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Berlin: Behörden wussten von misshandeltem Baby

Schon im August wurden blaue Flecken entdeckt Kind hat kaum Überlebenschancen.

Das am 5. September mit einem Schütteltrauma und lebensgefährlichen Verletzungen in eine Klinik gebrachte sieben Monate alte Mädchen ist offenbar schon einige Zeit vorher schwer misshandelt worden. Dies war den Behörden spätestens seit dem 29. August bekannt. Außerdem verdächtigten sie zu diesem Zeitpunkt auch schon den 17-jährigen Vater des Babys und erließen gegen ihn Auflagen, um weitere Übergriffe zu verhindern. Das zuständige Jugendamt Neukölln und der Verein „Leben Lernen“, die sich um die 18-jährige Mutter des Mädchens kümmerten, hielten es aber offenbar nicht für notwendig, die Polizei zu informieren. Diese erfuhr erst nach der letzten, schwerwiegenden Misshandlung von dem Fall.

Die Staatsanwaltschaft teilte am Mittwochabend mit, das Baby habe kaum eine Überlebenschance. Gegen seinen 17-jährigen Vater wird inzwischen wegen des Verdachts des versuchten Totschlags ermittelt. Zugleich überprüfe man auch, „inwieweit andere Personen die Tat eventuell begünstigt haben“, so ein Sprecher der Ermittlungsbehörde.

Wie berichtet, hatte der junge Vater die Feuerwehr am Abend des 5. September in die Wohnung der Mutter gerufen, weil das Mädchen leblos im Bett lag. Er hielt sich dort zu Besuch auf, die Mutter des Babys war in der Stadt unterwegs. Das Kind wurde reanimiert und dann in eine Klinik gebracht. Die Ärzte diagnostizierten schwere Misshandlungssymptome. Daraufhin nahm die Polizei den 17-Jährigen vorläufig fest. Es wurde aber kein Haftbefehl gegen ihn erlassen, weil er bei seinen Eltern einen festen Wohnsitz habe und in geordneten Verhältnissen lebe.

Das Kind ist aus einer flüchtigen Beziehung entstanden. Dem Vernehmen nach hat der junge Mann erst einige Zeit nach der Geburt von seiner Tochter erfahren, sich dann aber um sie gekümmert. Die Mutter lebt mit dem Mädchen in einer betreuten Mutter-Kind-Einrichtung in Schöneberg. Da sie aus Neukölln stammt, ist dessen Jugendamt für sie zuständig. Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) sagte am Mittwoch auf Anfrage, seine Behörde sei am 29. August vom Träger der Einrichtung, dem Verein „Leben Lernen e.V.“, unterrichtet worden, „dass die Kleine blaue Flecken hat“ und man den Vater verdächtige. Von den Übergriffen habe der Träger schon einige Zeit vorher gewusst. „Er unterließ es aber, uns darüber zu informieren.“

Bei einem Treffen von Amt und Träger habe man dann Ende August verfügt, „dass die Mutter das Kind täglich einem Sozialarbeiter zur Kontrolle vorstellen muss, zweimal wöchentlich auch unbekleidet“. Dem Vater untersagte man, weiterhin bei der Mutter zu übernachten. Er durfte auch nicht mehr alleine mit dem Kind in einem Zimmer sein.

Nur wenige Tage später wurde das Baby erneut misshandelt – diesmal mit lebensbedrohlichen Folgen. Jugendstadtrat Liecke ist nun dabei, das Verhalten von Amt und Träger zu überprüfen. Schon jetzt klingt bei ihm Kritik durch. Die Frage, weshalb die Polizei nicht eingeschaltet wurde, hält er für berechtigt. Die Sicherheit des Kindes „hätte als höchstes Gut wohl mehr im Vordergrund stehen müssen“, meint er. Und die Auflage für den Vater sei wohl realitätsfern gewesen. „Der Träger war für deren Einhaltung verantwortlich, konnte das aber kaum ausreichend überwachen.“

Der Verein „LebenLernen“ will Müttern und Schwangeren ab 16 Jahren in seinen Mädchen-Wohnprojekten helfen, ihren Alltag mit Kind eigenverantwortlich zu bewältigen. Die jungen Frauen leben in betreuten Zwei-Zimmer-Wohnungen. Eine Stellungnahme lehnte der Verein am Mittwoch ab. Christoph Stollowsky

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