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Berlin: Bei Spreequell werden die Kästen gepackt

Noch brummt es bei Spreequell in Weißensee. Es ist so ein undefinierbarer Ton, der zu jeder beliebigen Fabrik gehören könnte.

Noch brummt es bei Spreequell in Weißensee. Es ist so ein undefinierbarer Ton, der zu jeder beliebigen Fabrik gehören könnte. Der Wind trägt das Brummen von der Werkshalle herüber und mischt es mit dem Rumpeln der aufgetürmten Getränkekästen, an denen die Böen zerren. Vor dem Werkstor flattern die blauen Spreequell-Fahnen, die seit gestern nicht mehr auf halbmast hängen, weil die Geschäftsleitung sich das verbeten hatte. Geblieben sind nur die Mahnwache am Hintereingang und die schwarze Flagge hoch oben auf den riesigen, senkrechten Tanks, die irgendwer heimlich in der Nacht gehisst hat und die vor dem 7. März auch niemand herunterholen will. Und danach wahrscheinlich erst recht nicht.

Am 7. März wird der Aufsichtsrat der Brau und Brunnen AG in Dortmund aller Voraussicht nach eine Stilllegung der Berliner Getränkeproduktion und den Verkauf des mit 70 000 Quadratmetern unnötig großen Grundstückes an der Indira-Gandhi-Straße beschließen. Der 7. März dürfte ein guter Tag für die Aktionäre werden. Und eine Katastrophe für die meisten der 100 Beschäftigten in Weißensee. Vor zwei Wochen sind sie von der Geschäftsleitung über die Schließungspläne informiert worden und beinahe umgefallen vor Schreck. Am Dienstagnachmittag, auf einer vierstündigen Betriebsversammlung, haben sie sich zum Kämpfen entschlossen. Sie sprachen über eine Betriebsbesetzung, auch von Hungerstreik. Und verwarfen beides wieder.

Frank Boehnke ist an diesem Mittwoch zur Arbeit gekommen, obwohl es sein Geburtstag ist und er sich frei genommen hatte. Nun sitzt er im Büro des Betriebsrates, dessen Chef er ist, und bereitet mit ein paar Kollegen den für Sonnabend geplanten Autokorso vor. Sie wollen zu den Bombardier-Leuten ins brandenburgische Vetschau, die schon länger um ihre Jobs zittern und von denen sie sich Unterstützung versprechen. Oder wenigstens Trost.

Frank Boehnke hat 1975 bei Spreequell angefangen. Mit 17. "Im Prinzip sind wir hier eine Familie", sagt er. "Wir können uns doch den Arbeitsplatz nicht kampflos unter dem Hintern wegziehen lassen." Also organisieren sie gemeinsam mit der Gewerkschaft eine Mahnwache, informieren die Presse, sammeln Unterschriften und entwerfen eigene Sparpläne, damit sie ihren Arbeitgeber künftig weniger kosten und ihn so zum Bleiben bewegen können. Noch fehlt ihnen die zündende Idee, zumal die Konzernleitung den Weggang aus Berlin vor allem mit den hohen Kosten für das Grundstück und der so genannten Grundwasser-Entnahmegebühr begründet. Sie müssten also einen Käufer für den zurzeit ungenutzten Grundstücksteil finden und den Senat überreden, auf die Gebühr zu verzichten. Sie haben schon Wirtschaftssenator Gregor Gysi angerufen - er werde sich melden, hieß es aus seinem Sekretariat. Es bleiben noch genau zwei Wochen bis zum 7. März.

Rund 30 Cent muss Spreequell für jeden Kubikmeter Wasser zahlen, den die Pumpen aus dem Berliner Boden fördern. "Bei hundert Millionen Flaschen im Jahr summiert sich das ganz schön", sagt Geschäftsführer Frank Arndt. Der Marsch vom Betriebsratszimmer zu seinem Büro dauert fünf Minuten. Das entspricht zugleich der maximalen Entfernung innerhalb des kombinierten Produktions- und Verwaltungsgebäudes.

In Brandenburg, wo Spreequell hinziehen will, wird die Gebühr nicht erhoben. Man sei "mit allen seriösen Brandenburger Anbietern im Gespräch", sagt Arndt. Grüneberg, Wiesenburg, Diedersdorf - alles sei denkbar, nichts spruchreif. Wahrscheinlich werde man eine ganz neue Produktionsstrecke für Kunststoffflaschen errichten und die bisherige, ausschließliche Glasflaschen-Befüllung einer Partnerfirma überlassen. Denn gerade in Berlin und Umgebung ließen sich mit großen Kunststoffflaschen gute Geschäfte machen - nur eben nicht für Spreequell.

Natürlich könnte man die neue Produktionsstrecke auch in Weißensee unterbringen. Aber "es ist errechnet worden, dass sich daraus keine ausreichende Ertragssicherung ergibt", sagt Arndt. Er glaube nicht, dass sich der Brau-und-Brunnen-Aufsichtsrat im letzten Moment noch umstimmen lasse. "Es ist natürlich hart für die Belegschaft", sagt er und kündigt Vorruhestandsregelungen und einen Sozialplan für diejenigen Mitarbeiter an, die nicht weiter beschäftigt werden sollen. Aber er wolle dem 7. März nicht vorgreifen. Klar sei nur: "Eine Betriebsbesetzung wird es definitiv nicht geben. Das wäre illegal." Die Frage, ob er dann notfalls die Polizei holen würde, überhört er. Ihm bleibt wenig Spielraum zwischen der Belegschaft nebenan und der Konzernzentrale im Nacken. Von der Mannschaft stellen sich einige darauf ein, in die alten Länder zu ziehen. "In Berlin sehe ich keine Chance, einen vergleichbaren Job zu finden", sagt ein Laborant.

Nach den Plänen des Mutterkonzerns soll von Spreequell in Berlin nur eine Vertriebs- und Marketinggesellschaft bleiben, die maximal 25 der 100 Mitarbeiter beschäftigen könnte. Frank Arndt ist Vertriebs- und Marketingleiter. Er ist seit 1997 im Unternehmen. Zu jung, um zur Familie zu gehören.

Es prickelt nicht mehr

33 Jahre lang wurde Spreequell in Weißensee abgefüllt

Seit 1969 wird an dem Standort in Weißensee Mineralwasser abgefüllt. Seinen Namen erhält das Wasser allerdings erst Mitte der siebziger Jahre. Damals hatte der Berliner Rundfunk einen Wettbewerb ausgeschrieben, um einen Namen für dieses Produkt des VEB Getränkekombinat Berlin zu finden. "Spreequell", der Vorschlag einer Hörerin, bekam den Zuschlag. Nach der Wende wird Spreequell zunächst Teil der BEAG (Brau- und Erfrischungsgetränke AG Berlin). 1991 übernimmt Brau und Brunnen die Marke, zwei Jahre später wird Spreequell zur 100-prozentigen Tochter der ebenfalls zu Brau und Brunnen gehörenden Apollinaris Brunnen AG. Bis in die 80er Jahre hatte Spreequell rund 400 Mitarbeiter, in den 90er Jahren sank die Zahl der Beschäftigten auf derzeit 100. Es ist der einzige Mineralbrunnen in Berlin.

Im Jahr 2000 verzeichnete Spreequell einen Umsatz in Höhe von 36 Millionen Mark. Ungefähr 100 Millionen Flaschen wurden abgefüllt, zumeist 0,7-Liter-Flaschen. 94 Prozent davon werden in Mehrwegflaschen verkauft; in diesem Bereich ist Spreequell nach eigenen Angaben Marktführer in Berlin und Brandenburg. Pro Stunde können rund 50 000 Flaschen abgefüllt werden. Spreequell-Mineralwasser gilt als besonders calciumhaltig. Zu den Produkten der Firma zählen neben Mineralwasser (kohlensäurehaltig und still) Limonaden (Orange und Zitrone), verschiedene Fruchtsaftgetränke, Apfelschorle, Tonic, Bitter Lemon und als wohl bekanntestes Getränk Club Cola.

Nach einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa war Spreequell 1999 nach Apollinaris die bekannteste Wassermarke in Berlin.

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