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Jeder nach seinen Fähigkeiten. In den Werkstätten werden die Beschäftigten motiviert, aber nicht überfordert.

© picture alliance / dpa

Behindertenwerkstätte in Berlin: „Die Menschen sind freiwillig bei uns“

Die Vielfalt der Behindertenwerkstätten in Berlin ist bundesweit einzigartig. Dennoch stehen die Einrichtungen immer wieder in der Diskussion.

Sie gehören zu den größten Arbeitgebern in der Stadt: „Die Konstellation der Werkstätten für Menschen mit Beeinträchtigung in Berlin ist einmalig, das gibt es in keinem anderen Bundesland“, sagt Dennis Kuck, Bereichsleiter für Arbeit und Produktion bei der Mosaik-Berlin gGmbH. Insgesamt existieren in der Hauptstadt 17 Träger. Sie bieten laut der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (LAG WfbM) rund 10 000 Stellen. „Wir sind ein wichtiger Teil des Arbeitsmarktes“, sagt Kuck.

Zur Berliner Messe „Bazaar“ haben sich zehn Träger aus Berlin und Brandenburg zusammengeschlossen und präsentieren sich dort gemeinsam. Regional hergestellte Produkte lokal zu vertreiben: Das ist der Gedanke hinter dem Gemeinschaftsstand. Außerdem erlangt man dort Einblicke in die Arbeit der Einrichtungen. Denn der Alltag in der Werkstatt ist vielfältig. „Wir bieten unterschiedliche Dienstleistungen an und stellen ebenso viele Dinge in Eigenleistung her. Das sind Produkte aus Holz, Metall, Papier, aber auch Textilien oder Kerzen“, sagt Kuck. Sie werden von den Beschäftigten selbst geplant und entwickelt. Vertrieben werden sie dann auf der ganzen Welt über Märkte, Messen und Onlineshops.

Der Arbeitstag dauert von sieben bis 15 Uhr

„Die Menschen, die zu uns kommen, sind sehr unterschiedlich“, berichtet Kuck und meint damit nicht nur die Beeinträchtigungen, sondern auch die Stärken und Kompetenzen. Der klassische Werkstattbeschäftigte habe in der Regel einen Arbeitstag von sieben bis 15 Uhr. Bezahlt wird jedoch nicht nach Stunden. „Die Beschäftigten bekommen von uns ein Entgelt, das an die Einnahmen durch die Produktionserlöse gekoppelt ist“, erklärt Kuck. Die Werkstätten seien gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens 70 Prozent der Erlöse an die Menschen mit Behinderung auszuzahlen – und an alle einen Grundbetrag zu zahlen. „Das sind zwischen 100 und 500 Euro“, sagt Kuck. Die Entlohnung mag als relativ gering erscheinen, sagt Kuck, man dürfe dabei aber nicht vergessen, dass die Beschäftigten oftmals Grundsicherung oder Kindergeld erhalten und nach deutlich höheren Regelsätzen als dem eigenen Lohn rentenversichert werden. So werde alles in allem mehr als der Mindestlohn erreicht.

Dennoch stehen die Werkstätten immer wieder in der Diskussion, vor allem im Hinblick bezüglich ihrer Rolle bei der Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Der Übergang in einen regulären Betrieb gelingt nur selten. „Die Menschen sind alle freiwillig bei uns. Wir fahren nicht durch die Stadt und sammeln sie ein“, erwidert Kuck und fühlt sich missverstanden. Deutschlandweit arbeiten 300 000 Menschen in Behindertenwerkstätten. „Wir haben mehr Mitarbeiter als die gesamte Bankbranche, verfügen aber über deutlich weniger Gewicht und Bedeutung“, beklagt er.

„Teilhabe ohne Leistungsdruck muss möglich sein“

Inklusion sei zwar eine große Herausforderung, trotzdem könne man niemanden zu etwas zwingen. „In so einer reichen Gesellschaft wie unserer muss auch eine Teilhabe am Arbeitsleben ohne Leistungsdruck möglich sein“, fordert Kuck. Alle Träger verfügen über Mitarbeitende (sogenannte Jobcoaches), die Kontakte zu Firmen außerhalb der Werkstätten haben. Ihre Aufgabe sei es, maßgeschneiderte Arbeitsplätze für Beschäftigte zu finden, die auf den „freien Markt“ wechseln möchten.

Was könnte die Politik tun? „Viele in der Werkstattlandschaft wären froh darüber, wenn wir das Entgelt und alle zusätzlichen Leistungen aus einer Hand als Werkstatt überweisen dürften“, so Kuck. Das würde auch die Diskussionen um das Gehalt beenden und den Fokus auf die eigentliche Herausforderung legen: Die Teilnahme am Arbeitsleben, die jedem ermöglicht werden sollte.

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