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Berlin: Bei der Steuer hört die Freundschaft auf

Ein ehemaliger Betriebsrat half ausländischen Kollegen bei Briefen ans Finanzamt – und soll dafür Bußgeld zahlen

Nach der Verhandlung sitzen Siegfried Thimm und seine Anwältin in der Cafeteria des Amtsgerichts, rauchen und schütteln abwechselnd die Köpfe. „Das kann doch nicht wahr sein“, sagt Thimm und will am liebsten nochmal alles loswerden, was er dem Richter nicht hat sagen können.

Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Der 62-jährige Thimm, bis zur Rente freigestellter Betriebsrat in einem großen Berliner Unternehmen, hat ausländischen Mitarbeitern unentgeltlich dabei geholfen, ihren Schriftverkehr mit dem Finanzamt abzuwickeln. In einigen Fällen war er bei der Erstellung der Steuererklärung dabei. Doch die „geschäftsmäßige“ Hilfe in Steuersachen ist Normalbürgern verboten. Deshalb hatten die Fahnder des Finanzamts seine Wohnung und sein Büro durchsucht und Thimm anschließend einen Bußgeldbescheid über 1567 Euro geschickt. Nun findet der, dass seine Gefallen keineswegs geschäftsmäßig waren und hat Rechtsmittel beim Amtsgericht Tiergarten eingelegt. Gestern war Verhandlung.

Als Zeuge geladen ist André Scholz, ermittelnder Fahndungsprüfer im Finanzamt. In elf Monaten habe Thimm „in 22 Tatvorgängen“ wiederholt Mandanten geholfen, Briefe und Anträge verfasst, Steuererklärungen vorbereitet und dabei profundes Fachwissen an den Tag gelegt. „Ich gehe davon aus, dass Herr Thimm einen Großteil seiner Freizeit darauf verwandt hat“, sagt Scholz.

Laut Steuerberatungsgesetz nämlich bedeutet „geschäftsmäßige Hilfe“ nicht unbedingt, dass der Dienstleister bezahlt wird. Von der privaten Nachbarschaftshilfe unterscheidet sich geschäftsmäßige Hilfe hauptsächlich durch ihr wiederholtes Auftreten, also ihren Umfang. Die Unterscheidung liegt zunächst im Ermessen des Finanzamts.

Und genau in dessen Rechtsverständnis sieht Thimm die große Ungerechtigkeit. Schließlich seien alle sieben Mandanten Ausländer, des Deutschen meist nicht mächtig und auf Hilfe angewiesen, und überhaupt seien sie nicht seine Mandanten, sondern „echte“ Freunde, die ihn um einen Gefallen gebeten hätten. Was denn der Herr Scholz wohl machen würde, wenn ihn ein Freund abends in der Kneipe um Steuertipps anhaut? Das alles sagt Thimm in den Verhandlungspausen, die durch den Kleinkrieg zwischen seiner Verteidigerin (stellt zwei Anträge auf Ablösung des Richters wegen Befangenheit, unter anderem aufgrund seines arroganten Grinsens) und Richter (grinst wirklich arrogant und weist beide Anträge als unzulässig zurück) entstehen. Das Finanzamt, so Thimm, hätte ihn auf dem Kieker, weil er Ausländern dabei helfe, sich zu wehren. Außerdem habe ihn seine Hilfe kaum Zeit gekostet, da seine Stellung als Betriebsrat das Fachwissen mit sich gebracht und ihn sogar zum Beistand verpflichtet habe.

Das würde seine Verteidigern auch gerne dem Richter klar machen, doch der lässt diesbezügliche Bemerkungen aus dem Protokoll streichen, da sie mit der Sache nichts zu tun hätten. Womit er womöglich Recht hat, denn dem Gesetz nach sind solche Hintergründe unerheblich. Nach zwei Stunden wird die Verhandlung vertagt auf nächste Woche. Thimm ist sauer, Scholz hebt die Schultern. Was soll er machen, Gesetz ist Gesetz. Der Finanzbeamte versucht, Thimm zu trösten: „Wussten Sie, dass mehr als die Hälfte aller Steuergesetze auf der Welt aus Deutschland sind?“

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