schroffer Verhandlungsführung bekannt. Ob das Geschehen also tatsächlich einen judenfeindlichen Hintergrund hat, ist unklar. Gerichtssprecher Tobias Kaehne verwies darauf, bei der Haftprüfung sei es darum gegangen, eine mögliche Fluchtgefahr abzuklären, da der betroffene Angeklagte zwei Pässe besitze. Bei der Frage an den Arzt Dr. T. hätten mögliche private Kontakte zu den Angeklagten im Vordergrund gestanden. Jost Müller-Neuhof

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